Gerechtigkeitscheck im Juli – Steuerlücken für Superreiche

Der Politikbetrieb ist in der Sommerpause angekommen. Nicht aber das Bundesministerium der Finanzen. Lindners Haus legte aktuell drei große Gesetzespakete vor. Mit dem Wachstumschancengesetz sowie dem Gesetz zur Mindeststeuer sind neben einigen Verbesserungen auch unnötige Steuergeschenke für große Konzerne und ihre Steueroasengewinne geplant. Im Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Geldwäsche nimmt das geplante Finanzkriminalamt Form an.

Während wir uns auf die Debatten im Herbst vorbereiten, machen wir es in diesem Monat kurz und stellen im Sommer-Newsletter zwei Veröffentlichungen vor, die jeweils massive Steuerlücken für Superreiche aufzeigen. Zum einen zeigen wir, dass im vergangenen Jahr wenige hochvermögende Firmenerb*innen Steuererlasse in Milliardenhöhe erhielten. Unterm Strich zahlten die Erwerber der größten Vermögen hierzulande damit einen niedrigen Steuersatz, als Erb*innen kleinerer steuerpflichtiger Vermögen. Milliardenverluste für die Allgemeinheit beziffert ebenfalls unsere internationale Partnerorganisation – das Tax Justice Network. In ihrem neuen “State of Tax Justice”-Bericht berechnen sie die Steuerverluste durch Gewinnverlagerung multinationaler Unternehmen sowie durch versteckte Vermögen. Demnach verlieren Staaten weltweit jährlich fast eine halbe Billion US-Dollar.

Das alles zum Hören gibt es außerdem in der zweiten Folge unseres neuen Podcast Steuergerechtigkeit. Darin besprechen wir monatlich die wichtigsten Entwicklungen in unseren Arbeitsbereichen. In dieser Sommerausgabe sprechen wir mit Alison Schultz vom Tax Justice Network. Sie hat an der aktuellen Studie zur globalen Steuervermeidung mitgearbeitet. Zum Podcast geht es hier entlang. Außerdem findet ihr uns in den üblichen Podcast-Apps.

Vermögen, Erbschaften, hohe Einkommen

Wenn sich superreiche Erben ihr Vermögen nicht leisten können

Die neue Erbschaftsteuerstatistik für das Jahr 2022 ist da und suggeriert steigende Steuereinnahmen sowie stark gestiegene Steuersätze auf Großvermögen. Tatsächlich ist die Statistik aber irreführend, weil ein großer Teil der dort ausgewiesenen Steuern auf große Übertragungen im Nachgang wieder erlassen wurde. Das zeigt unsere Anfrage beim Statistischen Bundesamt nach den neuen Zahlen zum Steuererlass nach der sogenannten Verschonungsbedarfsprüfung. Demnach erhielten im Jahr 2022 24 „bedürftige” Groß-Erb*innen und Beschenkte einen Steuererlass von knapp 1,5 Milliarden Euro. Und auch ein Blick in die kassenmäßigen Steuereinnahmen zeigt: Insgesamt sind die Einnahmen bei der Erbschaftsteuer sogar erstmals seit fünf Jahren rückläufig.

Hintergrund: Im Jahr 2014 hat das Bundesverfassungsgericht die weitreichenden Ausnahmen für Firmenerb*innen, insbesondere für sehr große Vermögen, für verfassungswidrig erklärt. Infolge wirksamer Lobbyarbeit hat der Gesetzgeber die Befreiungsmöglichkeiten auf Vermögen oberhalb von 26 Millionen Euro beschränkt, aber gleichzeitig die Möglichkeit des Steuererlasses aufgrund von „Bedürftigkeit” geschaffen. Durch gezielte Umstrukturierung des Vermögens vor der Schenkung oder etwa durch Übertragung auf eine „arme” Familienstiftung kann die Bedürftigkeit für das Finanzamt gezielt erreicht werden. Im Ergebnis bleibt die Erbschaftsteuer damit stark regressiv. Alles Weitere dazu erklären wir hier.

Deutlich spannender ist aus unserer Sicht deswegen ein anderes Verfahren, in dem ein privater Kläger die Verfassungsmäßigkeit der Privilegien für Firmenerb*innen anzweifelt. Dem haben wir uns in einer ausführlichen Stellungnahme angeschlossen.

Ähnlich wie in Bayern ist die Erbschaftsteuer übrigens auch in Großbritannien Wahlkampf-Thema. Eine aktuelle Umfrage dazu zeigt: Ähnlich wie die Deutschen lehnen die Briten die Steuer zwar prinzipiell und mehrheitlich ab, meinen damit aber lediglich ihre eigenen, kleinen Erbschaften. Große Erbschaften (je nach eigenen Erbschaftserwartungen meinen die Befragten damit Beträge jenseits von 50.000 und 500.000 Pfund bzw. jenseits des Familienheims) wollen sie besteuern. Die Abschaffung oder Senkung der Steuer im britischen Wahlkampf zum Gewinner-Thema zu machen, funktioniert demnach – wie wahrscheinlich auch in Deutschland – nur mit der Verbreitung von Mythen. Eine aufgeklärte Bevölkerung würde mit großer Mehrheit die Abschaffung von Steuerprivilegien für große Erbschaften und Schenkungen unterstützen.

Internationale Steuergerechtigkeit

Globale Steuerverluste von 472 Mrd. $ – State of Tax Justice 2023

Im jährlichen “State of Tax Justice”-Bericht schätzt das Tax Justice Network den weltweiten Steuerverlust durch Steuervermeidung multinationaler Unternehmen und Superreicher. Basierend auf (nicht immer verlässlichen – mehr dazu im Podcast) Daten der OECD und der Bank für internationalen Zahlungsausgleich aus dem Jahr 2018 – dem aktuellen verfügbaren Jahr – beläuft sich der Gesamtsteuerverlust auf 301 Milliarden US-Dollar durch die Gewinnverlagerung globaler Konzerne und 171 Milliarden Dollar durch das versteckte Vermögen von Superreichen. Laut dem Bericht verliert Deutschland jährlich über 26 Milliarden Dollar durch diese Steuerlücken.

Obwohl Länder mit hohem Einkommen die größten absoluten Verluste erleiden – insgesamt 426 Milliarden Dollar – verlieren einkommensschwache Länder im Verhältnis zu ihren verfügbaren Budgets am meisten, nämlich 6,6 Prozent ihrer gesamten Steuereinnahmen. Im Schnitt belaufen sich die Kosten auf 56 Prozent ihrer öffentlichen Gesundheitsausgaben. Zum Vergleich: In Deutschland decken die verlorenen Steuereinnahmen “nur” 7,4 Prozent des Gesundheitsbudgets. Verursacher der Steuervermeidung sind dabei vor allem die Gesetzgeber der einkommensstarken Ländern: Für 99,4 Prozent der globalen Verluste trägt die reichere Hälfte der Länder die Verantwortung (wobei allein auf die 38 OECD-Staaten 77 Prozent entfallen). Diese Tendenzen sind in Bezug auf anonymes Auslandsvermögen sogar noch stärker ausgeprägt. Das Tax Justice Network fordert daher, dass die internationalen Bemühungen gegen Steuerlücken nicht weiter von der OECD, sondern über eine Steuerkonvention der Vereinten Nationen koordiniert werden.

Weitere Nachrichten:

  • Christian Lindners Ministerium legt den Entwurf zum “Wachstumschancengesetz” vor. Darin enthalten: Investitionsprämien, Forschungsförderung und großzügige steuerliche Erleichterungen für die deutsche Wirtschaft von jährlich 6,6 Milliarden Euro. Um die Chance auf nachhaltiges Wachstum zu stärken und Investitionsanreize zu schaffen, sind die Entlastungen allerdings nicht gezielt genug und eine gerechte Gegenfinanzierung ist nicht geklärt. Außerdem lässt die geplante Reform der Zinsschranke ihr Potential zur Eindämmung von Steuervermeidung ungenutzt. Das haben wir in einer Stellungnahme gegenüber dem Ministerium verdeutlicht
  • Kenia erlebt große Proteste wegen regressiver Steuererhöhungen: Der im August 2022 gewählte Präsident Ruto hatte die Verbesserung von Lebenshaltungskosten zu seinem zentralen Wahlkampfthema gemacht, nun sollen über Steuererhöhungen zusätzliche Einnahmen u. a. für die Bedienung von Staatsschulden generiert werden. Der Finance Act 2023 umfasst vor allem regressive Belastungen wie weitreichende Streichungen von Mehrwertsteuerausnahmen und eine Umsatzsteuererhöhung für kleine und mittlere Unternehmen von einem auf drei Prozent. Letztere halbiert zudem den Mindestumsatz, der zur Steuerzahlung verpflichtet, und würde somit die Zahl der steuerpflichtigen Kleinbetriebe drastisch erhöhen. Aber auch eine Erhöhung des höchsten Einkommensteuersatzes ist Teil des Pakets. Eine Vermögensteuer fehlt im Finance Act, obwohl Ruto noch im September 2022 eine Steuer auf das Nettogesamtvermögen der reichsten Kenianer*innen in Aussicht gestellt hatte. Die Steuerreform sollte am 1. Juli in Kraft treten, wurde jedoch vom kenianischen High Court wegen möglicher Verfassungswidrigkeit ausgesetzt.

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