Gerechtigkeitscheck im August – Zeit für Entscheidungen

Die Ampelkoalition steckt mitten in der – eigentlich politisch produktivsten – Zeit zwischen Einarbeitung und dem nächsten Wahlkampf. Und tatsächlich liegen dem Kabinett große Gesetzespakete vor. Zum Ende der Sommerpause will die Bundesregierung – neben dem viel diskutierten Heizungsgesetz – unter anderem über Wachstumschancen und Steuerfairness, Mindeststeuer und Begleitmaßnahmen sowie die Finanzkriminalitätsbekämpfung abstimmen. Folgt man der öffentlichen Berichterstattung, standen Steuersenkungen für Unternehmen im Fokus. Was diese Entscheidungen für die Steuergerechtigkeit bedeutet, schauen wir uns in diesem Newsletter genauer an.Auch als Organisation steckt das Netzwerk Steuergerechtigkeit in einer besonders spannenden Phase: Wir starten nach der Sommerpause mit einer Interview-Runde mit spannenden Kandidaten für unsere personelle Verstärkung. Wir sind gespannt!Die inhaltlichen Highlights des Monats gibt es auch in der neuen Folge des Podcast Steuergerechtigkeit. Als Gast konnten wir diesmal Bodo Ellmers vom Global Policy Forum begrüßen, der uns ein Interview zur UN-Steuerkonvention und der Rolle des Tax Report vom UN-Generalsekretär gegeben hat. Zum Podcast geht es hier entlang. Außerdem findet ihr uns in den üblichen Podcast-Apps.

Unternehmenssteuern

Zwei Schritte vorwärts, zwei zurück

Schritt 1 und 2: Das Mindeststeuerumsetzungsgesetz und seine BegleitmaßnahmenAm 16. August hat sich das Kabinett auf einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Umsetzung der OECD Mindeststeuer geeinigt. Die globale Mindeststeuer von 15 Prozent soll für große Konzerne eine (viel zu niedrige) Untergrenze für den globalen Unterbietungswettbewerb bei der Unternehmensteuer schaffen. Genau das stand auch im Diskussionsentwurf vom März. Im Referentenentwurf vom Juli fanden sich dann gleich drei Begleitmaßnahmen, die bisherige Abwehrmaßnahmen gegen Gewinnverschiebung signifikant geschwächt hätten und deren Kosten die erwarteten Zusatzeinnahmen aus der Mindeststeuer wahrscheinlich überstiegen hätten. Im Regierungsentwurf wurde eine wieder gestrichen, eine relativiert. Nach jahrelangem Druck der Unternehmenslobby soll nun aber zumindest der Steuersatz ab dem ein Land als Niedrigsteuerland definiert wird und Abwehrmaßnahmen greifen von 25 auf 15 Prozent gesenkt und der Steuersatz für die Lizenzschranke angepasst werden. Im Widerspruch dazu begründet ein spannender Beitrag eines japanischen Anwalts, warum sich die dortige Expertenkommission bei einer ganz ähnlichen Konstellation anders entschieden hat und die bisherigen Abwehrmaßnahmen weiter für wichtig hält. Stattdessen wird in Japan zur Vereinfachung über eine Angleichung der Berichtswesen für beide Maßnahmen diskutiert.

Schritt 3 und 4: Das Gesetz für Wachstumschancen und SteuerfairnessAm 14. Juli um 19:04 Uhr fielen im Finanzministerium die Stifte. Der Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness war geschrieben. Genau zwei Tage später, am 16. Juli, titelten mehrere Zeitungen, darunter FAZ, Focus, Deutschlandfunk und n-tv: “Rund jeder Vierte Mittelständler denkt übers Aufgaben nach”. Jeder Dritte fühle sich durch zu viel Bürokratie gehemmt, jeder Vierte wiederum empfände hohe Steuern und Abgaben als Hindernis. Pünktlich einen Tag später, am 17. Juli, dann die Veröffentlichung des besagten Referentenentwurfs, der verspricht genau diese Bürokratie abzubauen und Steuern zu senken. Gutes Timing könnte man meinen. Einziger Haken: Die Umfrage wurde nicht etwa vom Finanzministerium selbst, sondern vom Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) – einem Lobbyverband mit einem Jahresbudget von knapp 20 Millionen Euro und klaren steuerpolitischen Vorstellungen – in Auftrag gegeben. Der Gesetzesentwurf adressiert die zwei zentralen Probleme rund um die Gewinnverschiebung von Immobilieninvestoren. Er unterbindet, dass sie ihre Aktivitäten in viele kleine Objektgesellschaften aufsplitten können, um die Zinsschranke zu unterlaufen und führt zusätzlich eine – noch verbesserungswürdige – Zinshöhenschranke ein. Gleichzeitig lockert er aber die Zinsschranke für große Unternehmen und sorgt durch die – wenig gezielten – Entlastungsmaßnahmen insgesamt für Kosten von 6,6 Milliarden Euro ohne eine gerechte Gegenfinanzierung (mehr dazu in unserer Stellungnahme). Übrigens: Auch wenn die Lobby es gerne so aussehen lässt, Steuern und Bürokratie sind nicht die zentralen Faktoren für Investitionsentscheidungen und jeder vierte Unternehmer ist durch den Fachkräftemangel eingeschränkt. Vielleicht ist die Kindergrundsicherung also zumindest inhaltlich am Ende nicht, wie in der Presse dargestellt, der Gegensatz und Gegner der Wachstumschancen?

Weitere Nachrichten:

  • Nur 417 Millionen Euro Überschusserlöse abgeschöpft: so hoch waren laut BMWK die Einnahmen aus der Abschöpfung von Zufallsgewinnen im Stromsektor von Dezember 2022 bis Ende März 2023. Angekündigt waren ursprünglich mehr als 20 Milliarden Euro. Für die geringen Einnahmen dürfte es vor allem drei Gründe geben: 1. Die seit Ende 2022 wieder stark gefallenen Strompreise; 2. Der Verzicht, die Gewinne aus der Zeit der hohen Preise im Jahr 2022 rückwirkend abzuschöpfen; 3. Die Preisgrenzen von etwa 130 Euro, die zwar strenger waren als von der EU vorgeschlagen (180 Euro), aber noch deutlich oberhalb der Strompreise der Vorjahre und der EEG-Förderung (40 bis 100 Euro) lagen. In den verbleibenden drei Monaten dürften kaum weitere Einnahmen mehr hinzukommen.
  • Rekordeinnahmen bei der Gewerbesteuer: In den letzten Monaten und Jahren wurde viel über innerdeutsche Gewerbesteueroasen diskutiert und mehrmals die Abschaffung der Oasen oder gleich der ganzen Steuer gefordert. Laut Statistischem Bundesamt ist der durchschnittliche Hebesatz 2022 leicht gestiegen und die Einnahmen erzielen (nominal) neue Rekorde. Sie sind seit 2019 um 27 Prozent auf 70 Milliarden Euro gestiegen. Die Pressemitteilung sagt leider nichts zu möglichen Gründen und zur Entwicklung der Gewinne (auch stark gestiegen?) und ignoriert mal wieder die Inflation (immerhin knapp 17 Prozent).
  • Schon bei den Mineralölkonzernen war Italien Vorreiter. Jetzt hat sich das Kabinett auf eine Sondersteuer für Banken geeinigt. Italien folgt damit auf Ungarn und Spanien und erhebt 40 Prozent Steuern auf die gestiegenen Zinseinnahmen in 2022 oder 2023 – wann immer der Anstieg am stärksten war. Laut Reuters erwartet die Regierung Einnahmen von etwa drei Milliarden Euro.

Schattenfinanz und Geldwäsche

Ringen um Transparenz

Seit einigen Wochen zirkuliert im politischen Berlin ein sehnlichst erwarteter Gesetzesentwurf zum Finanzkriminalitätsbekämpfungsgesetz. Er ist überschrieben als Referentenentwurf, datiert auf den 21. Juli und versucht auf 232 Seiten, die Geldwäschebekämpfung in Deutschland vom Kopf auf den Fuß zu stellen. Er soll Ermittlungen zu den Hintergründen von verdächtigen Geldflüssen und verdächtigem Vermögen auch dann möglich machen, wenn weder für eine kriminelle Herkunft noch für den Täter Anhaltspunkte vorliegen – so wie das zum Beispiel immer dann der Fall ist, wenn professionelle Geldwäscher kriminelles Geld annehmen ohne nach den Hintergründen zu fragen oder die zu kennen – bei großen Summen also so gut wie immer. Und er schafft gleich zwei Ermittlungszentren mit passender Rechtsgrundlage – eins für große und internationale Geldwäschefälle, mit 268 Stellen, und eins für Vermögensverschleierung mit 89 Stellen. Am 1. Januar 2024 soll es eigentlich losgehen.

Dafür wird die Zeit jetzt allerdings immer knapper, nicht zuletzt weil die nötigen Mittel dafür noch rechtzeitig in den Haushalt für 2024 aufgenommen werden müssten. Normalerweise landet ein Referentenentwurf kurz nach der Fertigstellung zur Kommentierung bei den Ländern und den Verbänden. Da ist er aber bis jetzt nicht angekommen. Offensichtlich wird hinter den Kulissen noch heftig gerungen. Der stärkste Gegenwind kommt vermutlich aus dem Justizministerium, das in der jüngeren Vergangenheit bereits mehrmals mit einem eher seltsamen Verständnis von Geldwäsche und deren Bekämpfung aufgefallen ist (siehe z.B. Newsletter vom November 2020 zum All-Crimes-Ansatz oder die Debatte rund um die ersparten Aufwendungen).

Weitere Nachrichten:

  • Geldwäschevorwürfe gegen die Deutsche ReGas GmbH & Co. KGaA und eine Verbindung zu Olaf Scholz. Was bisher geschah: Ein 2022 neu gegründetes Unternehmen sammelt Berichten zufolge 100 Millionen Euro von Investoren ein, chartert ein Schiff und betreibt damit seit Anfang 2023 ein Flüssiggasterminal vor Rügen. Ein Anwalt der Ostseebadgemeinde Binz wirft dem Unternehmen einen intransparenten Finanzierungshintergrund vor und stellt eine Verbindung zu den Kaimaninseln her (ein Gericht hat ihm letzteres mittlerweile untersagt). Seit Ende Juli überprüft eine Anwaltskanzlei des Unternehmens deren Hintergründe. Neu: Ein neuer stern-Bericht zeigt jetzt: Olaf Scholz traf sich am 15. September 2022 mit einem der Unternehmensgründer in seinem Wahlkreis in Potsdam und auch die M.M.Warburg ist als kontoführende Bank mit von der Partie.

Internationale Steuergerechtigkeit

Neuer Bericht der UN schlägt Steuerkonvention vor und kritisiert OECD

Auf Ersuchen der UN-Mitgliedstaaten hat der UN-Generalsekretär Anfang August seinen Bericht über die “Förderung einer umfassenden und wirksamen internationalen Steuerzusammenarbeit bei den Vereinten Nationen” vorgelegt. Der Bericht schlägt eine umfassende Verbesserung der internationalen Steuerarchitektur vor. Im besten Fall könnte die klaffende Regulierungslücke, die durch das Fehlen inklusiver Institutionen mit universeller Mitgliedschaft für die Festlegung von Steuernormen entsteht, bald durch ein UN-Rahmenkonvention über internationale Steuerkooperation geschlossen werden. Aktivist*innen für Steuergerechtigkeit in aller Welt begrüßten den Bericht und fordern die UN-Mitgliedstaaten auf, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen.”  So kommentiert Bodo Ellmers die neuen Entwicklungen aus New York in seinem aktuellen Blog für unser Netzwerkmitglied das Global Policy Forum (mehr dazu hier und in unserem Interview im Podcast hier).

Die nächsten Schritte zur UN-Rahmenkonvention:

  • Diskussion des UN-Berichts beim High-level Dialogue am 20. September 2023
  • Entscheidung zum weiteren Vorgehen (idealerweise bereits mit konkretem Rahmen und Zeitplan für eine Rahmenkonvention) bei der UN-Generalversammlung im Herbst 2023
  • ca. vier bis zehn Jahre Verhandlungen bis zur unterschriftsreifen Rahmenkonvention.

Weitere Nachrichten:

  • 16 lateinamerikanische Länder gründen Steuerplattform: Ziel der Plattform ist eine intensivere Zusammenarbeit zu progressiver Besteuerung, Umweltsteuern und der globalen Besteuerung von digitalen Konzernen. Kolumbien übernimmt den Vorsitz für das erste Jahr, die Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik, eine UN-Organisation mit Sitz in Chile, übernimmt das Sekretariat. Nicht dabei sind bisher Argentinien und Mexiko (mehr dazu hier im deutschsprachigen Blog der FES aus Kolumbien)
  • Eine aktuelle Studie (€, Working Paper von 2021) zeigt anhand eines neuen, umfangreichen Datensatzes, dass intergenerationelle Mobilität in einkommensstarken Ländern höher ist als in Ländern des Globalen Südens – Kinder von armen Eltern sind also seltener arm und umgekehrt. Als wichtiger Faktor in den einkommensstarken Ländern werden dabei höhere Steuereinnahmen in Verbindung mit höheren Bildungsausgaben genannt. Deutschland und die USA stechen indes als Negativbeispiele für Länder mit hohen Einkommen und dennoch niedriger Durchlässigkeit heraus.
  • Post aus Brüssel: 17 Mitgliedsstaaten hatten zum Ablauf der Deadline kein Gesetz zum pCbcr vorgelegt und deswegen jetzt eine Abmahnung aus Brüssel erhalten.
  • OECD legt July-Package vor: Darin enthalten u.a. eine Regel für die vor allem für Entwicklungsländer gedachte Quellensteuer (STTR), ein erstes multilaterales Abkommen für die Neuverteilung der Besteuerungsrechte (Säule 1, Amount A) und der weitere Fahrplan (Säule 1, Amount B). Ebenfalls Teil der Einigung: aus Rücksicht auf den US-amerikanischen Wahlkampf wird die Einführung einer Strafsteuer für nicht-kompatible Mindeststeuersysteme (UTPR) um ein Jahr auf 2026 verschoben. (Mehr dazu im Blog des BMF.)
  • Das South Centre empfiehlt Entwicklungsländern, statt der globalen Mindeststeuer smartere und wirksamere Alternativmaßnahmen umzusetzen.

Gerechtes, solidarisches und ökologisches Steuersystem

Emission durch Investition

Je reicher, desto klimaschädlicher – diesen Zusammenhang belegen bereits zahlreiche Untersuchungen. Dabei denken die meisten Menschen insbesondere an den höheren Konsum der Superreichen – Privatjet, Yacht und Pool. Allein dadurch erklärt sich allerdings das  immer wieder festgestellte extreme Ungleichgewicht bei der Verteilung der CO₂-Emissionen nicht. Diese werden maßgeblich dadurch beeinflusst, wie Menschen ihr Einkommen erzielen und somit auch, wie das Vermögen investiert wird.

Eine neue Studie der University of Massachusetts versucht zum ersten Mal, mit detaillierten Steuerdaten den individuellen Einkommen der US-Haushalte die entsprechenden CO₂-Emissionen  zuzurechnen. Dafür ordnen die Autoren die unterschiedlichen Einkommensquellen (Löhne, Kapitaleinkommen, Rente, aber nicht unrealisierte Vermögenszuwächse) von fünf Millionen US-Bürgern einem Industriezweig bzw. einer Branche zu und berechnen so die jeweiligen CO₂-Emissionen. Im Ergebnis verursacht das einkommensstärkste Prozent der US-Bürger rund zwanzig Prozent der gesamten Emissionen des Landes. Nahezu die Hälfte davon entfällt auf Einkommen aus Kapital.

Die Autoren kritisieren, dass die Umweltpolitik bisher vor allem versucht, den schädlichen Konsum unattraktiv zu machen – beispielsweise durch eine CO₂-Steuer auf Benzin. Das belastet besonders Menschen mit geringem Einkommen, die im Schnitt für weniger Emissionen verantwortlich sind. Die Kaufentscheidung von Wohlhabenden hingegen beeinflusst eine CO₂-Steuer kaum, weil sie den Großteil ihres Einkommens ohnehin sparen. Die verbrauchsbasierten Ansätze übersehen dabei laut Studie etwas Wichtiges: Mit CO₂-Emissionen werden Einkommen generiert, aber wenn dieses Einkommen in Aktien reinvestiert wird, anstatt es für Konsum auszugeben, unterliegt es höchstens indirekt der CO₂-Besteuerung.

Die Autoren schlagen deswegen eine CO₂-Steuer auf bestimmte, klimaschädliche Investitionen vor (z.B. den Kauf von Shell-Aktien). Die hätte zwar zunächst keinen unmittelbaren Einfluss auf die Emissionen des betroffenen Unternehmens, allerdings könnte sie den Druck auf die Unternehmen bzw. Großaktionäre und Führungskräfte erhöhen, ihre Produkte und Lieferketten zu dekarbonisieren. Wie genau eine solche Besteuerung aussehen könnte, lässt die Studie aber offen.

Weitere Nachrichten:

  • Eine Studie aus Norwegen zeigt: Menschen wünschen sich höhere Steuern für hohe Einkommen – und zwar über alle politischen Lagern und Bildungshintergründe hinweg. Die größte Abweichung ergibt sich für das reichste Prozent. Für sie sinkt wie in Deutschland der effektive Steuersatz, weil Kapitaleinkommen niedriger besteuert werden als Arbeitseinkommen. Ginge es nach der öffentlichen Meinung, wäre es andersherum.

Vermögen, Erbschaften, hohe Einkommen

Erst ausgehöhlt, dann abgeschafft: Studie untersucht Gründe für die Abschaffung von Erbschaftsteuern

Obwohl Erbschaftsteuern ein naheliegendes Mittel gegen die weltweit zunehmende soziale Ungleichheit sind, wurde die Steuer in der Vergangenheit von Regierungen immer wieder abgeschafft. Beispielsweise im Jahr 2008 in der Türkei oder 2006 in Russland. Mit den Gründen für die Abschaffung hat sich eine neue Studie befasst und stellt fest: Die Erbschaftsteuer ist in Gefahr, wenn die Einnahmen verhältnismäßig niedrig sind. Denn insofern wichtige Ausgabeprogramme von ihr abhängen, ist es schlicht schwerer, sie abzuschaffen. Da allerdings in den vergangenen Jahrzehnten andere Steuerarten für den Staatshaushalt deutlich wichtiger wurden, insbesondere die Einkommensteuer und die Mehrwertsteuer, verlor die Erbschaftsteuer entsprechend an Bedeutung. Damit wurde die zweite Funktion wichtiger: die Umverteilungswirkung der Erbschaftsteuer. Das Problem dabei: Die Umverteilungspräferenzen der Wähler*innen sind unbeständig und u.a. stark abhängig von den vorhandenen Informationen im Hinblick auf die Verteilungsgerechtigkeit. Die Studie zeigt, dass zwar nichtdemokratische Regierungen die Erbschaftsteuer eher abschaffen als demokratische, allerdings bietet auch die Demokratie keinen vollumfänglichen Schutz für die Verteilungsinteressen der Allgemeinheit.

Welche Handlungsempfehlungen lassen sich für Deutschland ableiten? Aufgrund zahlreicher Steuerprivilegien für Superreiche betragen die Einnahmen bei der Erbschaftsteuer hierzulande nur rund neun Milliarden Euro. Das sind gerade einmal 1,1 Prozent der gesamten Steuereinnahmen – und das  trotz stark zunehmenden Erbvolumens. Durch eine Reform könnten die Einnahmen mindestens verdoppelt werden und die Steuer damit an Bedeutung gewinnen. Zudem zeigen Untersuchungen regelmäßig, dass die Mehrheit der Bevölkerung das Ausmaß der sozialen Ungleichheit unterschätzt. Politik und Medien müssen die Öffentlichkeit über bestehende Ungleichheiten sowie die Funktionsweise von Erbschaftsteuern besser informieren.

Weitere Nachrichten:

  • Der 29. Subventionsbericht der Bundesregierung wurde verabschiedet und listet wie üblich die Privilegien für Unternehmenserben als größte aller Steuersubventionen. Allerdings beziffert der Bericht die Kosten für das Jahr 2020 und die Folgejahre auf je 4,5 Milliarden Euro. Damit korrigiert der Bericht seine letzte Schätzung für das Jahr 2021 um etwa eine halbe Milliarde Euro nach unten. Das dürfte aber nicht an den tatsächlich gesunkenen Subventionen liegen, sondern an der Rechenmethode des FDP-geführten Ministeriums: Für die Schätzung wird üblicherweise die tatsächliche Subvention auf Grundlage der bereits vorliegenden Erbschafts-und Schenkungsteuerstatistik des vorvergangenen Jahres ermittelt – das wäre in diesem Fall die Statistik aus 2021. Die Nachfolgejahre werden auf dieser Basis geschätzt. Im aktuellen Bericht wurde aber die Steuerstatstik des Jahres 2020 zugrundegelegt. Hier waren die Subventionen etwa nur halb so groß, wie im Jahr 2021. Für das Jahr 2021 weist der neue Bericht also eine deutlich niedrigere Subvention aus, als aus der längst veröffentlichten 2021er-Steuersatistik tatsächlich hervorgeht. Die Antwort zu unserer Anfrage gegenüber dem Ministerium zu den Hintergründen der Schätzung steht noch aus.
  • Superreiche in den USA nutzen regelmäßig private Stiftungen, um Millionen an Steuern zu sparen. Dabei werden Kunst, Immobilien und Firmenanteile “zum Wohle der Öffentlichkeit” gespendet. Im Gegenzug erhalten sie Steuererleichterungen. Dass der Nutzen für die Öffentlichkeit häufig ausbleibt, zeigt eine Recherche von ProPublica.
  • Neuer Simulationsrechner ermöglicht es, alle Steuerprivilegien per Klick abzuschaffen – das Ergebnis: Es ließe sich ein Grundeinkommen von 1.000 Euro für alle damit finanzieren, Deutschland würde sich im Ungleichheitsranking von Rang 31 auf Rang 13 verbessern, das Armutsrisiko würde sich halbieren. Nicht detailliert simulieren lassen sich die Einkommensteuer oder eine progressive Vermögen- und Erbschaftsteuer. Hier geht’s zum Rechner (nur für Desktop), hier zur zugrundeliegenden DIW-Studie.

Steuerverwaltung und Cum-Ex

Ein neues Landesamt gegen Finanzkriminalität für umfassende Cum-Ex-Aufklärung in NRW?

Im Fokus steht mal wieder die Bekämpfung der Steuerkriminalität in NRW. Justizminister Limbach hat vor dem Rechtsausschuss des Landtags über wichtige Probleme der für die Cum-Ex-Aufklärung zentralen Staatsanwaltschaft Köln gesprochen und sie erneut auf deren mittlerweile zurückgetretenen Leiter Joachim Roth zurückgeführt. Als Beispiel führte Limbach die verspätete Lieferung von Akten an den Hamburger Untersuchungsausschuss an: „Ich habe Ihnen von der Anordnung meines Hauses gegenüber dem Leitenden Oberstaatsanwalt in Köln berichtet, zur Bereitstellung der Unterlagen für den Ausschuss alle aufschiebbaren Dienstgeschäfte zurückzustellen. Die Reaktion war: Es existierten weder bei der Hauptabteilung H noch im gesamten Bezirk der Generalstaatsanwaltschaft Köln irgendwelche aufschiebbaren Tätigkeiten.“

In der Hauptabteilung unter Leitung von Frau Brorhilker ist indes die Anzahl der wegen Cum-Ex-Verdachts Verfolgten, auf über 1.700 angewachsen. Laut Manager Magazin (€) sind dafür mittlerweile 33 von 36 Stellen besetzt, jedoch zu einem Fünftel nur in Teilzeit und zudem von unerfahrenen Staatsanwält*innen. Die Ermittler gehen mittlerweile von einer systematischen Nutzung Cum-Ex-ähnlicher Steuerhinterziehungsmodellen auch nach der entscheidenden Gesetzesreform von 2012 aus. Einzelne Fälle etwa des “Reverse Market Claims”-Modells sind bereits öffentlich bekannt, aber Auffälligkeiten in Handelsdaten des Aktienverwahrers Clearstream deuten auf mehr als Einzelfälle hin. Allerdings geht die Verfolgung dieser Fälle durch die viele Arbeit in den zahlreichen anderen Fällen unter – was Deutschland langfristig teuer zu stehen kommen könnte.

Zumindest die nordrhein-westfälische Steuerfahndung, die der Staatsanwaltschaft auch und gerade bei den komplexen Cum-Ex-Fällen zuarbeitet, wird bald neu aufgesetzt und personell gestärkt: In einem ersten Schritt werden ab Januar 2024 alle Sondereinheiten im neuen Landesamt zur Bekämpfung der Finanzkriminalität (LBF NRW) gebündelt. Ab 2025 werden dann die zehn Steuerfahndungen organisatorisch eingegliedert, wobei die lokalen Standorte beibehalten werden. Im Rahmen des zweiten Schritts ist eine Personalerhöhung geplant. Als Teil der Behörde soll ein “IT-Kompetenzzentrum zur Bekämpfung der Finanzkriminalität (IT-FK)” aufgebaut werden, das die großen Fähigkeitslücken der Steuerfahndung in diesem Bereich schließen soll.

Weitere Nachrichten:

  • Mehrere Cum-Ex-Prozesse haben begonnen oder beginnen im September. So etwa der Prozess gegen den Gründer sowie den ehemaligen CEO des Asset-Managers Duet wegen Cum-Ex-Erstattungen über 93 Millionen Euro ist vor dem Landgericht Bonn. Beantragt hatte die Firma sogar eine Erstattung von 215 Millionen Euro. Ein Händler der Firma war dieses Jahr bereits zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Zudem hat der Prozess gegen einen Ex-Fortis-Banker begonnen, ebenfalls wegen Cum-Ex. Der beschuldigt die für wichtige Rechtsgutachten verantwortliche Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer. Zudem beginnen die hochkarätigen Prozesse gegen den Warburg-Bankier Christian Olearius und den Ex-Steuerchef eben dieser Kanzlei Freshfields, Ulf Johannemann, im September. Olearius ist indes mit seiner Klage gegen das Justizministerium NRW auf Informationsherausgabe zum Thema WestLB in Vorbereitung seines Prozesses vorläufig gescheitert.
  • Das Handelsblatt (€) legt im Fall der Hamburgischen Warburg-Bank den Fokus auf einen weiteren Finanzbeamten. Der ehemalige Abteilungsleiter der Finanzbehörde Michael Wagner hatte mögliche Durchsuchungen der Oberstaatsanwältin Brorhilker in Hamburg gegenüber seinem Senator als “durchgeknallt” bezeichnet und versucht, diesen zu einer Intervention bei seinem NRW-Kollegen zu bewegen. Dies brisanterweise mit dem Argument, dass etwaiges belastendes Material doch sowieso längst “geschreddert” wäre – genau was die Staatsanwaltschaft befürchtet.
  • Ein neu an die Öffentlichkeit gekommener E-Mail-Verkehr zwischen der Bürochefin von Olaf Scholz und dem Kanzleramtschef Schmidt bietet einen weiteren Hinweis darauf, dass die Gedächtnislücken von Herrn Scholz bezüglich seiner Treffen mit dem Warburg-Eigentümer zu ihren Cum-Ex-Problemen vorgeschoben sein könnten. Fabio de Masi hat in diesem Zusammenhang Anzeige gegen Scholz erstattet.
  • Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt im Rahmen der Cum-Ex-Aufklärung nun auch gegen den Top-Manager Michael Rüdiger (€), den Nachfolger von Friedrich Merz als Aufsichtsratschef von Blackrock, der zusätzlich in den Aufsichtsräten von Evonik und der Deutschen Börse sitzt.
  • Dem Handelsblatt liegt exklusiv der sogenannte Saturn-Bericht vor, in dem die Kanzlei Clifford Chance die Cum-Ex-Geschäfte der HSH aufgeschlüsselt hat. Die Autoren des Artikels “Hamburg: Paradies für Steuersünder” (€) wundern sich insbesondere, warum auf Basis dieses Berichts nie Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Hamburg aufgenommen wurden. Nun ermittelt die StA Köln gegen 15 Beteiligte und der lokale Untersuchungsausschuss prüft die politischen Verantwortlichkeiten.
  • Die Union versucht, ihren Anspruch auf Einsetzung eines auf die Rolle von Olaf Scholz fokussierten Warburg-Untersuchungsausschusses im Bundestag vor dem Bundesverfassungsgericht einzuklagen.

Hörens- und sehenswert

  • Justice Baby! – Schließen Steuern die Schere zwischen arm und reich? Ein neuer Podcast nimmt Recht und Gerechtigkeit unter die Lupe und fragt Julia Jirmann (NWSG) und Martyna Linartas nach Gerechtigkeit durch Steuern.
  • In Deutschland werden kleine Immobilienerbschaften stärker besteuert als sehr große. Wie das in der Praxis aussieht zeigt ARD Plus-Minus.
  • Grundsteuerreform: Ab 2025 gelten die neuen Regelungen zur Grundsteuer. Bayern hat sich dabei abweichend vom Bundesmodell ein eigenes Modell geschaffen: Bei dem reinen Flächenmodell spielen Grundstücksart, Lage und Alter der Gebäude keine Rolle. Zu welchen Ergebnissen das wertunabhängige Modell führt, zeigt ein ZDF Frontal-Beitrag.

Veranstaltungen

Online:

Für Düsseldorfer*innen:

  • 28.09.2023, 19:00 – 21:00 Uhr: Das Netzwerk Steuergerechtigkeit und die Friedrich-Ebert-Stiftung NRW veranstalten in Düsseldorf (Buchhandlung BiBaButze) eine Diskussion mit der Steuerfahnderin Birgit Orths. dem Ex-NRW-Finanzminister Walter-Borjans und dem BDK-Landeschef Oliver Huth zu notwendigen Reformen für effektive Steuerkriminalitätsbekämpfung.

Für Leipziger*innen:

  • 14.09..2023, 18:30 Uhr Vermögensungleichheit – Eine öffentliche Diskussion mit SPD Abgeordneten Nadja Sthamer und Julia Jirmann (NWSG). Ort: im Galerieraum des Wahlkreisbüros von Nadja Sthamer Rosa-Luxemburg-Str. 19/21, 04103 Leipzig.

Für Berliner*innen:

Für Oldenburger*innen:

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