Gerechtigkeitscheck Oktober – Im Zeichen der Wissenschaft
Unser Gerechtigkeitscheck kommt eine Woche später als gewohnt und auch auf den anderen Kanälen des Netzwerks war es ruhiger als gewöhnlich. Grund dafür: Wir arbeiten gerade parallel an vier Studien zu Milliardenvermögen, Übergewinnen, Gewinnverschiebung und Bürgerbeteiligung in der Debatte über Gerechtigkeit und Steuern. In den kommenden zwei Monaten erwarten Sie eine Reihe von spannenden Ergebnissen. Los geht’s am 13. November mit der Vorstellung unserer Machbarkeitsstudie zu einem Bürgerrat Gerechtigkeit und Steuern in den Räumen der Bosch-Stiftung in Berlin (Anmeldung hier).
Auch im Newsletter geht es dieses Mal noch wissenschaftlicher zu: Mit spannenden Studien zu Erbschaften, SDGs, Pillar 2 und Finanzkriminalität. Über seine Forschungsergebnisse zur historischen Entwicklung des Erbens in unterschiedlichen Kulturen und Gesellschaftssystemen sprechen wir mit dem Historiker Jürgen Dinkel auch in unserer neuen Folge des Podcast Steuergerechtigkeit.
Und: Neben den monatlichen Highlights aus unseren Arbeitsbereichen gibt es dieses mal Updates zu gleich zwei unserer acht Gerechtigkeitsindikatoren.
+++Update zum Gerechtigkeitsindikator “Geldwäsche”: weiter keine Transparenz trotz Transparenzregister+++Risikoanalysen für Finanzkriminalität von Europol und IWF+++Die Geschichte des Erbens und ein Reformvorschlag für die heutige Erbschaftssteuer+++Update zum Gerechtigkeitsindikator “große Vermögen”: Vermögen der Superreichen wächst schneller als Inflation+++OECD zeigt: Kapitaleinkommen bevorzugt besteuert+++Neuigkeiten zur UN-Steuerkonvention jetzt sogar im Live-Ticker+++Neues Impact Assessment zur globalen Mindeststeuer+++Die Entmachtung von Frau Brorhilker vorerst auf Eis+++
Update zum Gerechtigkeitsindikator “Geldwäsche”
Weiter keine Transparenz trotz Transparenzregister
Die (bisher) acht Gerechtigkeitsindikatoren aus unserem Jahrbuch Steuergerechtigkeitsollen helfen, die oft komplexen Entwicklungen im Steuer- und Finanzsystem mit aktuellen Zahlen nachvollziehbar zu machen. Gerechtigkeitsindikator Nummer sieben illustriert Fortschritte beim Kampf gegen Briefkastengesellschaften und Geldwäsche. Er zählt den Anteil der GmbHs, die sich – entsprechend des seit 2017 bzw. 2021 gültigen Gesetzes – ins Transparenzregister eingetragen haben. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit in einem Rechtsstaat, zumindest aber eine einfache Aufgabe und nur ein Zwischenschritt zum größeren Ziel.
Trotzdem zeigen neue Zahlen aus einer kleinen Anfrage der Linken im Bundestag: Der Anteil der eingetragenen GmbHs hat sich von Ende 2022 bis Mitte September 2023 von 57 auf 62 Prozent nur unwesentlich erhöht. Dabei ist mittlerweile sowohl die einjährige Eintragungspflicht (Juni 2022) als auch die einjährige Schonfrist von der Verfolgung (Juni 2023) verstrichen. Die Anfrage zeigt aber auch: Mit dem Ende der Schonfrist sind die Bußgeldverfahren nicht etwa explodiert. Sie verharren weiter bei etwa 100 pro Monat. Angesichts von etwa 600.000 fehlenden GmbH-Einträgen würde es mit dieser Geschwindigkeit fast 500 Jahre dauern, allein die GmbHs an die Gesetzestreue zu erinnern. Von einer effektiven Qualitätskontrolle wäre man dann noch immer meilenweit entfernt.
Ebenfalls spannend: Beim Register sind 33 Menschen allein mit der Prüfung von Anträgen auf Einsichtnahme beschäftigt. Hier könnten Bundesregierung und EU mit einer Vereinfachung der Regeln für Bürokratie und konkrete Einsparungen sorgen. Den entsprechenden Vorschlag hat das Europaparlament bereits formuliert und in die Trilog-Verhandlungen eingebracht. Und: Die Daten zu Immobilieneigentümern aus der ganzen Bundesrepublik sind pünktlich Ende Juli beim Bundesanzeiger eingetroffen, Ende 2023 sollen die ersten Mitarbeiter eingestellt werden und für die Bearbeitung zwei Jahre Zeit bekommen.
Schattenfinanz und Geldwäsche
Europol und IWF Risikoanalysen zur Finanzkriminalität
Seit Juni 2020 gibt es mit dem European Financial and Economic Crime Centre bei Europol zumindest den Ansatz eines europäischen Finanzkriminalamtes. Am 12. September hat das Zentrum jetzt seine erste Risikoanalyse für Finanzkriminalität in Europa veröffentlicht. Neben einer langen Aufzählung von allen möglichen Spielarten des finanziellen Verbrechens enthält der Bericht ein paar spannende Beispiele – z.B. die französische Krypto-Tauschbörse Bitzlato, bei der fast die Hälfte der Transaktionen kriminelle Hintergründe hatte oder Geld aus dem Magnitsky-Fall, das in spanischen Immobilien wieder gefunden wurde. Und eine spannende Zahl aus einer für die Studie durchgeführten Abfrage in den Mitgliedsstaaten: 2020 und 2021 wurden im Schnitt 4,1 Milliarden Euro pro Jahr eingezogen – im Vergleich zu 2,4 Milliarden Euro pro Jahr von 2010-2014. Nach Rechnung von Europol ergibt das weniger als 2 Prozent der kriminellen Erlöse. Eine Aufschlüsselung nach Ländern gibt es leider nicht. In ihrem Deutschlandbericht aus dem Jahr 2022 stellt die FATF aber fest, dass es hierzulande keine verlässliche Zahl zu Einziehungen gibt und lediglich zu eingefrorenen Vermögen (ca. 500 Mio. €) gute Zahlen vorliegen.
Einen ganz anderen Ansatz wählt eine IWF Risikoanalyse für die Nordischen und Baltischen Staaten. Sie fängt bei den grenzüberschreitenden Geldflüssen an und versucht, solche zu identifizieren, die sich nicht durch normale wirtschaftliche Beziehungen erklären lassen. Darunter größere unerklärbare Zuflüsse aus Irland seit 2019 – womöglich die Digitalkonzerne oder Brexit-Banken – aber z.B. auch aus Montenegro oder Angola. Insgesamt eine interessante Demonstration der Möglichkeiten und Grenzen einer Finanzfluss-basierten Risikoanalyse, wie sie das Tax Justice Networkseit einiger Zeit fordert.
Weitere Nachrichten:
- Der finale Referentenentwurf zum Finanzkriminalitätsbekämpfungsgesetz hat eine der zentralen Neuerungen verloren. Das Ermittlungszentrum und dessen Ermittlungsbefugnis zu verdächtigen Vermögen finden sich nicht mehr im Entwurf. Der abgespeckte Entwurf soll so bis Ende des Jahres durch das Gesetzgebungsverfahren, der fehlende Teil hoffentlich noch nachverhandelt und nachgereicht werden.
- Ein Gesetz soll den risikobasierten Ansatz der FIU bei der Filterung und Bearbeitung von Verdachtsmeldungen rechtssicher festschreiben. Dazu gab es eine kontroverse Expertenanhörung im Bundestag. Viele gute Vorschläge, wie mit der Vielzahl der wenig werthaltigen Meldungen (“melden macht frei”) sonst umgegangen werden soll (negative Typologien – also Listen wann nicht gemeldet werden muss? händisch anschauen? alles weiterleiten?) hatten die Kritiker nicht. Der Datenschutzbeauftragte lobte immerhin den Fokus auf schwere Straftaten und die Zoll- und Finanzgewerkschaft hielt den risikobasierten Ansatz im Gegensatz zu den anderen Gewerkschaftsvertretern für angemessen. Unklar bleibt, ob die Befreiung der FIU von der Analyse von sonstigen Straftaten (z.B. 5 € Ebay-Betrug) wirklich befreiend wirkt oder ob die Transaktionen als Geldwäsche doch wieder zu analysieren sind. Dass die Staatsanwaltschaften – und erst recht die Gerichte – mit den Verdachtsmeldungen und zusätzlichen Fällen überlastet sind, zeigt eine neue große Anfrage aus Hamburg (Vorabberichterstattung hier).
- Die neue Statistik der Geldwäscheaufsicht des BMF zeigt: Im Nicht-Finanzsektor verhängten 214 Mitarbeiter (Vollzeitäquivalente) Bußgelder von 550.000 Euro. Bei der BaFin schafften 126 Mitarbeiter immerhin 67 Vor-Ort-Prüfungen und verhängten 3,8 Millionen Euro Bußgeld. Die Kammern der Wirtschaftsprüfer und Anwälten verhängten lediglich eine Belehrung.
- Als Konsequenz aus den Berichten des ICIJ untersucht jetzt ein Team der US-amerikanischen Steuerbehörde IRS, ob sanktionierte Russen Vermögen in Trusts aus South Dakota versteckt haben – vor allem anscheinend in dem sie die Verwalter nach den wirtschaftlich Berechtigten fragen.
- Eine Studie aus Großbritannien zeigt, dass das dortige Register von ausländischen Eigentümern britischer Immobilien ebenso riesige Lücken aufweist wie das deutsche Transparenzregister (152.000 Immobilien sind – anders als in Deutschland – in einem separaten Register erfasst). Gründe für die Lücken sind u.a. dass die Eigentümer von Trusts im Register nicht öffentlich zugänglich sind und dass sich auch juristische Personen als wirtschaftlich Berechtigte eintragen dürfen, wenn sie ihren wirtschaftlich Berechtigten in einem anderen Register eintragen – was aber nicht überprüft wird.
- Innovative Methode der Geldwäsche: Banden in Schweden nutzen dafür offenbar mit Bitcoin gekaufte Spotify-Streams.
- Die neue Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung (ZfS) beim Zoll wird aktiv: Sie beschlagnahmt Autos in der Usmanow-Villa am Tegernsee.
Vermögen, Erbschaften, hohe Einkommen
Die Geschichte des Erbens und ein Reformvorschlag für die heutige Erbschaftsteuer
Wer erbt in Deutschland? Und wer entscheidet über die Verteilung der weitergereichten Vermögen? Dr. Jürgen Dinkel von der Universität Leipzig analysiert in seiner Habilitationsschrift „Alles bleibt in der Familie“ die Erbpraxis und das Erbrecht vom 19. bis ins 21. Jahrhundert. Dabei vergleicht er die Entwicklung in Deutschland mit der in den UdSSR und den USA. Er wertet dafür u.a. Daten aus Nachlassverfahren in Frankfurt am Main, Baltimore und Odessa aus. Seine Analyse zeigt u.a: Individuen und Verwandtschaftsnetzwerke passten ihre Erbpraktiken kontinuierlich an sich wandelnde Bedingungen an, um Vermögen in der Familie zu halten. Dadurch prägen sie bis heute individuelle Lebensentwürfe und die gesellschaftliche Vermögensverteilung. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts erbten die reichsten 10 Prozent der Frankfurter rund 90 Prozent des gesamten weitergereichten Vermögens. Gleichzeitig waren noch im Jahr 2000 etwa 40 Prozent der Erbschaften so gering, dass sie nicht einmal die Bestattungskosten finanzierten oder sogar Schulden übergaben (mehr zu den Ergebnissen in unserer neuen Podcast-Folge).
Nicht zuletzt mit Blick auf die große Vermögensungleichheit in Deutschland ist eine Reform der Erbschafts- und Schenkungssteuer politisch dringend geboten. Wie die aussehen könnte, skizziert unser neuer und umfassender Reformvorschlag. Darin beschreibt Julia, wie die Steuer einfacher, gerechter und ergiebiger werden könnte.
Weitere Nachrichten:
- Innerhalb der OECD-Staaten bestehen zwischen den Regionen große soziale Ungleichheiten in der Einkommensverteilung, so der aktuelle Regional Outlook 2023 der Organisation. Als Hauptursache gilt das Wachstum von Metropolregionen. Dort liegt das Pro-Kopf-BIP durchschnittlich rund 30 Prozent über dem nationalen Durchschnitt. In mehr als der Hälfte der Staaten hat die Einkommensungleichheit zwischen den Regionen in den vergangenen zwanzig Jahren zugenommen. In Deutschland ist sie zwar leicht rückläufig, aber nach wie vor sehr groß. Potentiale in ländlichen Regionen blieben so ungenutzt, so die Organisation. Zudem führen die Unterschiede zu Vertrauensverlusten gegenüber den Regierungen und bergen Gefahren für die Demokratie.
- Eine Studie des Max-Planck-Institut in Berlin unterstreicht die Wichtigkeit von Investitionen in frühkindliche Entwicklung, um negativen Langzeitfolgen für das gesamte Leben vorzubeugen. Kinder aus benachteiligten Haushalten wiesen genetische Marker auf, wie sie bei Krankheiten im späteren Alter auftreten. Ungleichheit wirkt so schädlich für Individuen und die gesamte Gesellschaft.
Update zum Gerechtigkeitsindikator “Große Vermögen”
Vermögen der Superreichen wächst schneller als Inflation
Die neue Reichenliste des Manager-Magazins ist erschienen. Die Top 100-Vermögen sind demnach im Vergleich zum Vorjahr um 8,5 Prozent gewachsen. Über 724 Milliarden Euro verfügen diese wenigen superreichen Familien und Einzelpersonen im Jahr 2023 – 57 Milliarden Euro mehr als 2022 und ganze 404 Milliarden Euro mehr als 2012. Auch die Anzahl der Milliardäre bzw. Milliardenvermögen ist gestiegen. Waren es im letzten Jahr noch 212, sind es in diesem Jahr bereits 226. Die BMW-Erben Stefan Quandt und Susanne Klatten halten den größten Anteil. Das Geschwisterpaar hat laut Manager Magazin ein Vermögen von 40,5 Milliarden Euro. Forbes kommt sogar auf etwa 50 Milliarden Euro. Grund dafür dürfte der unterschiedliche Umgang mit Dividenden sein. Den größten Vermögenszuwachs verzeichnete die Familie Viessmann mit einem Plus von 9,5 Milliarden Euro (+ 240 Prozent). Grund für den rapiden Vermögenszuwachs der Viessmanns ist der Verkauf des gleichnamigen Unternehmens, der die massive Unterbewertung des Vermögens im Manager Magazin sichtbar gemacht hat. Insgesamt dürfte das tatsächliche Vermögen der Superreichen also noch deutlich höher sein. Mehr dazu, demnächst in unserer Analyse der Reichenlisten.
Gerechtes, solidarisches und ökologisches Steuersystem
OECD-Analyse zeigt: Kapitaleinkommen steuerlich bevorzugt
Kapitaleinkommen werden in vielen Ländern effektiv niedriger besteuert als Lohneinkommen. Zu diesem Ergebnis kommt die OECD in einer aktuellen Untersuchung. Demnach werden die Einkommen aus Kapitalvermögen auch dann steuerlich begünstigt, wenn sowohl die von Unternehmen als auch von Privatpersonen gezahlten Steuern betrachtet werden. Deutschland liegt zwar im Vergleich im Mittelfeld, dennoch werden hier Arbeitseinkommen teilweise höher belastet.
Allerdings lässt die Studie wichtige Punkte außer Acht. Denn verglichen wurden die nominalen Steuersätze, die auf Unternehmensebene bei Entstehung des Gewinns anfallen, zzgl. der Kapitalertragsteuer, die bei Ausschüttung der Gewinne auf der privaten Ebene anfällt. In Deutschland werden die Gewinne von Hochvermögenden in der Regel aber nicht ausgeschüttet, sondern im Unternehmen oder in Beteiligungsgesellschaften angespart und von dort niedrig besteuert wieder investiert. Diese Möglichkeit gibt es bei Arbeitseinkommen nicht. Zudem hat die Untersuchung nicht berücksichtigt, dass die effektiven Unternehmenssteuersätze aufgrund von Gewinnverlagerung ins Ausland regelmäßig niedriger liegen.
Die Organisation weist darauf hin, dass sich die unterschiedliche Besteuerung von Arbeits- und Kapitaleinkommen negativ auf Effizienz und Gerechtigkeit der Steuersysteme auswirken kann.
-> Dass der typische deutsche Muster-Millionär effektiv deutlich geringer mit Steuern und Abgaben belastet wird als die Durchschnittsverdiener-Familie, zeigt unsere Vergleichsberechnung.
Weitere Nachrichten:
- Passend zur Debatte um den Einkommensteuertarif, zeigt der OECD-Bericht zudem, dass die Unterschiede bei der effektiven Steuerbelastung zwischen Durchschnittsverdienern und denen, die das 20-fache verdienen in Deutschland im internationalen Vergleich gering sind (9 Prozent).
- Das Öko-Institut untersucht die Verteilungswirkung des Klimageldes in fünf unterschiedlichen Ausgestaltungsoptionen. In allen untersuchten Varianten werden durch den Nettoeffekt von CO2-Bepreisung und das Klimageld untere Einkommen im Schnitt stärker entlastet (weniger belastet). Konkret erhalten die ersten drei bis vier Einkommensdezile eine Nettoentlastung, im vierten bis sechsten Dezil entsteht oft ein Nettoeffekt nahe Null, während obere Einkommen im Durchschnitt belastet werden. Die Spitzenbelastung liegt dabei immer unterhalb 1 Prozent des verfügbaren Einkommens. Allerdings gehen in der reinen Dezil-Betrachtung die wesentlich größeren Betroffenheiten vieler Haushalte mit niedrigen Einkommen unter, die hohe Heizkosten oder PKW-Kosten haben. Sie brauchen zusätzliche Hilfen. Das wird in den großen Intervallen der Belastungen deutlich (Vgl. Abb. 1)
- ZEW plädiert für Auslaufen der Steuerermäßigung in der Gastronomie: weil reiche und kinderlose Haushalte überproportional profitieren und eine Lenkungswirkung z.B. zu gesundem Essen fehlt, weil die Folgen der Coronakrise bewältigt und die Kosten mit drei Milliarden Euro hoch sind, plädiert eine Analyse des ZEW für die Auslaufen des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes in der Gastronomie. Lediglich bei Dienstleistungen in Schulen und Kindergärten wäre demnach eine Ausnahme vertretbar.
Internationale Steuergerechtigkeit
Neuigkeiten von der UN-Steuerkonvention – jetzt sogar im Live-Ticker
Mitte September war High-Level-Woche bei der UN. Der Bundeskanzler und mehrere Kabinettsmitglieder sind dafür nach New York gereist. Ein wichtiges Thema dabei war die Finanzierung von nachhaltiger Entwicklung, nicht zuletzt anlässlich der ernüchternden Halbzeitbilanz zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs). In der am 18. September beschlossenen Erklärung zu den SDGs stand vor allem die Reform der Entwicklungsbanken im Fokus. In Bezug auf die UN-Steuerkonvention findet sich dort nur ein allgemeiner Verweis auf die anstehende Debatte (“we look forward to the beginning of inter-governmental discussions”). Beim Beginn dieser Debatte am 20. September meldet sich von der deutschen Delegation allerdings niemand zu Wort. Auch aus den anderen G7-Staaten kam keine Wortmeldung. Als einziges EU-Land verwies Estland auf die 5 Jahre andauernden Anstrengungen rund um die OECD Reform, den dringenden Wunsch, diese über die Ziellinie zu bringen und danach weiter zu arbeiten ohne diese Anstrengungen zu duplizieren oder sogar zu gefährden. Ähnlich äußerte sich dann auch der Europäische Rat in einem Positionspapiervom 22. September. Darin spricht er sich gegen eine Steuerkonvention (Option 1 oder 2 des UN-Vorschlags) aus, verspricht aber eine offene und konstruktive Debatte. Wie es damit weitergeht, lässt sich beim Tax Justice Network jetzt sogar im Live Ticker verfolgen. Nächster Schritt: Vorlage eines Resolutionsentwurfs der afrikanischen Staaten bis spätestens zum 11. Oktober.
Weitere Nachrichten:
- (Global) Studie des South Centre zum Stand der SDGs in den Least Developed Countries. Zu den für das Thema Steuergerechtigkeit relevanten Zielen ist das Ergebnis eher traurig: In Hinblick auf Ziel 17.1 (domestic resources): Sind die Staatseinnahmen im Verhältnis zum BIP stark gefallen, von 34.2% in 2015 auf 28.7% in 2021, der Anteil der Steuereinnahmen daran blieb mit 57.7% konstant. Zu Ziel 16.4 (illicit financial flows) gibt es noch keine Daten.
- (EU) BEFIT Vorschlag der Kommission veröffentlicht: Mit demVorschlag nimmt die Kommission einen neuen Anlauf für eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Besteuerung von Unternehmen (früher CCCTB). Die Kommission schlägt dabei eine stark abgespeckte Version vor, die a) nur für Unternehmen mit mehr als 750 Millionen Euro verpflichtend ist b) ähnlich wie Pillar 2 der OECD ausgehend von der Handelsbilanz mit ein paar Korrekturen den steuerlichen Gewinn ermittelt c) diesen Gewinn zunächst nicht anhand einer Formel verteilt, sondern einfach den Status Quo der letzten drei Jahre festschreibt d) den Steuerbehörden immer noch die Möglichkeit belässt die verwendeten Verrechnungspreise anzuzweifeln sobald gewisse konzerninterne Zahlungen einen Grenzwert überschreiten. Die Kommission hofft so auf eine Umsetzung ab 2028 und nach einer Lernzeit dann vielleicht auch auf eine Verteilungsformel, die die Verrechnungspreise ablösen kann.
- (EU) Europäischer Gerichtshof erklärt belgische “Excess Profit” Regel für EU-rechtswidrig. Damit bestätigt er ein generelles Urteil der Kommission aus dem Jahr 2016. Eine Berufung ist noch möglich. Parallel hatte die Kommission 2019 Verfahren gegen 39 Unternehmen eröffnet. Die meisten aus Europa, darunter BASF, Henkel und Knauf.
Unternehmenssteuer
Neues Impact Assessment zur globalen Mindeststeuer
Pünktlich zur Debatte um die Umsetzung des Mindesteuervorschlags der OECD in deutsches Recht am 16. Oktober im Bundestag schätzt eine neue Studie die Aufkommenseffekte der Steuer global und für die einzelnen Länder. Unter der Annahme, dass die USA keine OECD-konforme Steuerreform umsetzt und die Steueroasen eine qualifizierte Top-Up Tax (QDMTT) beschließen, betragen die globalen Mehreinnahmen demnach insgesamt 107 Milliarden US-Dollar. 89 Milliarden US-Dollar davon würden in den Steueroasen landen, vor allem in den Cayman Islands, Singapur und Bermudas. Deutschland würde 2,2 bis 3,3 Milliarden US-Dollar erhalten und damit mehr als alle Mittel- und Niedrigeinkommensländer der Welt zusammen. Die Studie hat allerdings zwei große Haken: 1. Basiert sie auf Zahlen von 2019 und erfasst damit das Ende des Double Irish zum Januar 2020 noch nicht (und den damit bereits weitgehend abgeschlossenen Abfluss der Gewinne aus den Bermudas) 2. Findet sie für Deutschland einen effektiven Steuersatz von 13,5 %, was sehr wahrscheinlich auf eine Fehlinterpretation der Besteuerung von Personengesellschaften, Schachteldividenden oder andere Datenprobleme zurückzuführen ist.
Steuerverwaltung und Cum-Ex
Entmachtung von Cum-Ex-Jägerin Brorhilker vorerst auf Eis gelegt
Die Cum-Ex-Aufklärung in Deutschland steht und fällt mit der Hauptabteilung der Staatsanwaltschaft Köln, geleitet von der Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker. Dort werden über 1700 Beschuldigte verfolgt, natürlich im Zusammenspiel mit Steuerfahndungen und sonstigen Finanzbehörden in NRW und anderen Bundesländern. Viele Verfahren ziehen sich in die Länge, aber der generelle Konsens ist, dass unter Frau Brorhilker als äußerst engagierte Staatsanwältin mit über zehn Jahren Cum-Ex-Erfahrung auch die großen Fische konsequent verfolgt und verurteilt werden. Sorge bereiteten neben Personalproblemen höchstens ihre Vorgesetzten Joachim Roth sowie der Grüne NRW-Justizminister Limbach, um den es in Sachen Cum-Ex seit seinem Amtsantritt mehrere Aufreger gab.
Nachdem mit Roth der Leiter der Staatsanwaltschaft Köln sein Amt niedergelegt hat, eskalierte nun der Streit mit Limbach: Der von ihm auserkorene neue Leiter der Staatsanwaltschaft Köln wollte die Personalprobleme lösen, indem Brorhilkers Hauptabteilung aufgeteilt und ihr ein weiterer Leiter an die Seite gestellt wird, um sie zu entlasten. Klingt in der Theorie gut, macht in der Praxis aber vermutlich wenig Sinn. Denn der Nachfolger in spe hatte keinerlei Erfahrung mit dem Thema und weiteres Personal war sonst nicht vorgesehen. Zudem hätte es mit geteilter Führung kein geeintes Ermittlungskonzept mehr gegeben; die eine Hälfte der Fälle würden anders behandelt werden als die andere. Ein Fest für die Beschuldigtenanwälte. Der Generalstaatsanwalt, der Personalrat der Staatsanwälte aus NRW und Brorhilker selbst haben den Grünen Minister in dem Zusammenhang dieser Entmachtung der Täuschung bezichtigt und sich gegen die Maßnahme ausgesprochen. Was daher der Kern der Sache ist: Brorhilker würde die Hälfte ihrer Fälle entzogen und die Beschuldigten dürfen frohlocken.
Da die Kritik, unter anderem öffentlich durch eine Petition der Finanzwende und vom Cum-Ex-Sachverständigen im Untersuchungsausschuss des Bundestags, Wirtschaftsprofessor Christoph Spengel, anscheinend doch zu groß wurde, hat Limbach in einem Brief an die rechtspolitischen Sprecher der Fraktionen im Landtag angekündigt: Umstrukturierung wird zunächst auf Eis gelegt und andere Maßnahmen werden erwogen. Allerdings ist aufgeschoben nicht aufgehoben – die Sache bleibt heiß.
Weitere Nachrichten:
- Auch sonst macht Limbach keine gute Figur: Es gibt weiterhin Beschwerden sowie Klagedrohungen aus Hamburg, da nun seit über einem Jahr Akten nicht an den dortigen Untersuchungsausschuss geliefert werden.
- Studie zu den Ansteckungswirkungen von Cum-Ex mit interessanten Ergebnissen: Nach den Gesetzesänderungen in Deutschland gab es Spillovers in einige andere EU-Länder; eine Welle ab 2012 (deutsche Reform zu Cum-Ex) und eine weitere ab 2016 (Reform zu Cum-Cum). Dort scheinen steuergetriebene Geschäfte dieser Art weiterhin zu funktionieren. Ausländischer institutioneller Besitz von Aktien ist positiv korreliert mit single-stock futures, welche wiederum ein wichtiger Bestandteil vieler Cum-Ex-Konstruktionen sind.
- Marcus Jung kommentiert in der FAZ: “Wenn Anwälte, wie im Fall von Cum-ex, den juristischen Graubereich verlassen, versagen in den Kanzleien Kontrollsysteme. Die Lehre muss sein: Mehr aufeinander zu achten!”
- Die US-Steuerbehörde IRS sorgte in dortigen polarisierten Politik für Aufsehen: Um Budgetsteigerungen zu rechtfertigen, startete die Behörde eine Kampagne, in der sie sich auf die Steuerangelegenheiten von 1.600 Millionären und 75 große Partnerschaften fokussieren will.
- Hanno Bergers Anwälte präsentieren seine Verteidigungsstrategie für die Revision: Berger war wegen des Vorwurfs des Betrugs im Rahmen seiner Beratungen zu Cum-Ex aus der Schweiz ausgeliefert worden. Seine Anwälte argumentieren nun, dass die Gerichte sich in den zwei Verfahren gegen Berger jedoch lediglich um den Vorwurf der Steuerhinterziehung gekümmert hätten – weswegen die Schweiz wiederum nicht ausliefert. Da nach dem Spezialitätsgrundsatz nur wegen der Vergehen, die im Auslieferungsbescheid genannt werden, eine Verurteilung erfolgen könne, seien die Verurteilungen rechtswidrig. Denn die Auslieferung hätte gar nicht erst erfolgen dürfen.
- In einem spannenden Steuerfahndungsfall der erfolgreichen bayerischen Sondereinheit SKS geht es um luxemburgische Briefkastenfirmen, die deutschen Millionären die Steuerhinterziehung ermöglichen (nacherzählt im Manager Magazin (€))
- Die Cum-Ex-Prozesse gegen den ehemaligen Warburg-Vorstand Christian Olearius und den ehemaligen Freshfields-Steuerchef Ulf Johannemann haben begonnen.
- Der Jahresbericht der hessischen Oberfinanzdirektion zeigt: Die hessische Steuerfahndung hat Mehreinnahmen in Höhe von 152 Millionen Euro generiert. Das entspricht knapp 700.000 Euro pro Fahnder*in. Die Mehreinnahmen der Betriebsprüfung liegen indes bei über einer Milliarde Euro – sogar knapp 800.000 € pro Prüfer*in. Die Personalzahlen sind in beiden Bereichen leicht gestiegen.
Verantsltungen: (inoffizielle) Serie zur Reduzierung von Ungleichheit und Besteuerung von Reichtum
Für Berliner*innen:
Online
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