Anpassung der Steuerklassen ersetzt nicht die Reform des Ehegattensplittings

Die Ampel-Regierung will die Steuerklassen 3 und 5 für Ehepaare abschaffen und damit ein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umsetzen. Die Anpassung der Steuerklassen kann aber nur der erste Schritt zur Überwindung des Ehegattensplittings sein. Unsere Analyse zeigt, was danach folgen sollte.

Über die Abschaffung des Ehegattensplittings wird in Deutschland regelmäßig diskutiert. Dieses Besteuerungsverfahren ermöglicht verheirateten Paaren sowie eingetragenen Lebenspartner:innen eine gemeinsame Veranlagung bei der Einkommensteuer. Bei Paaren mit unterschiedlich hohen Einkommen führt dies zu einer geringeren Gesamtsteuerlast im Vergleich zur getrennten Besteuerung. Der Grund dafür liegt in der Progressivität des Steuertarifs.

Besserverdiener-Ehen profitieren stärker

Der Steuervorteil ist umso höher, je größer der Einkommensunterschied zwischen den Eheleuten und je höher das gemeinsame Einkommen ist. Den größten Vorteil erhalten Alleinverdiener-Paare mit einem Einkommen ab dem der Reichensteuersatz von 45 Prozent (inkl. Soli 47,5 Prozent) greift. So bekamen Paare mit einem zu versteuernden Einkommen von 556.000 Euro im Jahr 2023 die maximale Steuervergünstigung von 19.310 Euro.

Alleinverdiener-Paaren mit einem Durchschnittseinkommen profitieren deutlich weniger vom Splittingverfahren: Bei einem zu versteuernden Einkommen von 48.000 Euro liegt der Vorteil nur bei etwa 4.600 Euro pro Jahr.

Splittingverfahren setzt negative Arbeitsanreize

Dieser Steuervorteil nimmt jedoch schnell ab, wenn Zweitverdienende ebenfalls eine Arbeit aufnehmen und Einkommen erzielen: Bei einem zweiten Einkommen von 10.000 Euro im Jahr sinkt der Vorteil auf rund 1.800 Euro und bei 20.000 Euro bereits auf 760 Euro. Dies führt zum zweiten Problem des Ehegattensplittings. Für Zweitverdienende – überwiegend Frauen – führt das Splittingverfahren zu einem hohen Grenzsteuersatz. Das bedeutet konkret: Wenn sie eine weitere bezahlte Arbeit aufnehmen, wird diese stärker besteuert, als wenn sie allein veranlagt würden.

Unter Ökonom:innen gilt das deutsche Splittingverfahren als ein Grund für die relativ geringe Erwerbsbeteiligung verheirateter Frauen. Internationale Organisationen wie die OECD, der IWF und die UN haben wiederholt angemahnt, die Erwerbsanreize für Zweitverdienende – und damit insbesondere für Frauen – durch eine Reform des Splittingverfahrens zu verbessern.

Reform der Steuerklassen genügt nicht

Eine Reform der Steuerklassen hat keine Auswirkung auf das Ehegattensplitting an sich, sondern ändert nur das Auszahlungsverfahren. Die Steuerklassen 3/5 sowie 4 mit Faktorverfahren sorgen dafür, dass die Steuervergünstigung unterjährig über den Lohnsteuerabzug des Arbeitgebers an die Eheleute ausgezahlt wird. Durch die Steuerklassenkombination 3/5 landet diese Vergünstigung jedoch auf dem Konto der Besserverdienenden – in der Regel bei Männern. Die Steuerklasse 4 mit Faktorverfahren sorgt hingegen dafür, dass der Vorteil gerecht aufgeteilt wird. Dieses Verfahren gilt jedoch nicht standardmäßig, sondern muss aktiv beim Finanzamt beantragt werden – was kaum getan wird. Diese Hürde soll nun abgeschafft werden indem die Steuerklasse 4 standardmäßig gilt.

Das ist zunächst ein richtiger Schritt, denn Studien gehen davon aus. dass sich allein dadurch die Arbeitsanreize der Zweitverdienenden leicht steigern lassen. Allerdings ändert das nichts am grundlegenden Problem: Ungleiche Einkommen innerhalb der Ehe werden weiterhin steuerlich gefördert, auch wenn der Steuervorteil nun immerhin gerecht zwischen den Verheirateten aufgeteilt wird.

Überwindung des Ehegattensplittings möglich

Die Abschaffung des Ehegattensplittings scheitert bisher am politischen Widerstand gegen die damit verbundene steuerliche Mehrbelastung derjenigen, die aktuell vom Splitting profitieren – überproportional sind das besserverdienende Paare.

Zahlreiche Alternativmodelle wurden entwickelt, die teils komplex sind. Diese Alternativen zielen im Wesentlichen darauf ab, die Mehrbelastungen für Paare möglichst gering zu halten und gleichzeitig den Grenzsteuersatz für Zweitverdienende zu senken, um negative Arbeitsanreize abzubauen.

Unsere Analyse der meistdiskutierten Modelle zeigt, dass es möglich ist, das Splittingverfahren abzuschaffen und dabei gleichstellungspolitische Fortschritte zu erzielen, Familien nicht stärker zu belasten und keine Mindereinnahmen für die öffentlichen Haushalte zu erzeugen – vorausgesetzt, es werden entsprechende Begleitmaßnahmen ergriffen.

Schrittweise Rückführung 

Um die arbeitsmarkt- und familienpolitische Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern, ist eine weitgehende Rückführung des Splittingverfahrens ratsam. Dabei sind der Überwindung des Ehegattensplittings verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt, die jedoch weniger restriktiv sind, als häufig angenommen. Um die Anforderungen der Verfassung zu erfüllen, genügt es, das steuerliche Existenzminimum beider Partner:innen freizustellen. Konkret bedeutet dies, dass eine Abschaffung des Splittings und der Wechsel zur Individualbesteuerung möglich sind, solang der Grundfreibetrag für beide steuerfrei bleibt. Durch diese Änderung könnten steuerliche Mehreinnahmen von mindestens 11 Milliarden Euro erzielt werden. Hinzu kommen mittelbar weitere Einnahmen von rund 1 Milliarde Euro durch Mehrarbeit der Zweitverdienenden.

Langfristig sollte das Ziel die vollständige Abschaffung des Ehegattensplittings sein. Der Weg dahin kann schrittweise erfolgen, um mögliche Härten abzufedern:

  1. Kurzfristig – Reform der Steuerklassen: Noch in dieser Legislaturperiode ist die Abschaffung der Steuerklassenkombination 3/5 notwendig.
  2. Zweiter Schritt – Ausmaß des Steuervorteils begrenzen: Durch einen maximalen Übertragungsbetrag zwischen den Eheleuten von 13.805 Euro in Anlehnung an das Realsplitting für Geschiedene begrenzt werden.
  3. Dritter Schritt – Ausmaß weiter begrenzen: Durch die Absenkung des Übertragungsfreibetrags auf die Höhe des Grundfreibetrags kann der Vorteil weiter begrenzt werden.
  4. Langfristig – Individualbesteuerung: Schließlich sollte die Individualbesteuerung mit übertragbarem zweiten Grundfreibetrag eingeführt werden.

Die zunehmend bei jedem Schritt freiwerdenden Mittel durch den Wegfall der Steuervorteile müssen gezielt in die Familienförderung, insbesondere in die Kinderbetreuung, fließen.

Hier geht’s zu Studie 

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