Erneut Steuererlasse in Milliardenhöhe für Erben von Großvermögen
Die Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistik für das Jahr 2023 ist erschienen und suggeriert steigende Steuereinnahmen. Insbesondere für Großvermögen ist die Statistik aber irreführend, weil ein Großteil der festgesetzten Steuern im Nachgang wieder erlassen wurde. Allein im letzten Jahr verzichtete der Staat auf 2,1 Milliarden Euro und die Milliardenerben zahlten weniger als ein Prozent Steuern. Abermals wird deutlich: Die Erbschaftsteuer ist aufgrund der weitreichenden Privilegien für superreiche Unternehmenserben weder effektiv noch gerecht.
Bereits mehrfach wurden die Ausnahmen für große Unternehmensvermögen bei der Erbschaftsteuer in den vergangenen Jahren vom Bundesverfassungsgericht als zu weitreichend und damit für verfassungswidrig erklärt. Aufgrund wirksamer Lobbyarbeit wurden allerdings nur sehr wenige „echte“ Korrekturen am Gesetz vorgenommen und neue umfangreiche Privilegien und Umgehungsmöglichkeiten für Superreiche geschaffen. Die aktell erschiene Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistik für das Jahr 2023 zeigt das Problem erneut sehr deutlich: Erben von Milliardenvermögen zahlen nach wie vor keine oder kaum Steuern.
Ein Blick in die Statistik suggeriert zwar zunächst steigende Steuereinnahmen und einen zumindest teilweise progressiven Steuersatz. Allerdings sind die ausgewiesenen Werte bei Großübertragungen (über 20 Millionen Euro) wenig aussagekräftig, gar irreführend, denn ein Großteil der Steuer wird zwar zunächst von den Finanzämtern festgesetzt (und in der Statistik erfasst) aber im Nachgang wieder erlassen (ohne dass dies in der Statistik ausgewiesen wird).
Zunächst ein Blick auf die Statistik: Demnach wurde im Jahr 2023 ein Vermögen von rund 120 Milliarden Euro von den Finanzämtern veranlagt (2022: 101 Milliarden). Auf dieses Vermögen wurden Steuern von 11,8 Milliarden Euro festgesetzt (2022: 11,4 Milliarden Euro). Der durchschnittliche Steuersatz laut Statistik liegt damit bei 10 Prozent und damit noch einmal niedriger als im Vorjahr (2022:11,2 Prozent).
Tabelle 1: Erbschaft- und Schenkungsteuern im Festsetzungsjahr 2023
Steuererlasse auf Großvermögen fehlen in der Steuerstatistik
Allerdings entsprechen die festgesetzten Steuern bereits seit 2021 nicht mehr den tatsächlich gezahlten Steuern. Denn gezahlt an die Finanzämter wurden nicht wie festgesetzt 11,8 Milliarden Euro, sondern lediglich 9,2 Milliarden Euro. Der Grund dafür sind umfangreiche Steuererlasse auf Großerbschaften und -schenkungen. In diesen Fällen wird die Steuer zunächst festgesetzt und erst im Nachgang per Bescheid erlassen wird. Letzteres ist in der Statistik aber nicht zu erkennen. Die tatsächlichen Steuersätze auf Vermögen der Kategorie über 20 Millionen Euro sind also deutlich niedriger als die Statistik suggeriert
Zum Hintergrund: Bereits seit dem Jahr 2009 können Erben von Unternehmensvermögen Steuerbefreiungen von bis zu 100 Prozent erhalten. Bei seinem letzten Urteil im Jahr 2014 forderte das Bundesverfassungsgericht unter anderem, dass es diese Befreiungen für große und sehr große Unternehmensvermögen keinesfalls ohne die Bedürftigkeit des Erwerbers geben dürfe und zudem die Schlupflöcher beseitigt werden müssen. In Reaktion auf das Urteil hat der Gesetzgeber nachgebessert. So wurde mit der Reform 2016 eine Obergrenze für Steuerbefreiungen bestimmt. Für Unternehmensvermögen über 26 bzw. 90 Millionen Euro durften die Befreiungsregelungen nicht mehr angewendet werden. Allerdings wurde im Gegenzug für diese Großvermögen die Möglichkeit eines hundertprozentigen Steuererlasses eingeführt. Damit wurde die Chance einer gerechten Lösung – etwa die Stundung der Steuer über viele Jahre – vertan. Um den Erlass zu erhalten, müssen Erben und Beschenkte nachweisen, dass sie über kein Vermögen verfügen, um die Steuer zu begleichen. Allerdings wurde die sogenannte Bedürfnisprüfung so ausgestaltet, dass mit steigendem übertragenen Unternehmenswert auch das Ausmaß der Begünstigung – sowohl relativ als auch absolut – zunimmt. Denn die Prüfung stellt lediglich auf das zum Übertragungsstichtag vorhandene sog. nicht begünstigte Vermögen ab (u.a. Privatvermögen). Welche Gewinne aus dem millionenschweren Familienunternehmen generiert werden oder wie viel Dividende die milliardenschwere Beteiligung am geerbten Großkonzern künftig abwirft, bleibt unberücksichtigt. Zudem lässt die Bedarfsprüfung Gestaltungen in erheblichem Ausmaß zu. So ist es etwa möglich, das verfügbare Vermögen in begünstigtes Vermögen umzustrukturieren oder Großübertragungen gezielt auf „bedürftige“ Kinder vorzunehmen, die kein Vermögen zur Begleichung der Steuer haben. Ebenso kann durch Übertragung des Vermögens auf eine vermögenslose Familienstiftung die Steuer umgangen werden – die Begünstigten der Stiftung, die die Unternehmensgewinne erhalten, müssen ihre „Bedürftigkeit“ für den Steuererlass nicht nachweisen.
26 “bedürftige“ Großerben erhalten Steuererlass von rund 2,1 Milliarden Euro
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden im Jahr 2023 in 26 Fällen Steuern in Höhe von insgesamt 2,1 Milliarden Euro erlassen. In diesen Fällen wurde schätzungsweise ein begünstigtes Vermögen von rund 7 Milliarden Euro übertragen. Das Finanzamt hat darauf zunächst eine Steuer von 2,13 Milliarden Euro festgesetzt. Aufgrund von Bedürftigkeit wurden davon aber 99,7 Prozent wieder erlassen. Tatsächlich mussten die Erben und Beschenkten insgesamt nur 6,28 Millionen Euro zahlen. Ihr effektiver Steuersatz liegt also im Durschnitt bei rund 0,1 Prozent. Damit wird deutlich, dass die Verschonungsbedarfsprüfung so ausgestaltet ist, dass sie im Ergebnis fast immer zu einem weitreichenden Steuererlass führt.
Eine positive Entwicklung im Hinblick auf die Transparenz: In den Vorjahren mussten wir noch um die Veröffentlichung der Daten bitten, jetzt veröffentlicht sie das statistische Bundesamt – wenn auch gut versteckt – selbst.
Weil diese Super-Verschonung erst 2016 eingeführt wurde und die Bearbeitung dieser komplexen Fälle bei den Finanzämtern teilweise viele Jahre dauern kann, dürfte sich das tatsächliche Ausmaß erst in dem nächsten Jahre widerspiegeln. Für das Jahr 2021 lagen erstmals Zahlen zum neuen Erlass vor. Demnach erging im Jahr 2021 in zehn Fällen ein Erlassbescheid über knapp eine halbe Milliarde Euro, im Jahr 2022 waren es bereits 24 Fälle und ein Steuerverzicht von 1,5 Milliarden Euro.
Wie hoch die effektiven Steuersätze im Jahr 2023 auf sämtliche Großübertragungen – also nicht nur jene, in denen ein Steuererlass gewährt wurde – konkret waren, lässt sich anhand der Daten zu den Steuererlassen nicht ermitteln. Das liegt daran, dass zwischen der Steuerfestsetzung und den Steuererlassen kein zeitlicher Gleichlauf besteht. Auch das Statistische Bundesamt hat keine Informationen darüber, auf welches Festsetzungsjahr sich ein Steuererlass bezieht. Das bedeutet: Die 26 Fälle, in denen 2023 ein Erlass ergangen ist, könnten sich auf Festsetzungsfälle im Jahr 2021 oder 2022 beziehen. Zudem können Steuern, die in 2023 festgesetzt wurden, nach Ablauf des Jahres 2023 erlassen werden.
Vergleicht man aber die Steuerzahlungen, die beim Fiskus im vergangenen Jahr eingegangen sind mit den Festsetzungen aus der Steuerstatistik, lässt sich näherungsweise ein Gleichlauf zwischen Festsetzung und Erlass erkennen.
Tabelle 2: Differenz Einnahmen Erbschaft- und Schenkungststeuer und Steuerfestsetzung
Geht man nun davon aus, dass sich der Steuererlass von 2,1 Milliarden Euro auf das Festsetzungsjahr 2023 bezieht, liegt der tatsächliche Steuersatz auf sämtliche Großübertragungen (mehr als 20 Millionen Euro) im Jahr 2023 bei rund 4,5 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 2013 und somit vor der Reform und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes lag der effektive Steuersatz auf Übertragungen mit einem Wert von mehr als 20 Millionen Euro bei rund 3 Prozent. Die Reform hat somit kaum Auswirkungen: Die Erbschaft- und Schenkungsteuer ist nach wie vor stark regressiv. Das heißt: Wer viel erbt oder geschenkt bekommt, zahlt einen niedrigeren Steuersatz als Menschen, die ein kleines steuerpflichtiges Vermögen erhalten. Das befeuert die ohnehin sehr hohe Vermögensungleichheit in Deutschland weiter.
Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer sind größte Steuersubvention
Der Staat verzichtete 2023 auf Einnahmen von insgesamt rund 8 Milliarden Euro zugunsten von Unternehmenserb:innen. Im vergangenen Jahr wurde in allen Bundesländern aufgrund der Steuerausnahmen insgesamt auf rund 8 Milliarden Euro Einnahmen verzichtet. Die Verschonungsregelungen bei der Erbschaftsteuer sind laut Subventionsbericht der Bundesregierung jährlich die größte Steuersubvention in Deutschland. Derzeit erhalten die reichsten zehn Prozent der Gesellschaft die Hälfte des Erb- und Schenkungsvolumens, während die ärmere Hälfte leer ausgeht. Zum überwiegenden Anteil landet deshalb die Steuersubvention bei den reichsten Teilen der Bevölkerung. Zum einen verkehrt dies das Leistungsfähigkeitsprinzip ins Gegenteil und zum anderen fehlt es für die umfangreichen Steuerprivilegien an einer Rechtfertigung. Ganz im Gegenteil: Dem ausgerufenen Ziel der Steuerausnahmen, wie etwa dem Arbeitsplatzerhalt, wirken sie sogar entgegen und können gesamtwirtschaftlich nachteilig sein. Dies belegen zahlreiche (Meta-)Studien (OECD: 2021, OECD: 2023, Beirat des BMF: 2012).
Aktuell prüft das Bundesverfassungsgericht die Regelungen für Firmenerben zum dritten Mal. Eine Entscheidung hat das Gericht noch für dieses Jahr angekündigt. Unabhängig von der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Richter in Karlsruhe gilt aber, dass die Steuerprivilegien für Großerbschaften mit Blick auf die große Vermögensungleichheit in Deutschland sowie die hohen Kosten der Subvention eine Änderung der bestehenden Regelungen politisch dringend geboten ist. Im Ergebnis muss die Erbschafts- und Schenkungsteuer effektiv progressiv sein. Damit dies erreicht wird, müssen die komplexen und gestaltungsanfälligen Regelungen zur Verschonung durch langfristige Stundungsregelungen ersetzt werden. Das wäre ein Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit und -vereinfachung.
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