Faire Besteuerung der „digitalen Wirtschaft“

In den letzten Monaten steht die Besteuerung der „digitalen Wirtschaft“ und digital vermittelter Wirtschaftstätigkeiten verstärkt im Fokus der öffentlichen und politischen Diskussion. Die EU-Kommission hat 2017 eine breitere Diskussion dazu begonnen und im März 2018 Vorschläge für die Besteuerung von großen Unternehmen der Digitalwirtschaft unterbreitet. Am 04.09.2018 wurde ein Papier aus dem Bundesfinanzministerium bekannt, das sich gegen den kurzfristig wichtigsten dieser Vorschläge ausspricht. Daneben gibt es weitere Probleme, insbesondere der Besteuerung digital vermittelter Umsätze und dazu einen Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet.
Besteuerung der Erträge der Internetkonzerne
Hier stellen sich in besonders hohem Maße die Probleme internationaler Steuervermeidung bzw. –verkürzung dar, weil die Gewinne dieser Unternehmen wesentlich auf digital vermittelten Aktivitäten beruhen, bei denen keine steuerlichen Anknüpfungspunkte (Tochterunternehmen oder Betriebsstätten) im Land der Kunden bestehen (müssen). Hinzu kommt, dass auf die Nutzung intellektueller Eigentumsrechte (intellectual property rights – IPR, insb. Copyrights und Patente) häufig keine oder nur geringe Ertragsteuern gezahlt werden müssen, da deren steuerlicher Sitz oder die Erträge leicht in Steueroasen bzw. Niedrigsteuergebiete verschoben bzw. steuergünstige Sonderregelungen (Patent- bzw. Lizenzboxen) in Anspruch genommen werden können.  Das Resultat ist eine im Durchschnitt nur etwa halb so hohe Steuerbelastung dieser Unternehmen im Vergleich zu anderen, was auch Wettbewerbsprobleme aufgrund der Benachteiligung höher besteuerter kleinerer und nicht in Steueroasen sitzenden Unternehmen und anderer Branchen mit sich bringt.
Die EU-Kommission hat daher Vorschläge entwickelt, ins internationale Steuerrecht neu die Form einer virtuellen Betriebsstätte aufgrund signifikanter digitaler Präsenz aufzunehmen, wenn bestimmte ökonomische Größenordnungen der digitalen Geschäfte in dem Land überschritten werden. Dieser Betriebsstätte würden dann Gewinne zugeordnet, wobei neben den bisherigen Berechnungskriterien insb. Einnahmen aus Werbung, Plattformen und anderen digitalen Dienstleistungen zugrunde gelegt werden sollen. Da die Umsetzung dieses Konzepts innerhalb der EU (im Rahmen der geplanten Gemeinsamen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage, bei der der Teufel im Detail steckt) und erst recht international im Rahmen der OECD und der Doppelbesteuerungsabkommen ein längerfristiges Projekt ist, schlägt die EU-Kommission als Übergangslösung eine Ausgleichssteuer in Höhe von drei Prozent auf die Umsätze aus den genannten digitalen Geschäftsmodellen vor, wenn die „Hauptwertschöpfung durch Nutzermitwirkung entsteht“. Diese soll dann von der Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage abgezogen werden können, um Doppelbesteuerung zu vermindern.
Das Ziel dieser Vorschläge, eine gerechtere, und das heißt höhere Besteuerung der „digitalen Wirtschaft“ durchzusetzen, ist unterstützenswert. Dennoch sind einige Probleme und Einwände ernst zu nehmen. Die Vorschläge haben Elemente von Willkür, denn auch „nichtdigitale“ internationale Unternehmen nutzen solche Steuervermeidungsmöglichkeiten. Die Position des Bundesfinanzministeriums ist aber vor allem dadurch begründet, dass sich der deutsche Staat im Interesse der deutschen Exportindustrie und möglichst hoher besteuerbarer Gewinne am Stammsitz in Deutschland bisher für eine enge Betriebsstättendefinition eingesetzt hat, damit Verkaufsniederlassungen etwa der deutschen Autokonzerne nicht zu Ertragsteuerzahlungen im Land des Verkaufs führen. Diese Position wirft allerdings das Problem auf, dass sie zu Lasten der Besteuerungsmöglichkeiten anderer Länder geht. Bei der Digitalsteuer wären hauptsächlich US-Konzerne wie Alphabet/Google, Amazon, Apple, Facebook, Microsoft usw. betroffen. Dies erscheint aufgrund deren teils exorbitanter Gewinne und niedriger Besteuerung gerechtfertigt, wird aber von den USA als Diskriminierung betrachtet. Es sind aber auch exportorientierte deutsche und EU-Unternehmen der Digitalwirtschaft betroffen. Es treten teilweise Doppelbesteuerungen auf, was aber vertretbar ist.
Ein Problem ist m.E., dass die Begründungskonstruktion der „Wertschöpfung“ durch Erzeugung und Überlassung von Nutzerdaten oder auch durch bloße Verwertung von IPR nicht sehr überzeugend ist. Aus gewerkschaftlicher Sicht sollten m.E. weiter Produktion/Schöpfung von Wert mittels Erwerbsarbeit einerseits und Aneignung von Wert (mittels Eigentum an Kapital inkl. kapitalistisch genutzter Eigentumsrechte an Boden oder geistigem Eigentum, sprich IPR) andererseits unterschieden werden. Nicht Nutzerdaten als solche, sondern ihre Auswertung und Verarbeitung tragen zur Wertschöpfung bei. Eine Begründung einer Digitalsteuer aus gewerkschaftlicher Perspektive könnte wie folgt aussehen: Monopolistische IPR und Netzwerkeffekte führen dazu, dass manche Konzerne besonders hohe Profite auf der Basis von Monopolrenten aneignen können, die auf einer Umverteilung von Wert beruhen, der in anderen Bereichen der Wirtschaft geschaffen worden ist. Sie gehören mittlerweile zu den wertvollsten Unternehmen der Welt. Zudem kann der steuerliche Sitz von IPR unabhängig vom Ort ihrer Produktion (Programmierung usw.) und der Arbeit mit ihnen gewählt werden, so dass hier anders als bei Sachkapital oder Boden kein Bezug zum Ort von Wertschöpfung mehr bestehen muss. Daher ist m.E. notwendig und gerechtfertigt, Monopolrenten in dem Land, in dem sie zu Lasten der Kunden angeeignet werden, steuerlich abzuschöpfen, unabhängig vom Standort des Leistungsanbieters. Grundsätzlich sollte am Ort der Wertschöpfung besteuert werden und Konstruktionen, die solche Steuerzahlungen vermeiden sollen, sind zu unterbinden bzw. zu bekämpfen. Die Vorschläge der EU-Kommission wirken faktisch in diese Richtung und sollten daher im Grundsatz unterstützt werden.
Besteuerung über das Internet vermittelter Umsätze
Der Handel mit digitalen Gütern und Dienstleistungen und der Verkauf von Waren aller Art vermittelt über Internetplattformen ist ganz normal umsatzsteuerpflichtig. Während früher der Mehrwertsteuersatz im Sitzland des Unternehmens maßgeblich war, ist seit 2015 grundsätzlich der im Land des Käufers oder der Leistungserbringung geltende Mehrwertsteuersatz anzuwenden. Dabei übernimmt der Mini-One-Stop-Shop des Bundeszentralamts für Steuern für die Unternehmen die Verteilung der Umsatzsteuer innerhalb der EU, dennoch ist das System kompliziert und für kleinere Unternehmen mit erheblichem Aufwand verbunden. Ein Problem ist die Durchsetzung der Steuerpflicht insb. gegenüber Anbietern aus Drittstaaten außerhalb der EU. Hier werden in erheblichem Umfang die eigentlich fälligen Steuern nicht gezahlt, was kaum zu verfolgen ist, und womit auch Benachteiligungen europäischer Anbieter verbunden sind, die sich der Steuerpflicht nicht entziehen können.
Ein erster wichtiger und guter Schritt wäre eine konsequente Umsetzung des Gesetzentwurf der Bundesregierung gegen Steuerbetrug beim Online-Handel. Dieses sieht vor,, online Marktplätze wie Amazon zu verpflichten, Angaben über Verkäufer auf Ihren Plattformen zu erheben, die möglicherweise umsatzsteuerpflichtige Umsätze erzielen. Zudem sollen die online Marktplätze unter bestimmten Bedingungen für nicht entrichtete Umsatzsteuer haften. Ob die konkret geplanten Regelungen hinreichend sind, kann ich nicht beurteilen. Zu klären bleibt außerdem, wie die Verpflichtungen sanktioniert und wie die Haftung gegenüber Marktplätzen in Drittstaaten durchgesetzt werden sollen. Eine Ausweitung von Stichproben und Kontrollen wäre jedenfalls sinnvoll, dafür ist eine verbesserte Personalausstattung bei den zuständigen Finanzbehörden und beim Zoll erforderlich.
Wie die Besteuerung umsatzsteuerpflichtiger Lieferungen und Leistungen aus Drittstaaten, die nicht über Marktplätze sondern über das Internet direkt bei Anbietern bestellt werden, besser durchgesetzt werden soll, ist weiterhin ungeklärt. Das betrifft insb. auch elektronische Lieferungen etwa von Software oder Medieninhalten, wo es ebenfalls Umsatzsteuerhinterziehung gibt. Die geplanten Regelungen zu online Marktplätzen beziehen sich auch lediglich auf Lieferungen, nicht auf Dienstleistungen, die ja ebenfalls zunehmen über Internetplattformen vermittelt und organisiert werden.
Besteuerung der Einkommen aus Erwerbstätigkeit auf oder vermittelt durch Internetplattformen
Es geht bei Plattformarbeit um Dienstleistungen, meist kurzfristige Aufträge, die über Apps und Internetbörsen vermittelt werden. Aus gewerkschaftlicher Sicht ist diese Entwicklung hochproblematisch, da sie die Interessenvertretung der dort Arbeitenden enorm erschwert. Besondere Probleme treten auf, wenn die Leistungsanbieter Solo-Selbstständige sind oder es sich um Nebenbeschäftigungen handelt, was in hohem Maße der Fall ist. Teilweise sind diese Anbieter überhaupt nicht beim Gewerbeamt oder beim Finanzamt angemeldet oder sie nehmen die Kleinunternehmerregelung in Anspruch, nach der bei Umsätzen von unter 17.500 Euro im Jahr keine Umsatzsteuerpflicht besteht. Hier findet in erheblichem Umfang Hinterziehung von Umsatzsteuer und auch von Einkommensteuer statt, wenn Einkünfte aus solche Tätigkeiten nicht oder nicht vollständig erklärt werden. Die Finanzämter und die Finanzkontrolle Schwarzarbeit sind aber kaum in der Lage, solche Steuerhinterziehung aufzudecken, wenn sie keine konkreten Informationen dazu haben. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Kunden Privatpersonen sind, die die Ausgaben nicht selbst steuermindernd geltend machen (was in Grenzen möglich ist insb. bei Kinderbetreuung, Pflegekosten, haushaltsnahen Dienstleistungen).
Soweit Erwerbstätigkeiten über Internetplattformen vermittelt werden, sollten diese verpflichtet werden, von den Anbietern der Leistungen die steuerlich (und sozialrechtlich) relevanten Informationen einzuholen und den Behörden diese und Informationen über Umsätze, die über die Plattform vermittelt wurden, regelmäßig zu übermitteln. Das ist bisher nicht der Fall. Das betrifft zum einen internetbasierte Crowdwork (etwa hier: http://faircrowd.work/de/platform-reviews/), aber auch ortgebundene „Gigwork“ über Plattformen wie Vermittlung von Dienstleistungen durch Helpling oder von Handwerkern durch Myhammer, Essens-Lieferdienste, Transportdienste wie Uber oder Wohnungsvermietung wie Airbnb (Mieteinnahmen sind einkommensteuerpflichtig und ggf. sind kommunale Übernachtungssteuern zu zahlen). Soweit die Erwerbstätigkeiten als unselbstständige Arbeit erfolgt und die Plattformen als Arbeitgeber fungieren (häufig bei Lieferdiensten), greift ohnehin der Lohnsteuerabzug an der Quelle.
Ver.di hat dazu schon in der Stellungnahme zum Grünbuch „Digitale Plattformen“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom Mai 2016 formuliert: „Plattformen müssen verpflichtet werden, über sie vermittelte ökonomische Aktivitäten einschließlich aller für die betreffenden Behörden relevanten steuer- und sozialrechtlichen Daten an den Staat oder die entsprechenden Institutionen zu melden. Dies ist die Grundvoraussetzung einer sozialversicherungsrechtlichen Erfassung plattformvermittelter Erwerbstätigkeit wie auch der steuerlichen Erfassung entsprechender ökonomischer Aktivitäten, die wiederum die Voraussetzung eines fairen Wettbewerbsrahmens für den digitalen wie den nicht-digitalen Raum gleichermaßen ist.“
Die arbeitsrechtlichen und auf die soziale Sicherung bezogenen Probleme in Bezug auf diese Erwerbstätigkeiten, einschließlich der Frage der Sozialversicherungspflicht und der Erhebung von Sozialbeiträgen, sind allerdings gegenüber den steuerlichen Fragen sicherlich vorrangig. Ein Austausch von Daten zwischen den Finanzämtern und den Sozialversicherungsträgern wäre hilfreich, um sowohl Sozialbeiträge als auch die Steuern angemessen erheben zu können. Eine allgemeine Sozialversicherungspflicht aller Erwerbstätigkeiten und verstärkte Maßnahmen gegen Scheinselbstständigkeit würden auch die steuerliche Erfassung verbessern. Ein großer Teil der Schwarzarbeit wird allerdings weiterhin ohne Beteiligung von Internetplattformen ausgeübt. Zu ihrer Bekämpfung sind vermehrte Kontrollen und entsprechend mehr Personal erforderlich.

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