Stellungnahme zu neuen Cum-Ex-Enthüllungen
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Die Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte eines Syndikats von Finanzjongleuren haben den deutschen Staat zwischen 2001 und 2016 etwa 30 Milliarden Euro gekostet. Neue Enthüllungen des investigativen Journalistenkollektivs Correctiv zeigen jedoch, dass das Problem nicht der Vergangenheit angehört – im Gegenteil.
Sowohl Cum-Ex als auch die verwandten Cum-Cum-Geschäfte sind sogenannte „steuergetriebene Geschäfte“. Der Name ist Programm: Gewinn wird durch finanzielle Arrangements ‚erwirtschaftet‘, die keinen wirtschaftlichen Nutzen über Steuereinsparungen hinaus haben. Einmal bezahlte Steuern wurden dabei durch komplizierte Arrangements erfolgreich mehrfach vom Staat zurückgefordert.
Zwar hat Deutschland 2012 Cum-Ex technisch unmöglich gemacht und 2016 nach offizieller Lesart den verwandten Cum-Cum-Geschäften einen Riegel vorgeschoben; in anderen Ländern läuft die Selbstbedienung an Staatskassen durch Vertreter fast aller großen Banken und deren superreicher Kunden munter weiter. Der Vorwurf an die deutschen Behörden lautet, ihre internationalen Partnern erst 2015, 13 Jahre nach Bekanntwerden der Geschäftspraktiken in Deutschland, vor dem Modell gewarnt zu haben. Der entstandene Schaden wird auf über 55 Milliarden Euro in mehreren europäischen Ländern geschätzt.
Die Ursachen der Besteuerungsprobleme liegen sowohl in unzulänglicher Gesetzgebung internationaler Besteuerung von Finanzgeschäften als auch politischer Protektion von Banken und multinationalen Unternehmen. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit fordert daher weitreichende Maßnahmen in mehreren Domänen, um die Geschäfte endgültig zu beenden.
Zunächst fordert das Netzwerk Steuergerechtigkeit jedoch eine Stellungnahme der Politik. Allen voran muss Finanzminister Olaf Scholz Farbe bekennen, nachdem unter ihm als Bürgermeister die Hamburger Warburg-Bank von Steuerbehörden mit Samthandschuhen angefasst wurde. Es braucht ein öffentliches Bekenntnis zur konsequenten Aufarbeitung der Probleme, die zu jahrelangen Steuerverlusten durch Cum-Ex-Geschäfte in Deutschland und weiteren EU-Staaten geführt haben.
Einschränken des Lobbyismus
Das Netzwerk Steuergerechtigkeit unterstützt die Forderung von Lobbycontrol nach einem legislativen Fußabdruck. Ein solches Instrument würde es Parlamenten ermöglichen, Lobbyeinflüsse auf ein Gesetzgebungsverfahren besser nachzuvollziehen und dementsprechende Konsequenzen zu ziehen.
Zusätzlich muss die Einbindung von externen Sachverständigen mit Interessenskonflikten in die Gesetzgebung unterbunden werden. Bei der Personalbesetzung müssen bestehende Interessenskonflikte und berufliche Interessenshintergründe offengelegt und in die Überlegungen mit einbezogen werden.
Beide Forderungen haben einen direkten Bezug zum Cum-Ex-Steuerskandal. Die Geschäfte waren ein ganzes Jahrzehnt möglich, trotz einer Initiative des Finanzministeriums, ihnen den Riegel vorzuschieben. Einer der Hauptgründe für den langwierigen und mit Fehlschlägen gepflasterten Prozess war die Arbeit eines Maulwurfs der Bankenlobby im Ministerium. Der Maulwurf sorgte für die wortwörtliche Übernahme eines Positionspapiers seiner Geldgeber aus der Industrie in einen wichtigen Teil des ersten, ineffektiven Gesetzes, welches das Problem angehen sollte. Solch schädliche Lobbyarbeit würde durch den legislativen Fußabdruck und die Berücksichtigung von Interessenskonflikten innerhalb der Ministerien erheblich erschwert werden.
Effektive Steuerbehörden
Investitionen in Steuerbehörden sind gut angelegtes Geld. Austeritätsmaßnahmen müssen zurückgenommen werden, um Steuertricks wie mit Cum-Ex zeitnah zu entdecken und verhindern. Außerdem muss Expertise innerhalb der Behörden vorhanden sein, um Problemen mit externen Sachverständigen zu entgehen. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit fordert daher, dass 16.000 neue Stellen in Steuerbehörden wieder besetzt bzw. neu geschaffen werden. Denn mehr kompetentes Personal ermöglicht den Steuerbehörden, verdächtige Steuerrückforderungen aufwändiger zu durchleuchten und ähnliche Betrugsmodelle schneller zu entdecken.
Die Enthüllungen zu mangelhafter deutscher Amtshilfe für die europäischen Partner zeigen weiterhin, dass Kooperation zwischen Behörden verbessert werden muss, und das nicht nur national sondern ebenfalls mit Steuerbehörden anderer Länder. In Deutschland ist der Austausch der Länderbehörden untereinander sowie mit dem Finanzministerium von größter Bedeutung.
Ein verwandtes Problem ist der mangelhafte Schutz von Whistleblowern in Deutschland. Das Netzwerk fordert, dass Whistleblower, die unrechte Geschäftspraktiken an Behörden melden, umfassend geschützt werden sollen. Gerade im Cum-Ex-Skandal gab und gibt es einige Whistleblower und Kronzeugen, welche die Steuerbehörden und nun die Staatsanwaltschaft unterstützen wollen. Dies unterstreicht die Wichtigkeit des Themas im Kontext von Finanzverbrechen.
Regulierung und Strafen für Unternehmen
Großunternehmen, Banken und ihre Manager müssen glaubhafte, schmerzhafte Strafen für Steuervergehen fürchten, wie jeder andere Steuerzahler auch. Die Bundesregierung muss daher sicherstellen, dass die Strafverfolgung im Fall Cum-Ex sauber und effektiv abläuft. Darüber hinaus fordert das Netzwerk eine Reihe weiterer Maßnahmen, die der Abschreckung und Vorbeugung ähnlicher Geschäfte dienen.
Deutschland braucht eine Missbrauchsklausel in der Steuergesetzgebung. In dieser Klausel muss festgeschrieben werden, dass finanzielle Arrangements, deren wirtschaftlicher Nutzen ausschließlich in Steuervermeidung besteht, illegal sind. Außerdem muss darin die von der Bundesregierung ohnehin vertretene Ansicht festgehalten werden, dass mehrfache Steuererstattung für einfach (oder gar nicht) gezahlte Steuern niemals rechtmäßig sein können.
Unternehmen müssen Strafen in schmerzhafter Höhe für Steuervergehen erhalten. Mit Attac fordern wir die Einführung des Unternehmensstrafrechts mit Strafzahlungen in bis zu fünffacher Höhe der Schadenssumme. So würde bei unternehmensinternen Berechnungen der Profitabilität von fragwürdigen Steuergeschäften ein höheres Risiko einberechnet werden müssen. Eine Erhöhung des persönlichen Risikos für Manager geht in die gleiche Richtung. Das Netzwerk fordert die in Großbritannien bereits gängige Praxis, Unternehmen zu verpflichten, Manager als Verantwortliche für bestimmte Geschäftsbereiche zu nennen.
Ferner muss der Entzug von professionellen Lizenzen eine mögliche Strafe sein. Hierbei sollte besonders an Bankinstitute gedacht werden, die sich massiv an den illegalen Cum-Ex-Geschäften beteiligt haben, während sie Staatshilfen im Zuge der Finanzkrise erhielten.
Auch die sogenannten ‚enabler‘, also Ermöglicher, müssen jedoch belangt werden können. Dazu gehören Steuerberater und Rechtsanwälte, die für Steuerbetrugsmodelle wie bei Cum-Ex unentbehrlich sind. Ähnliche Strafen, inklusive des Lizenzentzuges, müssen auch für sie gelten. Zusätzlich muss die Meldepflicht von Steuertricks durch Steuerberater, Rechtsanwälte, Bankberater und anderer Vermittler in Deutschland zeitnah effektiv umgesetzt werden.
Internationale Zusammenarbeit
Die letzten Enthüllungen von Correctiv haben deutlich gemacht, dass die Kooperation Deutschlands mit den Steuerbehörden und Finanzministerien anderer Länder nicht ausreicht. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit unterstützt die Forderung Attacs nach einem automatischen Austausch von Daten zu Kapitalertragssteuern von Großunternehmen. Solch ein Austausch würde dazu beitragen, dass unrechtmäßige Steuerrückzahlungen entdeckt werden.
Zusätzlich müssen Länder verpflichtend ihre europäischen Partner auf Betrugsmodelle hinweisen, wenn Modelle von internationaler Relevanz im eigenen Land aufgedeckt werden. Dies könnte auf Basis der OECD-Datenbank zu aggressiver Steuerplanung geschehen, um auch internationale Partner wie das ebenfalls durch Cum-Ex ausgeplünderte Südafrika zeitnah zu informieren.
Der Cum-Ex-Skandal ist pan-europäisch. Lösungen und Aufarbeitung müssen daher auch einen europäischen Ansatz haben. Wir fordern eine europäische Finanzpolizei, welche grenzüberschreitende Finanzverbrechen untersucht und verfolgt. Zudem sollten europäische Finanzaufsichtsbehörden ihre Rolle aktiver wahrnehmen. Wir fordern daher die Inkraftsetzung ihrer Sonderkompetenzen für eine sofortige und europaweite Unterbindung der Cum-Ex-Geschäfte.
Moralische Integrität
Wir möchten explizit auch die Rolle der Investoren ansprechen, für die Cum-Ex letztlich entwickelt wurde. Unter ihnen befindet sich ein Potpourri deutscher und internationaler Eliten aus Politik, Wirtschaft, Sport und weiteren Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen des Netzwerks verurteilen die unsoziale Einstellung zu Staat und Gesellschaft, die in dem schamlosen Griff in die Staatskasse offenbar wird, auf das Schärfste. Solidarität muss stets über egoistischer Bereicherung zum Schaden Schwächerer stehen. Es ist äußerst bedenklich, dass große Teile der wirtschaftlichen Spitzen Deutschlands scheinbar gleichzeitig das moralische Prekariat bilden. Wir plädieren daher für eine Besinnung auf einen gesellschaftstauglichen Wertekanon.
Übersicht über Maßnahmen, die CumEx/ CumCum verhindern:
1. Politische Stellungnahme, Benennung von Verantwortlichen
1.1. Whistleblowerschutz
2. Einschränkung von Lobbyismus
2.1. Legislativer Fußabdruck
2.2. Verpflichtendes Lobbyregister
3. Höhere Effektivität der Steuerbehörden
3.1. Mehr kompetentes Personal
3.2. Verstärkte Kooperation von Steuerbehörden, national und international
3.3. Keine externen Sachverständigen mit Interessenskonflikten
4. Adäquate Bestrafung und Abschreckung
4.1. Strafen für Unternehmen
4.2. Konsequente Strafverfolgung von Ermöglichern (‚enabler‘)
4.2.1. Missbrauchsklausel in Steuergesetzgebung
4.2.2. Meldepflicht verdächtiger Geschäfte
4.3. Strafverfolgung von Bankangestellten und Verantwortlichen
4.3.1. Benennung verantwortlicher u. haftbarer Manager durch Firmen
4.4. Entzug von professionellen Lizenzen (Banken, Steuerberater)
5. Verbesserte internationale Zusammenarbeit
5.1. Europäisches BKA mit Abteilung für Finanzverbrechen
5.2. Finanzaufsichtsbehörden mit zeitnaher Unterbindung durch Sonderkompetenzen
5.3. Internationaler Austausch von Daten zu Kapitalertragssteuern
5.4. Meldepflicht für Steuersparmodelle
6. Moralische Integrität von Investoren
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