Make Amazon Pay! Multinationale Großkonzerne müssen endlich zur Kasse gebeten werden

Die Steuertricks multinationaler Unternehmen, insbesondere der großen US-Digitalkonzerne, stehen im Fokus der öffentlichen Debatte. Ein Beitrag des heute-journals zeigt anhand des Beispiels Netflix auf, dass große Unternehmen trotz der OECD-Reform für eine globale Mindeststeuer weiterhin Steuern vermeiden werden können. Statt klassischen Steueroasen nutzen sie dazu bereits aktuell vermehrt die USA, wo sie von Steuervergünstigungen auf immaterielle Vermögenswerte profitieren.

Der Europaabgeordneter Martin Schirdewan zieht einem Gastbeitrag die Schlüsse aus zwei neuen Studien, von denen eine das Fallbeispiel Amazon vertieft und die andere das Ausmaß der Gewinnverschiebung multinationaler Unternehmen in der EU analysiert.

 

Gastbeitrag von Martin Schirdewan (MdEP)

Ob es um die Kosten der Pandemie oder des „grünen und digitalen Wandels“ gehen wird: In jedem Fall müssen wir uns der Frage stellen, wessen Schultern die Lasten tragen werden? Die Antwort darf nicht heißen, die kleine Frau oder den kleinen Mann und auch nicht den kleinen Laden oder das kleine Familienunternehmen zur Kasse zu bitten. Stattdessen ist es längst überfällig, dass die EU der Steuertrickserei multinationaler Großkonzerne und ihrer komplizenhaften Steueroasen das Handwerk legt.

Vor diesem Hintergrund habe ich im Rahmen meiner Arbeit im Ausschuss für Steuerfragen des Europäischen Parlaments in diesem Jahr zwei Studien zur Steuervermeidung der Multis beauftragt. Einige meiner Schlussfolgerungen aus diesen Untersuchungen möchte ich hier gerne mit Ihnen teilen. Die erste Studie geht der Frage nach, in welchem Ausmaß multinationale Großunternehmen in der EU Gewinne in Steueroasen verschieben und so Steuereinnahmen in den Ländern der EU verloren gehen (Link zur Studie). Die zweite Studie geht über einen statistischen Überblick hinaus und untersucht die spezifische Strategie, mit der der Digitalgigant Amazon es vermeidet, Steuern zu zahlen (Link zur Studie). Es ist Aufgabe der Politik, aus diesen Forschungsergebnissen nun die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.

 

Der Steuerschaden durch die Profitverschiebung multinationaler Großunternehmen

Multinationale Großunternehmen verschieben im Jahr über 280 Milliarden Euro an Gewinnen aus der EU in Steueroasen. Der Autor der Studie, Professor Petr Janský der Universität Prag, schätzt, dass so die überwältigende Summe von 50 Milliarden Euro an Steuereinnahmen verloren geht. Kein Land in der EU verliert dabei so viel wie Deutschland. Ein Drittel der Gewinne, welche aus der EU verschoben werden, kommt aus der Bundesrepublik. Hierzulande gehen uns so sage und schreibe fast 20 Milliarden Euro an Steuergeldern durch die Lappen. Dies entspricht tatsächlich ca. 30% der gesamten Einnahmen aus der Körperschaftssteuer.

Was könnten wir alles für die Menschen in Deutschland mit diesen 20 Milliarden Euro machen? Wir könnten im Zuge eines sozial-ökologischen Wandels z.B. den öffentlichen Nahverkehr ausbauen und kostenfrei anbieten (ca. 15 Milliarden Euro im Jahr1) sowie zusätzlich über 100.000 Krankenpfleger:innen (bei einem Arbeitgeberbrutto von 42.000 Euro) einstellen. Alternativ, könnten wir mit diesen Geldern auch die gesamte Neuverschuldung Deutschlands durch die Coronakrise im Jahr 2020 und 2021 von ca. 397,6 Milliarden Euro in ungefähr zwei Jahrzehnten abbezahlen. Daraus wird also deutlich: die neue deutsche Bundesregierung muss endlich ein Ende der Kürzungs- und Sparpolitik herbeiführen und Steuergerechtigkeit durchsetzen!

 

Über Gewinnverschiebung hinaus: die Amazon-Methode

Die ausgeklügelten Steuerstrategien gigantischer multinationaler Konzerne wie der digitalen BigTech gehen jedoch weit über das Verschieben von Gewinnen in Steuersümpfe hinaus. Die Autor:innen der Studie „Die Amazon-Methode“ der City University London fanden heraus, dass es sich beispielsweise bei Amazons spezifischer Methode der Steuertrickserei weniger um Gewinnverschiebung als um die systematischen Erzeugung von Betriebsverlusten in ausländischen Tochtergesellschaften dreht; vor allem in Ländern des globalen Südens wie Indien. Der Trick ist, dass Amazon seine Verluste (bzw. Verlustvorträge) aus dem Geschäft außerhalb der USA dafür nutzen kann, um in den Vereinigten Staaten Steuergutschriften zu erhalten. Zu diesem Zweck hat Amazon innerhalb der letzten 10 Jahre Verluste von 13,4 Milliarden US-Dollar generiert – ein Betrag der weit über der Summe aller Steuerzahlungen liegt, welche in der Geschichte Amazons jemals fällig gewesen wären (11,7 Milliarden US-Dollar). Die Studie unterstreicht also die Schlussfolgerung des US-Präsidenten Bidens, dass Amazon wohl „nicht einen einzigen Penny“ an Einkommenssteuer zahlt2.

Das Koordinationszentrum für diese aggressive Strategie Amazons ist das kleine Großherzogtum Luxemburg, wo erstaunlicherweise 75% aller Umsätze aus dem internationalen Geschäft verbucht werden. Entscheidend dabei ist, dass Amazons luxemburgische Tochtergesellschaften nach US-Recht als „Controlled Foreign Corporations“ (kontrollierte ausländische Firmen) gelten. Dieses juristische Konstrukt ermöglicht es, die Verluste der ausländischen Tochtergesellschaften für steuerliche Zwecke dem Mutterkonzern in den USA anzurechnen und so die Steuerlast gegen Null zu drücken.

Ob durch Gewinnverschiebung oder durch internationale Netzwerke zum Ausnutzen von Steuergutschriften, die Multis haben gelernt die gesetzlichen Regelungen unterschiedlicher Länder gegeneinander auszuspielen. Die Politik muss deshalb endlich lernen, zum Wohle der Allgemeinheit in die Globalisierung einzugreifen. Eine effektive globale Mindeststeuer, wie sie derzeit in Planung steht, ist ein sinnvoller Anfang.

Der Teufel liegt jedoch bekanntlich im Detail. Insbesondere bei der offenen Frage, wie die zu besteuernden Gewinne bestimmt werden sollen, muss sich jetzt konsequent gegen zweckwidrige Ausnahmeregelungen eingesetzt werden (sog. „carve-outs“). Der derzeitige Verhandlungsstand zur Mindeststeuer sieht z.B. die Möglichkeit vor, dass die Multis ihre Steuerbemessungsgrundlage gemäß einem Anteil (5%) des Werts ihrer materiellen Wirtschaftsgüter (z.B. Fabrikanlagen, Betriebsmittel) sowie Personalkosten reduzieren können. Dies öffnet jedoch Tür und Tor für neue Steuervermeidungsstrategien. Das EU Tax Observatory warnt daher, dass durch diese „substanzbasierte Ausnahmen“ („substance-based carve-outs“) die Einnahmen durch die Mindeststeuer um 15-30% geringer ausfallen und der internationale Steuerwettbewerb weiter angeheizt werden würde3.

Zudem werden von der OECD großzügige Regelungen für Verlustvorträge vorgeschlagen, um die Steuerlast im Falle von vergangenen Verlusten reduzieren zu können. Wie der Fall Amazon jedoch zeigt, müssen solche Möglichkeiten beschränkt und mit Maßnahmen zur Missbrauchsbekämpfung verknüpft werden. So brauch es u.a. effektive Mittel, um gegen Strohfirmen, welche zu Steuerzwecken systematisch Verluste einstreichen, vorgehen zu können. Sonst laufen wir Gefahr, durch gesetzliche Schlupflöcher solchen Giganten wie Amazon wieder einen steuerlichen Freifahrtschein zu verleihen.

Kurzum, der Kampf um Steuergerechtigkeit ist mit der breiten internationalen Befürwortung für eine globale Mindeststeuer noch lange nicht beendet. In den kommenden Verteilungskämpfen müssen wir uns jetzt erst recht dafür einsetzen, dass auch mächtige Großkonzerne ihren gerechten Anteil zahlen! Make Amazon Pay!

Martin Schirdewan (Mitglied des Europäischen Parlaments)

 

1 https://www.die-linke.de/themen/oepnv/konzept-fuer-kostenfreien-oepnv/

2 https://www.reuters.com/article/us-usa-biden-amazon-taxes-idUKKBN2BN3LL

3 https://www.taxobservatory.eu/minimizing-the-minimum-tax-the-critical-effect-of-substance-carve-outs/

 

Video des Gastautors:

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