Angst vor Transparenz?
Am 29. Juni 2016 erschien im Handelsblatt ein Artikel “Die Angst vor zu viel Transparenz” (leider kostenpflichtig). Darin wird der (hochwillkommene!) Positionswechsel der SPD in der Frage öffentlicher Konzernbilanzdaten beschrieben und die Konfliktlinien in der Bundesregierung aufgezeigt. In der Printausgabe des Handelsblatt erschien außerdem auf Seite 17 ein Gastkommentar zu diesem Thema von mir: “Angst vor Transparenz”:
Unten dokumentieren wir eine etwas ausführlichere Rohfassung des Kommentars für alle Nicht-AbonnentInnen des Handelsblatts:
In einem Gastkommentar im Handelsblatt vom 15. Juni 2016 malen Mathias Middelberg und Stephan Harbarth von der CDU den Untergang des Abendlandes für den Fall an die Wand, dass länderbezogene Konzernbilanzdaten veröffentlicht werden. Durch aktuelle Pläne der EU-Kommission seien unser „Standort, unsere Betriebe und unsere Arbeitskräfte massiv“ gefährdet – kurz unser sauer verdienter Wohlstand droht sich in Luft aufzulösen. Die Sachargumente aber können nicht überzeugen.
Bei den Plänen für öffentliche länderbezogene Berichtspflichten (Country-by-Country-Reporting, kurz: CBCR) geht es im Kern um die Offenlegung von Eckdaten aus der Konzernbilanz, die schon heute in den meisten Ländern veröffentlicht werden müssen, etwa Angaben zu Umsatz, Personalstärke, Gewinn und Steuerzahlungen. Die wichtigste Neuerung: die Zahlen sollen einheitlich vom Stammsitz des Unternehmens für die gesamte Konzernstruktur veröffentlicht und länderweise gegliedert werden, statt wie bisher von jeder einzelnen Tochtergesellschaft. Für Banken innerhalb der EU gibt es solche Berichtspflichten bereits seit 2014.
Öffentliche Berichtspflichten wären ein ernsthafter Anfang, der Steuervermeidung von großen Konzernen sowie illegale Willkür-Steuergeschenke a la LuxemburgLeaks einen Riegel vorzuschieben. Die bisherige Praktik bürdet Unbeteiligten hierzulande als auch in Entwicklungs- und Schwellenländern eine höhere Steuerlast auf und benachteiligt insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen im Wettbewerb.
Die OECD beschloss 2015 ihre ganz eigene Variante länderspezifischer Berichtspflichten einzuführen. Auf Druck aus Deutschland und den USA wurde eine Veröffentlichung der Bilanzdaten verhindert. Unternehmen melden diese lediglich den für die Konzernmutter zuständigen Finanzbehörden, die diese dann mit ausgewählten Steuerbehörden austauschen.
Bliebe es bei der OECD-Regelung, dann würde sie in ihrer Wirkung zu verpuffen drohen. Denn Steuerbehörden in Deutschland verfügen über zu wenig Personal, um das Potential des Informationsaustausches auszuschöpfen. Außerdem würde der steuer- und fiskalpolitische Spielraum von Entwicklungsländern noch weiter beschnitten. Denn einer Studie von Ernst & Young zufolge bliebe fast dem gesamten globalen Süden der Zugang zu den Bilanzdaten verwehrt. Das ist nicht nur geopolitisch kurzsichtig, sondern hindert auch Entwicklungsländer daran, die zur Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele dringend erforderlichen Eigeneinnahmen zu erzielen.
Andere Einwände lauten, dass US-Konzerne durch Berichtspflichten in der EU künftig keine Daten mehr bereitstellen müssten. Das ist wenig stichhaltig. Denn der aktuelle Vorschlag behandelt Konzerne mit Stammsitz in Europa und außerhalb Europas identisch: beide müssten nur für ihre Geschäfte innerhalb Europas länderspezifische Berichte veröffentlichen. Allerdings sollte hier nachgebessert werden, indem die Bilanzpflicht auf das weltweite Firmengeflecht ausgedehnt wird. Dann würden Verluste von Entwicklungsländern sowie Steuervermeidung auch mittels außereuropäischer Steueroasen ans Licht gebracht.
Gegner einer Neuregelung führen zudem an, dass Veröffentlichungspflichten schützenswerte Geschäftsgeheimnisse enthalten könnten. Eine Augenwischerei – es sei denn Steuervermeidungskonstruktionen sollen mithilfe des Geschäftsgeheimnisses vor den Blicken der Öffentlichkeit geschützt werden.
Schließlich wird das Gespenst einer drohenden Doppelbesteuerung bemüht: wenn Drittstaaten Einblick in weltweite Konzernbilanzen bekämen, würden Begehrlichkeiten geweckt, die zu einer Doppelbesteuerung führen könnten. Dabei wird verkannt, dass sogenannte „weiße Einkünfte“ –also Gewinne, die nirgends oder nur niedrig besteuert werden, in der Summe heute ein Vielfaches der doppelt besteuerten Erträge ausmachen. Fakt ist außerdem, dass selbst die OECD-Regeln zur Vermeidung von Doppelbesteuerung diese schon heute nicht immer verhindern können.
Nur weil viele Entwicklungsländer ihr Recht auf einen fairen Anteil am Steuerkuchen einfordern, folgt daraus eben nicht ein Verlust von Arbeitsplätzen hierzulande. Nur die Steuervermeidung durch Unternehmen würde dadurch sehr viel schwerer. Punkt. Dann währt ehrlich wieder am längsten.
Wer fürchtet sich davor?
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