Der Steuersatz der Superreichen
Julia Jirmann | Veröffentlicht am |
Hochvermögende kommen im deutschen Steuersystem oft besser weg als Normalverdiener. Das liegt vor allem daran, dass sie überwiegend von Kapitaleinkünften leben. Für diese wurden in den vergangenen dreißig Jahren zahlreiche Privilegien geschaffen. Wir zeigen welche Regelungen Vermögende bevorteilen.
Deutschland ist Hochsteuerland – das ist die typische Reaktion auf den jährlich erscheinenden Vergleich der Steuer- und Abgabenlasten in den 38 OECD-Staaten. Auf den Lohn eines Durchschnittsverdieners entfielen demnach im Jahr 2022 rund 48 Prozent Steuern und Abgaben[1]. Damit belegt Deutschland laut OECD Platz 2 hinter Belgien. Was dieser Vergleich aber verschweigt: Für sehr hohe Einkommen und Vermögen ist Deutschland ein Niedrigsteuerland.
Progressive Einkommensteuer greift nicht
In der Theorie ist eine progressive Einkommensteuer die beste Lösung, wenn es darum geht, Menschen nach ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit zu besteuern. Menschen mit höheren Einkommen zahlen dann nicht nur absolut, sondern auch relativ zu ihrem Einkommen mehr Steuern. Grundsätzlich ist das deutsche Einkommensteuersystem auch progressiv ausgestaltet, aber faktisch haben in den letzten dreißig Jahren eine ganze Reihe von Reformen dafür gesorgt, dass sich dieser Effekt bei den Hochvermögenden umdreht.
Häufig fällt nur Unternehmensteuer an
Mit dieser viel zu niedrigen Besteuerung von sehr hohen Einkommen und großen Vermögen liegt Deutschland international im Trend. Laut EU-finanziertem Global Tax Evasion Report 2024 zahlen Milliardäre in den USA, Frankreich und den Niederlanden Steuern in Höhe von zwei Prozent (in Frankreich) bis acht Prozent (in den USA) auf ihr Einkommen. In vielen Fällen bleibt die Unternehmensteuer die einzige Steuer, die Milliardäre zahlen.
Unsere Modellrechnungen für einen typischen Multimillionär sowie für ein konkretes deutsches Milliardenvermögen kommen zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Berechnungen zeigen, zudem dass der durchschnittliche effektive Steuersatz auf die Millionen- und Milliardeneinkommen – inklusive der Unternehmenssteuern – teilweise nur etwa die Hälfte des geltenden Reichensteuersatzes von 45 Prozent (zzgl. Solidaritätszuschlag 47,5%) beträgt.
Die Hauptgründe für niedrige Steuersätze von Superreichen in Deutschland sind:
- Niedrige Unternehmensteuern: Unternehmensgewinne werden in zwei Stufen besteuert. Auf erster Ebene im Unternehmen selbst durch die Körperschaft- und Gewerbesteuer sowie den Solidaritätszuschlag von zusammen im Schnitt 30 Prozent. Das hat den Vorteil, dass auch ausländische Anteilseigner, die in Deutschland nicht einkommensteuerpflichtig sind, teilweise in die deutsche Besteuerung einbezogen werden. Aber im internationalen und nationalen Steuerwettbewerb sorgen Steueroasen und künstliche Gewinnverschiebung dafür, dass sowohl die nominalen als auch effektiven Steuersätze weltweit seit vielen Jahren im Sinkflug sind und dass sich vor allem große und besonders leistungsfähige Unternehmen durch aggressive Steuergestaltung Vorteile verschaffen.
- Pauschale Besteuerung von Kapitalerträgen & Spardose Kapitalgesellschaft: Zusätzlich zur Unternehmensbesteuerung werden Unternehmensgewinne – auf zweiter Ebene – bei der Ausschüttung an die Anteilseigner über die pauschale Kapitalertragsteuer zzgl. Solidaritätszuschlag erfasst (26,4 Prozent). In Kombination mit den Unternehmensteuern entspricht das mit 48,5 Prozent etwas mehr als dem Spitzensteuersatz der Einkommensteuer. Aber wer die Kapitalerträge in einer Gesellschaft anspart, anstatt sie auszuschütten, kann diese zweite Stufe der Besteuerung in die ferne Zukunft verschieben und in der Zwischenzeit vom Zinseszins-Effekt der reinvestierten Gewinne profitieren. Dies gilt vor allem für die sehr reichen Haushalte, die ihre Unternehmens- und Kapitaleinkommen in Kapitalgesellschaften oder Stiftungen thesaurieren. Die Eigentümer der Beteiligungen können sich einen kleinen Teil des wirtschaftlichen Einkommens auszuschütten, der zur Deckung ihrer privaten Konsumausgaben reicht. Lediglich auf diese Ausschüttung wird „die volle“ Einkommensteuer fällig.
- Steuerfreie Zinsen: Bei Zinsen fehlt die erste Stufe der Besteuerung komplett. Sie werden also unabhängig vom Einkommen des Empfängers nur mit 25 Prozent zzgl. Solidaritätszuschlag besteuert. Anders als bei der Lohnsteuer bleiben die Steuerzahlerinnen der Kapitalertragsteuer für die Steuerbehörden zudem völlig anonym und fehlen entsprechend in den Steuerdaten.
- Keine Steuern beim Immobilienverkauf, Bitcoin & Co.: Durch Verkauf realisierte Wertsteigerungen privat gehaltener Immobilien sind nach einer Haltedauer von zehn Jahren komplett steuerfrei (oder bei Selbstnutzung sogar schon vorher). Bitcoin, Gold, Oldtimer oder Kunst bereits nach einem Jahr. Diese Einnahmen werden also steuerlich gegenüber anderen Einkommensarten bevorzugt.
- Steuerprivilegien bei Mieteinnahmen: Bei Mieteinnahmen, die über eine GmbH geschleust werden, reduziert sich der kombinierte Steuersatz aus Unternehmensbesteuerung und der Steuer auf Kapitalerträge bei Ausschüttung auf knapp 30 Prozent, weil die Gewerbesteuer vermieden werden kann.
- Von Abzugsmöglichkeiten profitieren besonders sehr hohe Einkommen: Die Steuer auf Löhne wird automatisch von den Arbeitgebern abgeführt und lässt sich in deutlich geringerem Umfang optimieren. Dennoch gibt es eine Reihe Sonderregeln, von denen die Empfängerinnen und Empfänger hoher Einkommen tendenziell stärker profitieren (bspw. Ehegattensplitting, Kinderfreibeträge).
- Sozialabgaben belasten Superreiche kaum: Auch die Beiträge zu den Sozialabgaben steigen mit der Höhe des Einkommens. Allerdings sind die Beiträge, anders als die Steuern, der Höhe nach begrenzt. Sie steigen nur bis zu einem Einkommen von rund 62.000 Euro (Krankenkasse) und 90.000 Euro (Rente). Deshalb sinkt die Abgabenquote für Menschen mit sehr hohem Einkommen wieder.
- Indirekte Steuern belasten vor allem ärmere Menschen: Die Umsatzsteuer – wie auch die Mineralöl- und die Tabaksteuer – ist regressiv. Das heißt, wer diese Waren kauft, wird im Verhältnis zur gekauften Menge gleich belastet und persönliche Anknüpfungspunkte und die finanzielle Leistungsfähigkeit der Konsumenten werden nicht berücksichtigt. Weil Superreiche einen geringeren Anteil ihres Einkommens für den Konsum aufwenden, belastet die Steuer sie deutlich geringer als Durchschnittsverdiener.
- Keine Vermögensteuer: Seit dem Jahr 1997 ist die Vermögensteuer in Deutschland ausgesetzt. Abgesehen von Grund und Boden werden Vermögen seitdem weder amtlich erfasst noch besteuert.
Zusammengenommen führen diese Probleme dazu, dass der effektive Steuersatz für milliardenschwere Unternehmenseigentümer und typische Einkommensmillionäre nicht annähernd dem Spitzensteuersatz entspricht. Stattdessen ist ihr Steuersatz teilweise kaum höher als der auf durchschnittliche Arbeitseinkommen. Bei Durchschnittsverdienern kommen zudem noch die Sozialbeiträge hinzu, die Hochvermögende u. a. aufgrund der Beitragsbemessungsgrenze kaum belasten.
Vermögensteuer für Superreiche
Für mehr Steuergerechtigkeit könnte eine Vermögensteuer für Hochvermögende oder eine Mindeststeuer auf das Einkommen sorgen. Ein moderater Vermögensteuersatz von zwei Prozent oder eine Mindeststeuer von 25 Prozent führt für unseren typischen Multimillionär und unsere Beispiel-Milliardärin in der Summe aus Unternehmensteuer, Steuern auf Einkommen und der neuen Vermögensteuer – je nach der Rentabilität des Vermögens – zu einem Steuersatz von etwa 40 bis 50 Prozent bezogen auf das Einkommen. Das entspräche in etwa dem Reichensteuersatz und dem, was ein Durchschnittsverdienende an Steuern und Abgaben zahlen. Selbst der für die aktuelle Diskussion radikal erscheinende Steuersatz von zwei Prozent würde in den allermeisten Fällen die Vermögenssubstanz der Milliardäre nicht gefährden. Sattdessen kann sie aus den Erträgen gezahlt werden und würde lediglich dafür sorgen, dass die Milliardenvermögen weniger schnell wachsen.
[1] Neben den Steuern von 18 Prozent rechnet die OECD dabei auch die Sozialabgaben auf den Arbeitnehmer sowie auf den Arbeitgeberanteil ein.
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