Die deutsche Grundsteuer-Reform: Sachliche Debatte statt Panikmache

Ortsschild mit der Aufschrift "Grundsteuer"

Ist die Reform insgesamt eine versteckte Steuererhöhung?

Die Reform aktualisiert veraltete Einheitswerte und passt sie an die tatsächliche Wertentwicklung der Grundstücke an. Eine versteckte Steuererhöhung soll dabei explizit vermieden werden. Lobbyorganisationen, die bei der Reform von einer Vervielfachung der Steuerbelastung gesprochen haben, haben in ihren Berechnungen regelmäßig ignoriert, dass sich zwar die Werte der Immobilien in vielen Fällen vervielfältigt haben, dass die Steuermesszahlen gesenkt wurden und die Gemeinden zugesagt haben, ihren Hebesatz zu senken. Das passiert gerade in vielen Gemeinden oder ist bereits passiert. Berlin hat beispielsweise den Hebesatz von 810 auf 470 Prozent gesenkt. Für eine abschließende Beurteilung ist es aber noch zu früh.

Aktuell gibt es Medienberichte über einen Rekord-Anstieg bei der Steuer. Diese beziehen sich auf die jährliche Auswertung der Beratungsgesellschaft E&Y für das Jahr 2023. In diesem Jahr haben überdurchschnittlich viele Gemeinden ihren Hebesatz angehoben. Grund dafür war vor allem eine kommunale Finanzreform in Rheinland-Pfalz, die dazu führte, dass 79 Prozent der Gemeinden dort ihren Steuersatz anheben mussten. Hohe Hebesätze und regelmäßige Erhöhungen gibt es vor allem in armen Kommunen in Nordrhein-Westfalen, denen sonst die Mittel für grundlegende öffentliche Leistungen fehlen. Die Einnahmen aus der Steuer sind im Vergleich zum Vorjahr um lediglich 1,4 Prozent angestiegen – nach Anrechnung des Neubaus und inflationsbereinigt sind sie somit sogar gesunken. Mit 15 Milliarden Euro zahlen die Eigentümer und Mieter von mehr als 36 Millionen Grundstücken etwa genauso viele Steuern wie die 12 Millionen Raucher über die Tabaksteuer.

Hat der Staat bei der Reform versagt?

Einige Kommunen haben Schwierigkeiten, die erforderlichen Daten rechtzeitig zu sammeln und zu veröffentlichen. Beispielsweise fordert Hamburg aktuellen Presseberichten zufolge alle Steuerpflichtigen auf, die zum 15. Februar 2025 fällige erste Rate nicht zu zahlen, weil die aktualisierten Werte voraussichtlich Ende März vorliegen werden. Dabei hatte Hamburg versprochen mit einem abweichenden Modell die Berechnung einfacher zu machen. Die Bild-Zeitung macht daraus einen Aufruf zum Grundsteuer-Streik. Der Verbandschef von Haus & Grund spricht sogar von Staatsversagen.

Bereits während der Reformdebatte haben viele Bundesländer gewarnt, dass der Zeitraum sehr knapp bemessen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil bereits Anfang 2018 die Reform angemahnt und eine Frist bis 2025 gesetzt. Die Einigung auf die Reform dauerte dann bis Ende 2019. Seitdem waren immerhin fünf Jahre Zeit, um die knapp 36 Millionen Grundstücke neu zu bewerten und dann basierend auf den neuen Werten einen angemessenen Hebesatz festzulegen. Viele Finanzämter mussten das trotz Personalmangel nebenbei erledigen und wurden zusätzlich durch unzählige, von den Lobbyisten gezielt befeuerte Einsprüchen belastet. Eine konstruktive Debatte darüber, wie man die Finanzämter personell stärken, Verfahren mittels Digitalisierung beschleunigen und unnötige Bürokratie abbauen könnte, wäre deutlich nützlicher als Stimmungsmache.

Ist das Bundesmodell besonders ungerecht?

Die meisten Bundesländer haben sich auf ein Modell geeinigt, das den Bodenwert mit einer pauschalen Bewertung des Gebäudes kombiniert. Nach intensivem Druck vor allem aus Bayern und durch die CSU wurde den Bundesländern jedoch die Möglichkeit eingeräumt, eigene Modelle zu entwickeln. So setzt Baden-Württemberg ausschließlich auf den Bodenwert und ignoriert den Gebäudewert vollständig. Bayern bewertet hingegen lediglich die Fläche von Boden und Gebäude, ohne deren Wert zu berücksichtigen. Hamburg kombiniert die Bodenfläche mit einer pauschalen Einteilung basierend auf der Lage.

Auffällig ist, dass sich die Klagen der Lobbyorganisationen auf das Bundesmodell und das Bodenwertmodell in Baden-Württemberg beschränken. Haus und Grund und der Bund der Steuerzahler haben in Berlin, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen Musterklagen eingereicht. Auch in Stuttgart und Karlsruhe unterstützen sie Klagen. In Bayern wird dagegen nur ohne die Unterstützung der Organisationen geklagt.

Ist das bayrische Modell einfach gerechter oder verfassungskonformer? Für ein abschließendes Urteil, wie sich die Gerichte letztlich positionieren, ist es zu früh. Absehbar ist aber schon jetzt, dass sie dem Gesetzgeber relativ viel Spielraum bei der Ausgestaltung der Steuer zugestehen. Ob es gerechter ist, das alte Haus an der lauten Ausfahrstraße am Stadtrand genauso zu besteuern wie die Villa in München-Schwabing, ist letztlich vor allem eine politische Entscheidung, die sich aber an den verfassungsrechtlichen Prinzipien messen lassen muss. Die Lobbyorganisationen argumentieren dabei, dass sich die Steuer nicht am Wert ausrichten sollte, sondern berufen sich auf das Äquivalenzprinzip, nachdem sich die Steuer an der staatlichen Leistung bemessen soll. Die ist allerdings sowohl abhängig von der Fläche als auch von der Lage – hohe Bodenwerte sind zumindest teilweise die Folge von guter öffentlicher Infrastruktur – und oft zusätzlich gebührenfinanziert (z.B. Wasser, Strom, Müll). Vom Leistungsfähigkeitsprinzip scheint das Flächenmodell deutlich stärker abzuweichen.

In unserer Stellungnahme zur Reformdebatte haben wir die verschiedenen Modelle anhand konkreter Beispiele verglichen. Unsere damalige Schlussfolgerung gilt noch heute: Das Bundesfinanzministerium und die Länder sollten bessere Daten für die wissenschaftliche und faktenbasierte Debatte zur Verfügung stellen.

Drohen jetzt massenweise hohe Steuererhöhungen?

Einige Grundstückseigentümer werden aufgrund der neuen Berechnungsmethoden mehr Steuern zahlen und das ist gut so. Wenn die Bewertung der Immobilien der veränderten Realität angepasst wird, muss sich folgerichtig auch das Ergebnis ändern. Haus und Grund hat 200 Beschwerden ausgewertet und dabei festgestellt, dass in 74,4 Prozent der Fälle die Steuer gestiegen wurde und spricht von Erhöhungen von mehreren Hundert bis über Tausend Euro. Das ist methodisch unseriös. Und in den meisten Fällen dürfte es auch deutlich übertrieben sein. Für die meisten Grundstücke werden insgesamt nur wenige Hundert Euro pro Jahr fällig. Weil das Bundesfinanzministerium und die Länder nach wie vor keine umfassenden Daten zur Verfügung stellen, ist eine systematische Auswertung zu diesem Zeitpunkt leider unmöglich.

Die folgenden Rechenbeispiele zeigen am Beispiel von Berlin, das vor allem Mieter*innen in günstigen Wohnungen in den Randlagen sowohl im Osten als auch im Westen sich auf niedrigere Steuern freuen dürfen. Mehr zahlen vor allem Mieter*innen und Eigentümer*innen im Alt- oder Neubau in guter Lage. Die Veränderungen liegen in allen Fällen deutlich unterhalb von 1.000 Euro. Die Zahlen stammen von Jörg Kühnold. Er ist Diplom-Finanzwirt und Steuerberater und war bis 2023 Fachreferent bei der Senatsverwaltung für Finanzen Berlin u.a. für die Grundsteuer.

Mietwohnungen (Grundsteuer jährlich für 100 m² Wohnfläche)

Kategorie Alt (Euro/Jahr) Neu (Euro/Jahr) Bodenrichtwert (Euro/m²)
Ehemals öffentl. gef. Wohnungsbau (Bj. 1970) 552 154 700
Plattenbau Marzahn/Hellersdorf (Bj. 1970) 335 150 600
Altbau (vor 1895) Charlottenburg/Wilmersdorf 156 238 5.000
Pankow 235 238 5.000

Einfamilienhäuser (Grundsteuer jährlich für 100 m² Wohnfläche)

Baujahr Alt  (Euro/Jahr) Neu (Euro/Jahr) Bodenrichtwert (Euro/m²)
Ehemaliger Westteil (Bodenrichtwert 2022: 750,-/m² mittlere Wohnlage z.B. Lichtenrade)
1967 885

 

450 750
1985 447 750
1996 513 750
2021 761 750
Ehemaliger Ostteil (Bodenrichtwert 2022: 530,-/m², mittlere Wohnlage z.B. Mahlsdorf)
1967 202

 

360 530
1985 376 530
1996 448 530
2021 693 530

Fazit

Lobbyorganisationen machen gerade wieder massiv Stimmung gegen die Grundsteuer. Das ist aufgrund der im internationalen Vergleich sehr niedrigen Steuerbelastung und den in den meisten Fällen moderaten Anpassungen nicht angemessen. Steuererhöhungen um mehr als 1.000 Euro sind extreme Einzelfälle (zumindest für einzelne Haushalte), in denen ein Einspruch möglicherweise sinnvoll, gerechtfertigt und auch möglich ist. Für einen Anstieg der Gesamtbelastung gibt es bisher keine belastbaren Indizien. Wie wir bereits 2019 dokumentiert haben, dürften sich viele der Lobbyisten in Wahrheit davor fürchten, dass eine wertbasierte Grundsteuer die Grundlage für eine gerechte Besteuerung von Vermögen schafft. Das zeigt auch der einseitige Fokus auf Klagen in Bundesländern, in denen eine wertabhängige Grundsteuer umgesetzt wird.

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