Die Stille Lobbyschlacht um das Anti-Steuervermeidungsgesetz
Trotz mehrerer Anläufe und großer Verspätung hat sich die Bundesregierung noch immer nicht auf ein Gesetz zum Kampf gegen Steuervermeidung von Unternehmen geeinigt. Vorschläge dazu wurden von der OECD schon 2015 verabschiedet, von der EU 2016 und 2017 in zwei Richtlinien überführt und waren eigentlich für alle EU-Länder bis Ende 2018 bzw. Ende 2019 umzusetzen. Kurz vor Ablauf der Frist, am 10. Dezember 2019, hat das Bundesfinanzministerium einen überraschend mutigen Entwurf vorgelegt und sogar noch ein paar weitergehende Verschärfungen hinzugefügt. Wie man in der Zeitung lesen konnte, war die Unternehmenslobby „fassungslos“ bis „entsetzt“, verwies auf den obligatorischen „Wettbewerbsnachteil“ oder versuchte es mit „Fremdschämen“. Begleitet durch gleich drei besorgte Anfragen der FDP (zur Hinzurechnungsbesteuerung, zu Verrechnungspreisen und zur Wegzugsbesteuerung) wurde der Referentenentwurf zum 24. März überarbeitet (bzw. in wesentlichen Punkten abgeschwächt), schaffte es aber auch am 8. April oder 22. April wegen Widerstands aus dem BMWi nicht wie geplant durchs Kabinett.
Wie wirksam die Vorschläge des BMF wirklich wären, lässt sich nur schwer abschätzen. Eine verlässliche oder gar später nachverfolgte Schätzung über die Mehr- oder Mindereinnahmen gibt es nicht. (Dazu der Referentenentwurf beispielsweise: „Die einzelnen Elemente der Reform zur Hinzurechnungsbesteuerung führen sowohl zu Mehr- als auch zu Mindereinnahmen, deren Saldo nicht bezifferbar ist.“) Aber die Fragen der FDP geben einen guten Überblick darüber, was die Unternehmen auf die Barrikaden treibt:
Die Hinzurechnungsbesteuerung
Die Hinzurechnungsbesteuerung sorgt zumindest theoretisch dafür, dass niedrigbesteuerte ausländische „Zwischengesellschaften“ (sprich Briefkästen in Steueroasen) von deutsche Konzernen ihre „passiven“ (sprich nicht selbst aktiv erwirtschafteten) Gewinne in Deutschland nachversteuern müssen. Die erste große (aus Sicht der Steuergerechtigkeit positive) Überraschung: Der Steuersatz, an dem die Niedrigbesteuerung bemessen wird, bleibt bisher bei 25 % – auch wenn Erleichterungen für Unternehmen in einem Gesetz zur Bekämpfung der Steuervermeidung tatsächlich fehl am Platz gewesen wären, hatte bisher alles darauf hingedeutet, dass eine Absenkung beschlossene Sache ist. Die zweite (ebenfalls positive) Überraschung: Die Vorrangregel für das Investmentsteuergesetz, die bisher dafür sorgt, dass Investmentfonds von der Hinzurechnungsbesteuerung verschont bleiben, wurde im ersten Referentenentwurf gestrichen. Im überarbeiteten Entwurf feierte sie – sicher zur Freude der Finanzwirtschaft – ein Comeback, lediglich ergänzt durch eine kleine Einschränkung. Investmentfonds bleiben also weiter von der Hinzurechnung verschont und der Gestaltungsfantasie der Finanzindustrie überlassen. Über die Einbeziehung von Handels- und Dienstleistungsgesellschaften wird anscheinend noch verhandelt.
Die Verrechnungspreise
Das System der Verrechnungspreise sorgt theoretisch dafür, dass firmeninterne Transaktionen wie Warenlieferungen, Kredite oder Rechteüberlassung von einer Tochtergesellschaft zur nächsten zu „marktüblichen“ Konditionen stattfinden. Faktisch sorgen mit viel Aufwand gestaltete Verrechnungspreise zum Beispiel durch überhöhte firmeninterne Zinszahlungen oft dafür, dass die Gewinne dort landen, wo kaum Steuern anfallen (dazu hier ein illustratives Beispiel aus dem Berliner Immobilienmarkt). Der jetzt vorliegende Entwurf engt den Spielraum bei der Gestaltung vor allem bei Finanzierungsbeziehungen ein und erhöht die Beweislast für die Unternehmen. Zinssätze für firmeninterne Finanzierung sollen sich enger an den Marktzinssätzen (und dem Risiko des Gesamtkonzerns) richten und Abweichungen von den Unternehmen begründet werden. Aber auch diese Regeln wurden bereits abgeschwächt und kommen jetzt wahrscheinlich nicht mehr rechtzeitig für das Steuerjahr 2020.
Wegzugsbesteuerung
Die Wegzugsbesteuerung wurde in den 70er Jahren angesichts mehrerer öffentlichkeitswirksamer Umzüge von Unternehmern und Sportlern zur Steuervermeidung in die Schweiz verabschiedet. Wer Deutschland dauerhaft verlässt muss die Wertsteigerungen seiner Firmenbeteiligungen vorsorglich versteuern. Bisher galt, dass diese Steuer beim Umzug innerhalb der EU unbegrenzt gestundet wurde – weswegen der Brexit bei einigen Unternehmerfamilien, deren Sprösslinge dorthin verzogen waren große Sorgen bereitete. Der Referentenentwurf sieht vor die Stundung auch innerhalb der EU abzuschaffen. Das BMF beruft sich in der Begründung dazu auch auf aktuelle Rechtsprechung dazu, die auch die FDP in ihrer Anfrage aufgreift, anscheinend aber anders auslegt. Darauf angesprochen antwortete die Bundesregierung am 20. März 2020: „Die Ressortabstimmung und Meinungsbildung der Bundesregierung zum Referentenentwurf […] sind noch nicht abgeschlossen.“ Ein Element also, um das hinter den Kulissen fleißig weiter gefeilscht wird.
Hybride Gestaltungen
Regelungen zum Umgang mit hybriden Gestaltungen (sprich dem Spiel mit Widersprüchen zwischen den steuerlichen Regeln in zwei verschiedenen Ländern) waren der eigentliche Kern der bis Ende 2019 umsetzbaren EU-Regeln aus 2017. Anscheinend gab es hierzu weniger Gesprächsbedarf. Die Vorschläge des BMF orientieren sich recht eng an den Mindestanforderungen, auch wenn noch einige Fragen offen blieben, die gerade international verhandelt werden. Weitere Details dazu z. B. hier.
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