Excess Profits Tax als Instrument zur Staatsfinanzierung in der globalen Gesundheitskrise
Esther Rosa Schuettpelz | Veröffentlicht am |
Kurzarbeit, Kitaschließungen, Konjunkturpaket. Die Kosten der Coronakrise und ihrer Bewältigung werden gewaltig ausfallen. Während die tatsächlichen Kosten erst rückblickend beziffert werden können, wird eine Frage schon jetzt – wo erste deutsche Gemeinden über Sparvorschläge debattieren und Länder des Globalen Südens eine Stundung ihres Schuldendienstes erhandeln müssen – immer wichtiger: Wer soll all das bezahlen? In der US-amerikanischen Diskussion hat dabei ein Vorschlag Aufsehen erregt, der auch für Deutschland, Europa und auf globaler Ebene interessant sein kann, hierzulande jedoch bisher kaum erwogen wird: die (temporäre) Einführung einer Excess Profits Tax oder Übergewinnsteuer als progressives Instrument der krisenadäquaten Weiterentwicklung des Steuersystems.
Historische Beispiele für Excess Profits Taxes – ein Modell für die Gegenwart?
Was sind Excess Profits Taxes? Die dieser Steuer zugrundeliegende Idee ist, dass es einzelne Unternehmen gibt, die von der Krise profitieren, während die große Mehrheit von Unternehmen und Privatpersonen unter ihr leidet. Excess profit oder Übergewinn ist also der Gewinn, den ein Unternehmen aufgrund außergewöhnlicher und nicht beeinflussbarer Umstände, nämlich aufgrund der Krise, erwirtschaftet. Dahinter verbirgt sich der Gedanke, dass eine Krise, welche die Gesellschaft als Ganzes betrifft, solidarisch zu bewältigen ist, ohne dass Einzelne profitieren. Ein charmanter Gedanke, der keineswegs neu ist. In den USA hat es bereits zweimal eine Excess Profits Tax gegeben, nämlich während des ersten und zweiten Weltkrieges. Übergewinne, die ein Unternehmen aufgrund des Krieges generierte, etwa in der Waffenindustrie, wurden mit bis zu 95 % besteuert. Auch Kanada, Großbritannien, Australien, Neuseeland, Südafrika, Frankreich und Italien haben von dieser Möglichkeit zeitweise Gebrauch gemacht. In Deutschland wurde die Einführung einer Übergewinnsteuer immerhin schon einmal diskutiert, nämlich angesichts der Ölpreiskrise im Jahr 1973 (beispielhaft: Brümmerhoff, Besteuerung von Übergewinnen, 1975).
Es scheint daher naheliegend, Excess Profits Taxes im Jahr 2020 angesichts der globalen Gesundheitskrise durch Covid-19 wieder ins Spiel zu bringen. So sprachen sich etwa Emmanuel Saez und Gabriel Zucman in einem New York Times Gastartikel vom 30. März 2020 für die Einführung einer Excess Profits Tax aus, vorerst jedoch ohne auf die genaue Ausgestaltung einer solchen Steuer einzugehen. Einen durchaus ausgereifteren Vorschlag unterbreitete Reuven S. Avi-Yonah von der University of Michigan in einem Blogbeitrag und nur einen Monat später in seinem Paper Covid-19 and US Tax Policy – What needs to change? Einen Schritt weiter gehend, veröffentlichte Allison Christians von der McGill University in Montreal kurz darauf auf taxnotes.com einen Beitrag, in welchem sie sich für die globale Einführung einer Global Excess Profits Tax im Rahmen des BEPS-Projekts der OECD aussprach.
Verschiedene Methoden zur Berechnung der Bemessungsgrundlage
Schon die Auswertung dieser drei Vorschläge zeigt: Auf die konkrete Ausgestaltung kommt es an. Wie sich unschwer vorzustellen ist, bereitet die Berechnung von Übergewinnen Schwierigkeiten. In der Vergangenheit sind in den USA dazu zwei verschiedene Methoden entwickelt worden, die average earnings method und die invested capital method. Worin unterscheiden sie sich? Grob gesagt wird bei der average earnings method für das jeweilige Unternehmen ein Gewinn ermittelt, der, bezogen auf einen festgelegten vergangenen Zeitraum, als „normal“ gilt. Der darüber hinausgehende im Krisensteuerjahr erwirtschaftete Gewinn unterliegt der Übergewinnsteuer. Im Gegensatz dazu wird bei der invested capital method eine als „normal“ geltende Renditerate pro investiertes Kapital errechnet. Wieder wird die darüber hinausgehende Rendite mit Excess Profits Tax belastet.
Um sich der wirtschaftlichen Realität des betreffenden Unternehmens möglichst zu nähern, sind im Rahmen von beiden Berechnungsmethoden zahlreiche zusätzliche Faktoren berücksichtigt worden. So könnte zum Beispiel bei Anwendung der average earnings method ein bestimmter, mehrjähriger Vorkrisenzeitraum als Referenz festgelegt und der monatliche bzw. jährliche Nettodurchschnittsgewinn berechnet werden. Unternehmenssteuern und andere regulär zu entrichtende Steuern sind also bereits abgezogen. Nun könnte festgelegt werden, dass im betreffenden Steuerjahr davon 95 %, zuzüglich 8 % des seit Ende des Referenzzeitraums erfolgten Kapitalzuwachses, als normal gelten und der Rest – soweit vorhanden – der Übergewinnsteuer unterliegt. Die pauschale Addition von 8 % des im Krisenjahr erzielten Kapitalzuwachses trägt dem Gedanken Rechnung, dass neues Kapital auch ohne die Krise, von welcher das Unternehmen profitiert, einen moderaten zusätzlichen Gewinn erzielt hätte.
Alternativ kam die invested capital method zur Anwendung, wobei pauschalisierend davon ausgegangen wurde, dass die ersten 5 Millionen US-Dollar Firmenkapital zu einer Rendite von 8 %, Kapital von 5 bis 10 Millionen zu einer Rendite von 6 % und Kapital von mehr als 10 Millionen zu eine Rendite von 5 % führen. Die Berechnung des Unternehmenswertes erfolgte damals durch Addition von eingebrachtem Eigenkapital, der Hälfte des Fremdkapitals und aller Sachanlagen mit den bis dato generierten Umsätzen und Gewinnen. Wertsteigerungen, etwa des Anlagevermögens, und Rechte, Lizenzen usw. blieben unberücksichtigt.
Digitalkonzerne besteuern
Wie könnte eine Excess Profits Tax heute berechnet werden? Während Saez und Zucman sich zu dieser Frage noch nicht positioniert haben, schlägt Avi-Yonah die Berechnung anhand der average earnings method vor. Als möglichen Referenzzeitraum nennt er 2016 bis 2019. Die average earnings method eigne sich angesichts der Besonderheiten moderner Unternehmensstrukturen besser zur adäquaten Ermittlung von Übergewinnen, schließlich zeichneten sich die von der Krise profitierenden Unternehmen durch erhebliche Diversität und tendenziell wenig kapitalintensive Aktivitäten aus. Eines ist dabei völlig klar: Im Blick hat haben Avi-Yonah und seine Kolleg*innen vor allem die global agierenden Digitalkonzerne wie Amazon, Facebook, Zoom und co.
Alternative: Global Excess Profits Tax
Diese Global Player nennt auch Allison Christians beim Namen und fordert deshalb die Global Excess Profits Tax. Die Besteuerung von global wirtschaftenden Digitalunternehmen sei ohnehin bereits eine der größten Herausforderungen im gegenwärtigen internationalen Steuerrecht. Mit einer Art Erst-recht-Schluss argumentiert Christians, dass es utopisch sei, die Übergewinne dieser Unternehmen im nationalen Alleingang zu besteuern, wenn es schon nicht gelinge, ihre regulären Gewinne zu besteuern. Wenn überhaupt, sei beides zugleich im Rahmen global wirksamer Regulatoren möglich, wie sie von der OECD ausgearbeitet werden.
„Yet there is no reason to think that national excess profits taxes would accomplish any of their stated goals, because even as national borders have closed, capital remains mobile and follows the same economic logic as ever. This includes using every available mechanism to avoid paying taxes, including shifting profits to more favorable tax regimes abroad“ (Allison Christians).
Ganz konkret fordert Christians die Etablierung eines Pillar 3 im Rahmen des OECD-Projekts zur Besteuerung digitaler Unternehmen. Für Pillar 3, welcher die Global Excess Profits Tax für globale Krisen beinhalten soll, könnte das Vorgehen mit Pillar 1 und 2 genutzt werden. Insbesondere die in Pillar 1 verankerte Unterscheidung zwischen Routinegewinnen (Durchschnittsrendite für bestimmte unternehmerische Tätigkeiten je nach Land und Branche usw.) und Residualgewinnen (über Routinegewinne hinausgehende tatsächlich erwirtschaftete Rendite des einzelnen Unternehmens) könne strukturell auf die Unterscheidung zwischen normalen Gewinnen und Übergewinnen übertragen werden. In einem KPMG-Bericht wurde beispielsweise eine Durchschnittsrendite von 22 % für multinationale Unternehmen berechnet, die sich auf 8 % Routinegewinne und 14 % Residualgewinne aufteilt. Daraus folge, dass die Berechnung von excess profits ebenso wie die Berechnung von Residualgewinnen mit den international zur Verfügung stehenden Instrumenten, insbesondere der länderbezogenen Berichterstattung der Konzerngewinne, möglich ist. Unter pragmatischer Einschätzung der zur Verfügung stehenden Daten hält Christians deshalb die Anwendung einer modifizierten invested capital method zur Berechnung der Bemessungsgrundlage für sachgerecht.
Allison Christians Vorschlag zeichnet sich dadurch aus, dass an bereits vorhandene internationale Instrumente zur Besteuerung von digitalen Unternehmen angeknüpft wird. Die Idee bleibt indes überwiegend abstrakt. Wie genau die Übergewinne der betreffenden Unternehmen berechnet werden sollen, lässt auch Christians offen. Durch die Referenz auf die bisherige Arbeit der OECD zur Besteuerung digitaler Unternehmen zeichnet sie jedoch ein durchaus Optimismus hervorrufendes Szenario der globalen Übergewinnbesteuerung. Nicht zuletzt denkt Christians auch mit Blick auf die Verteilungsfrage global. Es sei essenziell, dass ein durch die Global Excess Profits Tax generiertes Steuersubstrat auch global gerecht anhand der Bedürftigkeit der einzelnen Staaten verteilt werde. Schwerpunkt müsse die globale Krisenbewältigung bleiben. Die Vorzugswürdigkeit einer internationalen Lösung ergibt sich gerade auch mit Blick auf die Verteilungsfrage, da es sich bei den betreffenden Konzernen überwiegend um US-amerikanische Unternehmen handelt, die aber global agieren.
Lohnt sich eine Diskussion über Excess Profits Taxes?
Krisenbewältigung bleibt das Stichwort, das bei einer Diskussion über die Einführung einer Excess Profits Tax – ob national oder global – im Vordergrund stehen muss. Das wenden auch Kritiker*innen ein, die darauf hinweisen, dass die Besteuerung von global agierenden Digitalkonzernen nicht erst seit der Coronakrise auf der politischen Agenda vieler Staaten, darunter Deutschland, stehe. Im Vordergrund müsse deshalb eine nachhaltig gut funktionierende Unternehmensbesteuerung stehen. Die Gesundheitskrise solle nicht zu unkoordinierter (Über-)Besteuerung der betreffenden Konzerne missbraucht werden. Diesem Einwand ist jedoch entgegenzuhalten, dass sich durch die Krise der Trend zur Konzentration des Marktes auf wenige große Unternehmen verschärft. Während kleinere, weniger digitalisierte Konkurrenzunternehmen schwer durch die die Krise gebeutelt werden, bauen die großen multinationalen Digitalkonzerne ihre gesamtwirtschaftlich schädlichen Monopolstellungen aus. Allein dies macht ein diesen Effekt abschwächendes Instrument erforderlich. Darüber hinaus – und das ist entscheidend – brauchen viele Staaten angesichts der enormen aus der Coronakrise folgenden wirtschaftlichen Belastungen zusätzliche Mittel zur Krisenkostenbewältigung. Wo solche Mittel – in der Tat nicht erst seit 2020 – größtenteils unversteuert liegen, ist kein Geheimnis. Eine globale oder jedenfalls multinationale Form der Übergewinnbesteuerung wäre zu begrüßen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist der Christians Vorschlag zur Etablierung eines Pillar 3 von der OECD aber noch nicht diskutiert worden. Angesichts des kürzlich angekündigten Rückzugs der USA aus dem OECD-geführten Prozess dürfte der Fokus mittelfristig wieder verstärkt auf einer europäischen Lösung liegen.
Über die Autorin:
Esther-Rosa Schüttpelz hat Rechtswissenschaften mit Schwerpunkt Steuerrecht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster studiert. Während des Studiums arbeitete sie als studentische Hilfskraft am Institut für Steuerrecht bei Prof. Joachim Englisch, nahm an einer Summer School der JurGrad Münster zum Thema International Taxation teil und absolvierte Praktika in der Corporate Tax Abteilung von KPMG, in einer deutsch-spanischen Steuerrechtskanzlei in Barcelona und im Bundesministerium für Finanzen. Seit August 2018 ist sie Referendarin am Landgericht Münster. Während ihrer Anwaltsstation arbeitete sie für eine mittelständische Kanzlei an Fragen der Besteuerung der öffentlichen Hand. Ihre Wahlstation absolviert sie beim Netzwerk Steuergerechtigkeit.
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