Gerechtigkeits-Check April – Von wegen Krise

Die letzten Corona-Masken verstauben, der Herbst war weniger heiß, der Winter weniger kalt und langsam kommt der Frühling. Also vorbei mit Krise? Für die DAX-Konzerne gab es allem Anschein nach gar keine Krise: sie verbuchen auch für 2022 neue Rekordgewinne – und der größte Krisengewinner zahlt nur 0,03 Prozent Steuern. Für den Bundeshaushalt ist die Krise verschoben, zunächst auf den Regierungsentwurf im Sommer – dafür nimmt sich das Bundesverfassungsgericht mal wieder die Erbschaftsteuerprivilegien vor. Für viele Menschen – zuallererst in der Ukraine – ist die Krise aber noch lange nicht vorbei. Das zeigt sich laut Edeka-Vorstand bei der Vorstellung des Jahresberichts demnächst auch im Supermarktregal. Was wir beim Netzwerk im Krisenjahr 2022 gemacht haben, lässt sich ab heute in unserem Jahresbericht 2022 nachlesen. Was die FDP und die CDU für steuerpolitische Lektionen aus der Krise ziehen, analysieren wir in diesem Newsletter. Auch dabei: ein armer Milliardenerbe eines Krisenprofiteurs macht Kasse.

Gerechtes, solidarisches und ökologisches Steuersystem

Keine Steuerwende bei CDU und FDP in Sicht

Im Rahmen des Grundsatzprogramms hat die CDU-Fachkommission „Wohlstand“ einen Entwurf für ein neues Steuerkonzept vorgelegt. Die FAZ betitelte es als „radikale Steuerwende“. Auch wenn die Details noch fehlen und das Papier noch nicht fertig und veröffentlicht ist: Insgesamt ist das Konzept bisher weder radikal, noch ein echter Schritt Richtung Steuergerechtigkeit.Unter dem Titel “Land der Eigentümer” beschreibt das Konzept zwar die Probleme (Machtasymmetrien) und Vorteile (Sicherheit, gesellschaftliche Verpflichtung, Teilhabe) einer gerechteren Verteilung von Vermögen sehr gut. Aber anstatt Vermögen gerechter zu verteilen, enthält das Papier eine Reihe von steuerlichen Vorschläge, die vor allem den bereits sehr Vermögenden und der oberen Mittelschicht helfen. Darunter: die Wiedereinführung der Spekulationsfrist, weitere steuerliche Vergünstigungen für Mitarbeiterkapitalbeteiligung, Befreiung für Erstkäufer bei der Grunderwerbsteuer, Steuerbefreiung für Start-Up Verkäufe und vor allem die Abschaffung der Gewerbesteuer sowie die Senkung der Unternehmenssteuer (als einziger Steuer die sehr Vermögende wirklich zahlen). Machtasymmetrien sollen nicht durch Eingriff in “bereits erwirtschaftetes Vermögen” sondern lediglich über das Wettbewerbsrecht abgebaut werden. Deregulierung am Arbeitsmarkt und Wachstum sollen ermöglichen, dass jeder sich Wohlstand erarbeiten kann, der Staat nur in Notfällen eingreifen und “Schieflagen” z.B. durch übermächtige multinationale Konzerne beseitigen. Wie vermögenslose Menschen zu Wohnungseigentümern werden sollen, wenn ihre Wohnung reichen Erben gehört, beschreibt das Papier nicht (an das fehlgeschlagene Baukindergeld sei erinnert).

Im Ausgleich für die neuen Privilegien und Steuersenkungen enthält das Papier zwei “Steuererhöhungen”, mit dem es sich den Sturm der Entrüstung verdient – zu Unrecht:

  • Zum ersten schlägt das Papier vor, die Steuerprivilegien für Unternehmenserben zu streichen und durch eine Flat Tax von zehn Prozent auf alle Erbschaften zu ersetzen. Damit werden sehr hohe Privatvermögen zumindest auf dem Papier stark entlastet, denn aktuell gilt dafür ein Steuersatz unter Nichtverwandten von bis zu 50 Prozent. Gleichzeitig würde sich der Steuersatz für einige “arme Erben” etwas erhöhen und Unternehmenserben würden mehr zahlen – allerdings nach wie vor nur etwa den Gewinn eines Jahres. Insgesamt würde die Reform aber zu keinen zusätzlichen Einnahmen oder sogar Einnahmeverlusten (wegen zinsloser Stundung und höheren Freibeträgen) führen und 70 Prozent der nicht-erbenden Bevölkerung haben das Nachsehen. Und das im Papier noch mit vielen Fragezeichen versehene Grunderbe von 10.000 Euro lässt sich so auch nicht finanzieren, es sei denn, es wird an anderer Stelle gekürzt.
  • Zum zweiten schlägt das Papier vor, die Grenze für den Spitzensteuersatz zu erhöhen und den Solidaritätszuschlag zu streichen und dies im Gegenzug durch einen höheren Steuersatz für besonders hohe Einkommen zu finanzieren. Wie hoch dieser Satz sein soll und ob sich damit wirklich nennenswerte Entlastungen in der (oberen) Mitte finanzieren lassen, bleibt genauso offen wie die Frage, ob Kapitaleinkommen (z.B. durch eine Erhöhung der Kapitalertragsteuer) auch betroffen sein sollen.

Weitere Nachrichten:

  • Passend zum CDU Programm hat auch Christian Lindner eine “Zeitenwende” in der Finanzpolitik gefordert. Die Beschlüsse auf dem Bundesparteitag der FDP lesen sich jedoch vielmehr wie eine Zeitreise in die 90er-Jahre: Steuern senken und Sparpolitik. Steuerpolitisch heißt das konkret: Keine Änderung der Erbschaftsteuer, Unternehmensteuern weiter senken, Solidaritätszuschlag für Spitzenverdiener abschaffen und die aktuellen Regelungen bei der Tonnagesteuer beibehalten. Die FDP hat keine Antworten auf die Krisen dieser Zeit.
  • Die Abgabenlast auf durchschnittliche Arbeitseinkommen ist in Deutschland im internationalen Vergleich auch in 2022 weiterhin hoch. Das zeigt der jährliche Bericht der OECD. Bei den Alleinstehenden liegt Deutschland mit einer Abgabenquote von 47,8 Prozent einschließlich Arbeitgeberbeitrag wie im Vorjahr auf Platz 2 hinter Belgien. (2021: 48,1 Prozent). Das liegt allerdings auch daran, dass die Sozialversicherungssysteme hierzulande überwiegend über Sozialabgaben finanziert werden. Demzufolge stehen den Abgaben auch ​​ direkte Leistungen wie Rentenansprüche, Kranken- und Arbeitslosenversicherung gegenüber. Nur knapp hinter Deutschland liegen Frankreich, Österreich und Italien. Auch bei einer Familie mit zwei Kindern ist die Abgabenquote mit 40,8 Prozent die zweithöchste. Allerdings nur, weil bei den Berechnungen Zahlungen wie Kindergeld und Kinderfreibeträge nicht berücksichtigt werden. Würden diese berücksichtigt, läge die Belastung bei Familien nach Berechnungen des Handelsblatt nur noch bei 19,5 Prozent und damit im Mittelfeld. Und: Bei der Abgabenquote auf überdurchschnittlich hohe Arbeitseinkommen belegt Deutschland nur noch Rang 6.
  • [Ökologisch] Die EU hat die weltweit erste CO2-Grenzsteuer final und per Verordnung beschlossen. Demnach müssen ausländische Unternehmen beim Export in die EU auch CO2-Zertifikate vorlegen. Der Mechanismus startet übergangsweise ab dem 1.10.2023 und wird dann ab 2026 dauerhaft und schrittweise ausgebaut.

Fokus: Unternehmenssteuern

Rekordgewinn mit Mini-Steuersatz

Den Rekordgewinnen von 2022 folgen jetzt Rekorddividenden. Schätzungen zufolge schütten die Aktiengesellschaften in Deutschland 75 Milliarden Euro und damit 9 Prozent mehr als im Vorjahr aus.

Mit 11,1 Milliarden Euro entfällt die größte Dividende auf Hapag Lloyd. 30 Prozent dieser Dividende fließen an die Schweizer Holding von Klaus Kühne. Auf die Gewinne von knapp 16 Milliarden Euro aus dem Schiffsgeschäft wurden dank Tonnage-Steuer wie im Vorjahr lediglich 4,5 Millionen Euro Steuern (0,03%) fällig. In einer aktuellen Anfrage der Linken bezeichnet die Bundesregierung die Entscheidung, Schiffe auch von der globalen Mindeststeuer auszunehmen als “eng begrenzte Bereichsausnahme” und verweist auf die Gemeinschaftsentscheidung der OECD. So wird nationaler (und auch von Deutschland verursachter) Unterbietungswettbewerb zur globalen Norm. Die einzigen Profiteure sind die Unternehmenseigentümer. Zu den entgangenen Einnahmen liegen der Bundesregierung demnach “keine Erkenntnisse” vor. Die Schätzung des BMF im Subventionsbericht aus dem Jahr 2021 (Ausfall von 225 Millionen Euro für 2022) lag auf jeden Fall weit daneben.

Fast ein Drittel der Rekorddividende entfällt auf die Autobauer. Susanne Klatten und Stefan Quandt erhalten zusammen 2,6 Milliarden Euro (von ihrem Gewinnanteil von knapp 9 Milliarden Euro) und hätten damit auch für 2022 eine Vermögenssteuer von fünf Prozent (1,3 Milliarden Euro) problemlos zahlen können.

Gierflation im Supermarktregal – Übergewinnsteuer nicht in Sicht

Man kann Hapags überhöhte Frachtraten in den Jahren 2021 und 2022 als ganz normales Knappheitssignal verstehen. Und man muss sich in der Marktwirtschaft nicht wundern, wenn die betroffenen Unternehmen diese erhöhten Kosten an die Konsumenten weitergeben. Das Störgefühl dabei breitet sich trotzdem weiter aus. Für einen Analyst von Société Générale droht sogar das Ende des Kapitalismus. Besonders bemerkenswert: Der größte Nahrungsmittelhändler Edeka präsentiert sich zur Vorstellung des Geschäftsberichts jetzt als “Anwalt der Verbraucherinnen und Verbraucher” und fordert “die Markenindustrie auf, die Inflation nicht weiter künstlich in die Höhe zu treiben”. Vorstandsvorsitzender Mosa kritisiert Spekulation bei Weizenpreise und anhaltend hohe Preisforderungen trotz stark fallender Frachtraten und Herstellerpreise. Dafür riskiert Edeka einen Lieferstopp und ersetzt Miracoli, Pampers, Pepsi, Milka & Co zur Not durch Eigenprodukte. Laut Bericht wurden von 3 Milliarden Euro Preiserhöhungsforderung nur 1,5 Milliarden Euro an die Kunden weitergegeben und die Umsatzrenditen sind gesunken. Die Gewinne bei der Edeka Muttergesellschaft sind trotzdem um 44,8 Millionen Euro gestiegen. Zu den einzelnen Kaufleuten berichtet Edeka nicht

Weitere Nachrichten:

Fortschritte beim C des Steuergerechtigkeits-ABCs: Deutschland begibt sich bei der öffentlichen länderbezogenen Berichterstattung (pcbcr) auf die Zielgerade mit einer Expertenanhörung im Bundestag. Gleichzeitig hat Australien einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der deutlich weiter geht als die in Deutschland diskutierte EU-Richtlinie. Deswegen fordern wir in unserer Stellungnahme ein paar Anpassungen an die neue globale Realität, z.B. die Erweiterung der Länderliste, einen Abgleich zum konsolidierten Konzernabschluss und den Ausweis konzerninterner Umsätze. Letzteres fordert überraschenderweise auch der BDI

Fokus: Vermögen, Erbschaften, hohe Einkommen

Bundesverfassungsgericht prüft Privilegien bei der Erbschaftsteuer

Das Bundesverfassungsgericht überprüft demnächst die Steuerausnahmen zugunsten von Unternehmenserben. Das geht aus der Entscheidungsvorschau des Gerichts hervor (1 BvR 804/22). Hintergrund ist eine Verfassungsbeschwerde zu der Frage, ob die Begünstigungen für Unternehmenserben mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Der Beschwerdeführer hatte zuvor gegen seinen Erbschaftsteuerbescheid vor dem Finanzgericht Münster geklagt. Da es sich bei seinem Erbe von Aktienvermögen um Privatvermögen handelte, erhielt er dabei keine steuerlichen Vergünstigungen. Hiergegen wandte sich der Kläger – ohne Erfolg. Ebenso wenig Erfolg hatte seine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision vor dem Bundesfinanzhof (II B 49/21). Umso überraschender ist, dass sich der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts seiner Beschwerde angenommen hat. In seiner Beschwerde führt er an, dass die verschonten Betriebsvermögen stetig zunahmen und die Gerechtigkeitslücke zu den Nicht-Begünstigten damit immer weiter zunimmt. Die Richter können das Verfahren nutzen, um die Ausnahmen im Erbschaftsteuerrecht grundsätzlich zu überprüfen. Das Gericht hat dazu den Rechtsausschuss des Bundestags sowie einige Verbände um Stellungnahme gebeten. Nach Informationen der F.A.Z. sind die meisten Verbände sowie der Rechtsausschuss dem nicht gefolgt. Vertreter der Familienunternehmer sollen zudem dafür geworben haben, dem Verfahren so wenig wie möglich Öffentlichkeit zu geben, um die Privilegien nicht zu gefährden.

Zwar bedeutet die Veröffentlichung in der Entscheidungsvorschau 2023 eigentlich, dass sich das BVerfG  noch in diesem Jahr eine Entscheidung finden will, allerdings werden diese Ankündigungen regelmäßig nicht eingehalten. Unabhängig von der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Richter in Karlsruhe gilt aber, dass die Ausnahmen für Firmenerben vor dem Hintergrund extremer Vermögensungleichheit in Deutschland sowie der hohen Kosten dieser Steuersubvention eine Änderung der bestehenden Regelungen politisch dringend geboten ist.

Weitere Nachrichten:

  • 82 (8%) der aktuell reichsten Familien gehörten schon 1913 zu den reichsten – das zeigt ein Vergleich der 1.032 reichsten Deutschen aus dem Manager Magazin mit der Reichenliste eines preußischen Beamten in einem Diskussionspapier des Max-Planck-Instituts. Ein deutlich größerer Teil der heutigen Vermögen (368 von 1001 bzw. 37%) hat seine Wurzeln in der Zeit bis 1913. Von den 82 “alten” Reichen sind 29 Adelsfamilien. Weitere 20 haben ihr Unternehmen verkauft und sind trotzdem reich geblieben. Das Papier enthält außerdem spannende Grafiken, wo die “alten” und “neuen” Reichen wohnen und wie die “alten” Reichen untereinander verwandt und verbunden sind – z.B. Karl-Theodor zu Guttenberg, mit den Flicks, Brenninkmeijers, Rothschilds, Hohenzollern und Thurn und Taxis…
  • Über den Verkauf von Viessmann wurde in den letzten Tagen heiß debattiert. Was in der Diskussion bisher fehlte: 2011 und 2014 hatte der Vater einen Großteil der Anteile an Sohn und Tochter übertragen. Wahrscheinlich schenkungsteuerfrei, mit dem Versprechen, die Arbeitsplätze in Deutschland für mindestens sieben Jahre zu erhalten. Diese Frist ist jetzt praktischerweise abgelaufen. Die Steuer verloren. Das Unternehmen wurde letztlich trotzdem verkauft. Ende 2022 übertrug der Vater übrigens die letzten 19% auf die Kinder – falls darauf jetzt nachträglich tatsächlich Steuern fällig werden sollten, ließen die sich aus der Portokasse zahlen.
  • Ebenfalls viel diskutiert: Mathias Döpfner und seine Anweisung an die BILD-Redaktion, die FDP im Wahlkampf zu unterstützen (ZEIT). Wie wir bereits in der Vergangenheit berichtet haben, sparte er bei der Schenkung von Springer-Aktien 2021 allem Anschein nach hunderte Millionen Euro wegen einer Steuerlücke bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer, deren Abschaffung die FDP jetzt blockiert. Um von der 2016 eingeführten Verschonungsbedarfsprüfung zu profitieren, kaufte er mit seinem Vermögen kurz vor der Schenkung weitere Springer-Aktien im Wert von 276 Millionen Euro und war damit aus Sicht der Steuerbehörden bei der Schenkung wahrscheinlich mittellos und verschonungsbedürftig.
  • Reich, mächtig und wenig bekannt. Der Verband “Die Familienunternehmer” lobbyiert gegen alles, was die Profite seiner Mitglieder schmälert: Faire Verteilung von Steuern, die Energiewende und sogar gegen eine neue Rechtsform von Unternehmen (Gesellschaft mit gebundenen Vermögen), weil diese die Überflüssigkeit bestehender Steuerprivilegien – etwa bei der Erbschaftsteuer – vollends offenlegen würde. Weitere Hintergründe hat abgeordnetenwatch gemeinsam mit der ZEIT recherchiert. Zu finden HIER und ohne Paywall HIER.
  • Das jährliche Lobbytreffen “Der Familienunternehmer” fand am 20. April in Berlin statt. Bei den “Familienunternehmertagen” haben wir gemeinsam mit der Bürgerbewegung Finanzwende und Tax Me Nowunsere Forderung mit einer Aktion vorgebracht: Die reichsten Menschen des Landes dürfen sich nicht ihrer Verantwortung entziehen, indem sie sich für ungerechte und die Allgemeinheit schädliche Steuerausnahmen – etwa bei der Erbschaftsteuer – einsetzen! Mehr zur Aktion gibt es HIER.
  • Mittlerweile mehr als 500.000 Menschen unterstützen einen Avaaz-Aufruf für ein Vermögensteuer für Super-Reiche.
  • Spannende Debatte im US-Senat über die Besteuerung von hohen Einkommen (“A Rigged tax system: the cost of tax dodging by the wealthy and big corporations”, voller absurder Ausnahmen und guter Verbesserungsvorschläge. Ob sowas auch in Deutschland möglich wäre?

Internationale Steuergerechtigkeit

Steuer-Sondersitzung der UN: José Ocampo demnächst wieder nicht als kolumbianischer Finanzminister

Im November 2022 hat die UN eine bahnbrechende Resolution zur internationalen Steuerkooperation beschlossen. Sie eröffnet einen zwischenstaatlichen Verhandlungsprozess, von dem sich viele eine UN-Steuerkonvention von universaler Gültigkeit versprechen. Die Sondersitzung des UN-Wirtschafts- und Sozialrats am 31. März 2023 war das erste Abtasten der Verhandlungsgruppen.” So beschreibt Bodo Ellemers für das Global Policy Forum den aktuellen Prozess zur globalen Steuerreform bei der UN. “Besonders prägnant war der Einsatz Kolumbiens, dessen Finanzminister José Antonio Ocampo die Sitzung als Hauptredner eröffnete.” Er lobt die OECD Anstrengungen als einen Beweis, dass “a large group of countries can cooperate” aber betont, dass das Ergebnis vor allem aus Sicht der ärmeren Ländern nicht ausreichend ist: “We must acknowledge that we have not achieved an inclusive, equitable and sustainable international tax order or a comprehensive solution”. (Video hier: ab Minute 19) Er schlägt vor, auch Steuern auf Dienstleistungen, mobile Arbeiter, eine Mindeststeuer für große Vermögen und eine Vereinfachung der Verrechnungspreise in den UN-Prozess einzubeziehen. Weniger Tage nach dieser Rede, am 26. April, verlässt José Ocampo im Rahmen einer Kabinettsumstellung wegen einer gescheiterten Gesundheitsreform überraschend das Finanzministerium. Er hinterlässt eine im letzten Jahr verabschiedete, umfangreiche Steuerreform – einschließlich Zusatzsteuern für Banken und Rohstoffindustrie, einer Quellensteuer für nicht ansässige Unternehmen mit wesentlicher Geschäftstätigkeit, einer alternativen 15% Mindeststeuer, höherer Kapitalertragssteuern, Vermögensteuer und Steuern auf zuckerhaltige Getränke, Plastik und hochverarbeitetes Essen.

Weitere Nachrichten:

Kenya hat den Widerstand gegen Pillar 1 aufgegeben und seine Digitalsteuer abgeschafft. Damit beugt sich das Land dem Druck der USA über ein Freihandelsabkommen (mehr dazu hier).

Schattenfinanz und Geldwäsche

Die personalstärkste FIU der Welt

In einer weiteren ausführlichen kleinen Anfrage hinterfragt die CDU die Bearbeitung von Geldwäscheverdachtsmeldungen durch die FIU. Mit zusätzlichem Personal aus der Zollverwaltung und anderen Arbeitsbereichen soll der Bearbeitungsrückstand laut Antwort der Bundesregierung behoben sein. Gleichzeitig betont die Bundesregierung, dass Deutschland sich mit 720 Planstellen bereits die personalstärkste FIU leistet. Besonders spannend sind deswegen die in der Antwort beschriebenen Ergebnisse der Ursachenforschung: Unerkannt blieb der Rückstau demnach, weil Anfang 2020 die Leitung der FIU ohne Wissen des BMF entschieden hatte, die “Steuerung des Gesamtarbeitsaufkommens” auf die Operativreferate zu verteilen ohne ein entsprechendes Controlling einzuführen. Auch deswegen ist der damalige Chef mittlerweile durch Daniel Thelesklaf ersetzt, der zum 1. Juli 2023 sein Amt antreten soll. Nach der BaFin ist damit die zweite Geldwäschebehörde in “Schweizer” Hand. Eigentlicher Grund für den Bearbeitungsrückstau waren laut Antwort aber das stark gestiegene Meldeaufkommen, ineffiziente Filtermechanismen, Defizite bei goAML, mehr Fristfälle und COVID-19. Aussagen zur Qualität der Meldungen konnte die Bundesregierung mal wieder nicht machen, weil die “Arbeitsstatistik” nach wie vor keine Angaben über Transaktionsvolumen oder betroffene Länder enthält. Anstatt sich weiter über den Bearbeitungsrückstau aufzuregen oder wie die Staatsanwaltschaft Osnabrück eine ungefilterte Weiterleitung zu fordern und immer mehr Menschen wenig hilfreiche Meldungen durchforsten zu lassen, wird es Zeit über grundlegendere Verbesserungen bei der Geldwäschebekämpfung zu sprechen. Die Bundesregierung verspricht dazu einen Gesetzesentwurf zur neuen Bundesoberbehörde zur Bekämpfung der Finanzkriminalität “noch in diesem Jahr”.

Weitere Nachrichten:

  • Die Rettung des öffentlichen Transparenzregisters? Das EU-Parlament hat am 19.4. seine Position für die Trilog-Verhandlungen zum Geldwäschepaket beschlossen. Darin enthalten sind eine ganze Reihe von Verbesserung, u.a. ein einfacher Zugang für Journalisten und NGOs als Reaktion auf das EuGH-Urteil und die Überwachung der nationalen Registerbehörden als neue Aufgabe für die europäische Geldwäschebehörde (AMLA). Mehr dazu von Transparency International hier und beim Europaparlament hier.
  • Kein großer Fisch! Die Rheinische Post spricht von einer “gewaltigen” Summe und “einem führenden Kopf einer internationalen Bande”. Auch beim Stichwort “Hawala-Banking” dürften viele schnell an Terrorfinanzierung und die große Kriminalität denken. Der Vater aus Mönchengladbach, der jetzt verurteilt wurde, weil er unerlaubte Zahlungsdienstleistungen im Umfang von 12 Millionen Euro erbracht und 20.000 Sozialhilfe zu Unrecht bezogen hat, dürfte trotzdem zu den kleinen Fischen gehören. Er hat deutschen Autohändlern bei ihren Geschäften im Nahen Osten geholfen, in Istanbul eingezahltes Bargeld eingesammelt und 800 Euro Lösegeld für eine Frau in einem syrischen Gefangenen-Camp abgewickelt. Aufgeflogen war er wegen einem Autounfall mit zu viel Bargeld im Kofferraum.
  • Ein großer Fisch (in Frankreich): Der geheimnisvolle Immobilien-Milliardär Adrien Labi wurde in Frankreich verhaftet. Dabei beschlagnahmten die Behörden 461 Millionen Euro – mehr als die Hälfte der gesamten Beschlagnahmungen aus 2022. Die Vorwürfe lauten auf Steuerhinterziehung und Geldwäsche im Zusammenhang mit Transaktionen von Luxus-Immobilien in Paris. (Exklusivberichterstattung von Le Monde auf Englisch/Französisch mit Paywall; Zusammenfassungauf Englisch ohne Paywall)

Steuerverwaltung und Cum-Ex

In Sachen Cum-Ex bleibt es ungemütlich für Kanzler Scholz

Das Bundeskanzleramt muss nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin Auskunft erstatten, ob Bundeskanzleramtschef und langjähriger Scholz-Vertrauter Wolfgang Schmidt Dienstwissen in geheimen Hintergrundgesprächen mit Journalisten verbreitet und versucht hat, den Journalisten Oliver Schröm bei seinen Chefdakteuren vom NDR zu diskreditieren. Schröm berichtet seit vielen Jahren über das Thema Cum-Ex und steht hinter dem Buch “Die Akte Scholz”, welches das verdächtige Verhalten des damaligen Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz im Fall der Warburg-Bank sowie dessen Gedächtnislücken vor dem Hamburger Untersuchungsausschuss kritisch aufarbeitet. Um die Gedächtnislücken des Bundeskanzlers ging es auch auf der letzten Sitzung des Untersuchungsausschusses, zu der die ehemaligen Mitglieder des Finanzausschusses des Bundestags als Zeugen geladen waren. In mehreren Sitzungen im Jahr 2020 soll Scholz noch Erinnerungen vorgetragen haben, aber aktiv weitere, damals noch nicht pressebekannte Treffen mit den Warburg-Eigentümern verschwiegen haben. Der ehemalige LINKE-Abgeordnete Fabio de Masi fasste im Nachgang der Sitzung seine Vorwürfe für die Berliner Zeitungzusammen. Es bleibt somit ungemütlich für Olaf Scholz, denn die Unionsfraktion hat nun einen weiteren Untersuchungsausschuss auf Bundesebene zu seiner Verstrickung in die Warburg-Affäre auch offiziell beantragt.

Auch für Warburg und Co. gibt es weitere Negativschlagzeilen. Die Bank gewährte Mathias Döpfner kurz nach seinem Aufstieg zum Geschäftsführer und Großeigentümer beim Springer-Konzern einen Kredit über 60 Millionen Euro für den Erwerb von Springer-Aktien (exklusiver Stern-Artikel; Kurzfassung ohne Paywall). Als Sicherheit für den Kredit diente lediglich das volatile Aktienpaket, aber Warburg sah möglicherweise die Chance auf Nähe zum einflussreichen Medienkonzern. Im Zuge der Cum-Ex-Affäre der Bank gaben Springer-Medien ohne Offenlegung dieser Geschäftsbeziehung des Geschäftsführers, der laut kürzlichen Enthüllungen im engen inhaltlichen Austausch mit seinen Redakteuren stand, der Bank eine positive Plattform. Darunter fallen unter anderem die berüchtigte BILD-Schlagzeile „Das soll ein Skandal sein?“ und ein langes Welt-Interview mit dem Bank-Miteigentümer und ehemaligen Geschäftsführer Olearius – gegen den mittlerweile das Gerichtsverfahren vor dem Landgericht Bonn wegen der Cum-Ex-Geschäfte seiner Bank eröffnet wurde.

Weitere Nachrichten:

  • Der Cum-Ex-Hintermann Sanjay Shah, der auch in Hamburg angeklagt ist, soll nach langer rechtlicher Auseinandersetzung nun endlich nach Dänemark ausgeliefert werden. Ein Gericht in Dubai verwarf seine Berufung gegen ein früheres Urteil zur Auslieferung. In Dänemark wird Shah Steuerhinterziehung in Höhe von 1,2 Milliarden Euro vorgeworfen.
  • Weitere Durchsuchungen wegen Cum-Ex: In Frankreich wurden zahlreiche namhafte Banken wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung durch Cum-Ex durchsucht, darunter Großbanken wie Société Générale, BNP Paribas und HSBC. Beteiligt waren neben den französischen Behörden auch sechs deutsche Staatsanwälte. In Frankfurt wurde die japanische Großbank Nomura durchsucht, die unter anderem in den Fall der Dekabank verwickelt war, welcher für eins der ersten Finanzgerichtsurteile sorgte. Es geht um Ermittlungen gegen 37 Beschuldigte. Zudem berichtete das Handelsblatt, dass gegen 14 ehemalige WestLB-Vorstände ermittelt wird.
  • Kleine Anfragen in Mecklenburg-Vorpommern bieten frische Länderdaten zur Landesfinanzverwaltung sowie Steuerhinterziehung und Geldwäsche. Demnach liegt die Personaldecke in Mecklenburg-Vorpommern bei 85,1 Prozent im Vergleich von Arbeits-IST zum Personalbedarf. Ein auf den Anfragen basierender Artikel der Ostsee-Zeitung fokussiert sich auf die Zahl der Steuerstrafverfahren und Steuerschulden in Höhe von 150 Millionen Euro.

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