Gerechtigkeits-Check Mai – Bürger mit Mut und das D-E-F-G der Steuergerechtigkeit

Während Bremen über “Bürger in Wut” diskutiert, haben wir mit zwanzig sehr bunt zusammengesetzten, mutigen Bürger*innen drei Abende lang über Gerechtigkeit und Steuern debattiert. Herausgekommen ist eine lange Liste von Ungerechtigkeiten und Problemen, aber auch die Erinnerung, dass das deutsche Steuersystem im internationalen Vergleich gut funktioniert und für mehr Gerechtigkeit sorgt. Die große Mehrheit der Teilnehmenden stimmte am Ende dafür, in einem Bürgerrat darüber zu sprechen, wie Steuern für mehr Gerechtigkeit zwischen großen Vermögen und harter Arbeit sorgen können und wie viel Vermögensungleichheit unsere Demokratie verträgt. Ein weiterer erfreulicher Höhepunkt unserer Arbeit: Der Bundestag hat das Gesetz zur öffentlichen länderbezogenen Berichterstattung beschlossen. Damit ist das A-B-C der Steuergerechtigkeit nach knapp zwanzig Jahren komplett. Passend dazu hat das Tax Justice Network das D-E-F-G veröffentlicht

Vermögen, Erbschaften, hohe Einkommen

Am Strohfeuer der Lobby verbrannt

Kürzlich wurden neue Steuerpläne der CDU-Fachkommission „Wohlstand“ bekannt. Für Überraschung sorgte unter anderem der Vorschlag, die gestaltungsanfälligen und ungerechten Steuerprivilegien für Firmenerben zu streichen und durch einen Einheitssteuersatz (Flat Tax) von zehn Prozent auf alle Erbschaften zu ersetzen. Dabei war der Vorschlag alles andere als radikal oder gerecht: der sehr niedrige Steuersatz hätte viele mittelgroße Erbschaften entlastet und dafür einige kleine Erbschaften sogar stärker belastet. Wenige Wochen später, auf der Klausurtagung, dann trotzdem die Kehrtwende. Die Flat Tax sei zwischenzeitlich „verbrannt“. Dabei war zumindest in der Öffentlichkeit von einem Lobbyfeuer recht wenig zu sehen. Aber laut Vize-CDU-Vorsitzendem Linnemann sei bei der Flat Tax das letzte Wort noch nicht gesprochen. Und vielleicht hat auch das Bundesverfassungsgericht noch ein Wort mitzureden. Denn dort wird die Verfassungsmäßigkeit des Erbschaftsteuergesetzes aktuell erneut geprüft. Nicht unwahrscheinlich, dass die weitreichenden Ausnahmen bald zum dritten Mal in Karlsruhe gekippt werden. Währenddessen kündigte Bayerns Ministerpräsident Söder an, seine bereits angedrohte Verfassungsklage gegen die Erbschaftsteuer noch im Juni auf den Weg zu bringen. Mit einem sogenannten Normenkontrollantrag beim Bundesverfassungsgericht will er eine deutliche Erhöhung der persönlichen Freibeträge sowie eine Regionalisierung erreichen. Im Ergebnis soll auch in Regionen mit hohen Immobilienpreisen die Erbschaft eines Einfamilienhauses steuerfrei bleiben, so Söder. Das ausgerufene Ziel zeigt, dass es sich lediglich um ein Wahlkampfmanöver handeln dürfte, da das selbstbewohnte Familienheim bereits jetzt steuerfrei vererbt werden kann. Zudem dürfte sich kaum ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf höhere Freibeträge herleiten lassen

Weitere Nachrichten:

  • Das Ende der einseitigen Berichterstattung? Seit Jahrzehnten dominieren kritische Frames die Medienberichterstattung zur Erbschaftsteuer. Im Jahr 2021 war die Berichterstattung nun erstmals ausgewogen, das zeigt eine neue Studie (Institut für Sozioökonomie der Universität Duisburg-Essen). Das ist auch ein Erfolg für uns: Mit der Kampagne „Steuerprivilegien Kippen“ haben wir daran mitgewirkt. Gemeinsam mit der Bürgerbewegung Finanzwende und Tax me nowsetzen wir den Mythen der finanzstarken Unternehmenslobby in der öffentlichen Debatte etwas entgegen, indem wir diese entkräften und Steuerprivilegien für große Vermögen offenlegen.
  • Dass es aber noch sehr viel Aufklärungsarbeit zu leisten gibt, wird mit Blick auf eine Untersuchung der Universität Konstanz deutlich. Demnach gibt es hierzulande eine stark verzerrte Wahrnehmung von Einkommens- und insbesondere bei der Vermögensungleichheit. Viele Menschen fühlen sich der Mittelschicht zugehörig, obwohl das objektiv nicht der Fall ist. Besonders oft ordnen sich Menschen, die zu den reichsten Prozenten gehören, der Mittelschicht zu. Aber auch Menschen unterer Einkommensschichten überschätzen ihre Vermögensverhältnisse.
  • Mehrheit der Deutschen für höhere Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen: Eine aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt, dass das Vertrauen in die Demokratie trotz zahlreicher Krisen im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2019 stabil bleibt. Zumindest in Westdeutschland. Während die Zufriedenheit dort um 2,5 Prozentpunkte auf 52 Prozent gestiegen ist, ist sie im Osten um 2 Prozentpunkte auf 34 Prozent gesunken. Die Befragung ergab zudem, dass eine deutliche Mehrheit (über 57 Prozent) dafür ist, notwendige zusätzliche Staatsausgaben mittels höherer Steuern auf hohe Einkommen oder Vermögen zu finanzieren. Im Norden und Osten (66 und 65 Prozent) ist diese Position stärker vertreten als im Süden und Westen (je 53 Prozent).

Gerechtes, solidarisches und ökologisches Steuersystem

Internationale Appelle für mehr Steuergerechtigkeit in Deutschland

In ihrem jährlichen Wirtschaftsbericht empfiehlt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Steuerreformen. Insbesondere stellt sie fest, dass Arbeitseinkommen im internationalen Vergleich mit hohen Steuern und Abgaben belegt werden, während Ausnahmen für reiche Unternehmenserben zu einer hohen Vermögensungleichheit beitragen. Entlastungen, insbesondere für Gering- und Zweitverdienende könnten demnach helfen, das Arbeitsangebot zu erhöhen. Im Gegenzug sollten Steuerausnahmen bei Erbschaften, Immobilien und der Mehrwertsteuer gestrichen werden. Außerdem sollte Deutschland laut OECD durch den Abbau von klimaschädlichen Subventionen den Spielraum für öffentliche Investitionen vergrößern. Zu Steuermehreinnahmen kann nach Ansicht der OECD schließlich ein verbesserter Steuervollzug beitragen. Die Organisation kritisiert fehlende Daten und hält striktere Vorgaben für den Steuervollzug der Länder seitens des Bundes und eine effizientere Koordination zwischen Bundes- und Landesbehörden für nötig. Kurz nach der OECD legte auch der Internationale Währungsfonds (IWF) seinen Länderbericht vor. Er schlägt, ebenso wie die OECD, eine Flexibilisierung der Schuldenbremse für höhere Investitionen vor und mittelfristig zusätzliche Einnahmen z.B. durch eine Reform der Immobilienbesteuerung und den Abbau von umweltschädlichen Subventionen.

Weitere Nachrichten:

  • Die Steuerschätzung im Mai prognostiziert für die kommenden Jahre weniger Steuereinnahmen als die Schätzung aus dem Herbst. Das ist keine Überraschung, denn die Mindereinnahmen haben ihren Ursprung vor allem in der Inflationsanpassung bei der Einkommensteuer und der steuerfreien „Inflationsausgleichsprämie“ mit Kosten von insgesamt rund 34 Milliarden Euro pro Jahr. Die war im Herbst noch nicht beschlossen. Aber während die Wirkung der Inflation insbesondere für Gut- und Spitzenverdiener durch die Anpassung abgefedert wurde, sorgt die Inflation für Mehreinnahmen bei den Steuern, die insbesondere Geringverdiener belasten, insbesondere bei der Mehrwertsteuer. Absolut gesehen sind die prognostizierten Einnahmen zwar so hoch wie nie, allerdings sorgt die Inflation auch für steigende Ausgaben durch höhere Löhne und Einkaufspreise.
  • Bundesverwaltungsgericht erlaubt Verpackungssteuer in Tübingen. Seit Anfang 2022 gibt es eine Steuer von bis zu 1,50 Euro auf Einweggeschirr und -verpackungen. Geklagt hatte die lokale Franchise-Nehmerin von McDonalds. Sie erwägt Berichten zufolge jetzt eine Klage vor dem Verfassungsgericht.
  • Der Königsteiner Schlüssel, der zur Verteilung von Lasten zwischen den Bundesländern genutzt wird, verteilt laut DIW-Berechnungen für die Flächenländer praktisch nur nach Bevölkerungsanteil. Zur Berechnung der Wirtschaftskraft, die eigentlich zwei Drittel des Schlüssels ausmacht, wird das Steueraufkommen der jeweiligen Länder nach der Umverteilung durch den Länderfinanzausgleich genutzt. Somit ist der aktuelle Schlüssel nur für reine Finanzierungsfragen relevant, wie etwa bei der Entwicklung einer digitalen Finanzverwaltung im Rahmen des KONSENS-Vorhabens. Für Verteilungsfragen, bei denen auch andere Faktoren relevant sind, sollte der Königsteiner Schlüssel somit nicht zweckentfremdet werden. Ein Beispiel ist die Verteilung von Bundesgeldern für Bildungsprogramme für benachteiligte Kinder, bei denen der Anteil einkommensschwacher Haushalte im Land, die den tatsächlichen Bedarf an Fördergeldern steuert, eine wichtigere Rolle spielt als deren Finanzkraft.

Internationale Steuergerechtigkeit

Das D-E-F-G der Steuergerechtigkeit

„The Tax Justice Network believes our tax and financial systems are our most powerful tools for creating a just society that gives equal weight to the needs of everyone. But under pressure from corporate giants and the super-rich, our governments have programmed these systems to prioritise the wealthiest over everybody else, wiring financial secrecy and tax havens into the core of our global economy. This fuels inequality, fosters corruption and undermines democracy.”

Seit mittlerweile zwanzig Jahren setzt sich das Tax Justice Network global für mehr Steuergerechtigkeit und das ABC der Steuergerechtigkeit ein. Anlässlich der erreichten Fortschritte und des zwanzigsten Geburtstages enthält die neue Strategie jetzt zwei weitere (rechtliche) Maßnahmenpakete und den finalen Zweck – das DEFG3 der Steuergerechtigkeit:

1. Mehr Transparenz und eine effektivere Steuerverwaltung [Englisch: Disclosure + Enforcement]. Öffentliche Informationen über die Arbeit der Steuerbehörden, über die Kosten von Steuerausnahmen und Geschäftsberichte der Unternehmen sollen für mehr Rechenschaft sorgen und zusammen mit einer angemessenen Ausstattung für die Steuerbehörden für eine gleichmäßige und gerechte Besteuerung sorgen.

2. Eine echte globale Reform von Unternehmensbesteuerung und Finanzmarkttransparenz [Englisch: Formulary apportionment + Global governance/UN tax convention + Global asset register]. Eine UN-Steuerkonvention soll die Grundlage für eine gerechtere Besteuerung von Unternehmen legen und global mehr Transparenz schaffen. Die formelhafte Aufteilung von Unternehmensgewinnen und Besteuerungsrechten soll das System der Verrechnungspreise und die nur sehr beschränkten Neuverteilungspläne der OECD (Säule eins) ersetzen. In einem globalen Vermögensregister sollen nationale Register zu den finalen Eigentümern von Unternehmen, Immobilien, Finanzkonten, Jets und Yachten sowie Kunst verknüpft und für Ermittler und Steuerbehörden zugänglich gemacht werden.

3. Gerechtere Steuersysteme [Englisch: Good taxes]. Als Ergebnis von mehr Transparenz, größerer Rechenschaft und effektiverer Behörden sollen Steuersysteme gerechter werden. Dazu sollen Vermögen und Kapital stärker besteuert, umweltschädliche Steuerregeln sozialgerecht beseitigt und rechenschaftspflichtige Staaten ausreichend finanziert werden. Im Prinzip also ein eigenes D-E-F der Steuergerechtigkeit: (D)istribution – (E)nvironment – (F)inancing for sustainable development.

Weitere Nachrichten: 

  • Jayati Ghosh bringt das neue Buch von Martin Hearson auf den Punkt: Doppelbesteuerungsabkommen sorgen dafür, dass “dringend benötigte Ressourcen aus einkommensschwächeren Ländern abgezogen und in reichere Kapitalexportländer umgelenkt werden”. Sie entstanden aus einer “Mischung aus Unwissenheit, Konkurrenzdenken, Überredung und Zwang”. Aber: “Einige Länder – Indonesien, Senegal, Südafrika, Ruanda, Argentinien, die Mongolei, Sambia und Malawi – kündigen ihre Doppelbesteuerungsabkommen oder handeln sie neu aus, und Uganda ist offenbar gerade dabei, seine Abkommen auf den Prüfstand zu stellen.” Lesenswert.
  • [Neues aus der EU]: Das Europaparlament hat eine Liste mit Vorschlägen für EU-Eigenmittel vorgelegt – von der Finanztransaktionssteuer, über einen Plan B zu Säule 1 und anderen Abgaben für Digitalkonzerne bis hin zu einem Importzoll für Produzenten mit zu niedrigen Löhnen. Polen hat die in der Corona-Zeit ausgesetzte Meldepflicht für nationale Steuergestaltung rückwirkend wiederbelebt. Litauen hat eine Solidaritätsabgabe für Banken beschlossen.

Unternehmenssteuern

Hochmut vor dem Fall?

“The rules of the Two-Pillar Solution have been significantly shaped by the views and needs of developing countries, resulting in the potential for meaningful benefits from the Two-Pillars to accrue to developing countries.”

Die Sichtweisen und Bedürfnisse der Entwicklungsländer haben die Regeln der 2-Säulen-Lösung geprägt. Mit diesen Worten leitet die für die Regeln verantwortliche OECD ihren Bericht für das zurückliegende G7-Finanzminister Treffen in Japan ein. Darüber, dass zum Beispiel der ehemalige Finanzminister Kolumbiens oder der kenianische Finanzminister das anders sehen und dass die afrikanischen Staaten deswegen eine UN-Lösung fordern, haben wir schon mehrmals berichtet.

“Paradis fiscaux: Comment on a changé le cours de l’histoire”

Wie wir den Lauf der Geschichte verändert haben lautet passend zum G7-Bericht der Titel des neuen Buchs, in dem der langjährige OECD-Chefverhandler Pascal Saint Amans seine Perspektive auf die Verhandlungen rund um den automatischen Informationsaustausch und die Unternehmenssteuerreformen beschreibt. Und auch hier stellt sich die Frage, ob das – trotz der in der Tat bemerkenswerten Fortschritte – nicht etwas verfrühter Optimismus ist.

Weitere Nachrichten:

Steuerverwaltung und Cum-Ex

Cum-Ex Untersuchungsausschuss im Bundestag stark umstritten

Die Diskussionen um Zulässigkeit des Bundes-PUA, den die Union quasi als Anti-Scholz-Untersuchungsausschuss aufsetzen möchte, steigern sich in neue Höhen: Der SPD-nahe Rechtswissenschaftler Joachim Wieland argumentierte im Verfassungsblog, dass ein Untersuchungsausschuss im Bundestag nicht zulässig sei, wenn er das Handeln eines Landesfinanzverwaltung untersuchen soll. Dies betreffe einen Großteil der im Unionsantrag genannten Aufklärungsfragen. Für den Geschäftsordnungsausschuss des Bundestags wurde daraufhin ein Gutachten verfasst, welches tendenziell von der Rechtmäßigkeit des angestrebten Untersuchungsausschusses ausgeht. Die SPD und die FPD argumentieren (Kurzfassung ohne Paywall) jedoch weiterhin für eine Unzulässigkeit; die Sache könnte bis vor das Bundesverfassungsgericht gehen.

Es gab zudem Bewegung in der Kontroverse um die intransparente Unterrichtung des Bundestags durch den damaligen Finanzminister Olaf Scholz über seine Treffen mit Christian Olearius. Der Spiegel (€) berichtet über eine Datei mit dem Namen “8Kontakt mit Herrn Olearius.docx”, die Scholz von seinem Ministerium zur Vorbereitung auf seinen Termin im Finanzausschuss des Bundestags am 1. Juli 2020 erstellt wurde. Auf der Ausschusssitzung hatte Scholz die Abgeordneten über seine zwei Treffen im Jahr 2016 noch im Dunkeln gehalten. Der genaue Inhalt des Dokuments ist unbekannt, wurde auch auf Anfrage durch den Finanzpolitiker Christian Görke der Linkspartei nicht beantwortet. Die Episode zeigt, dass selbst ein reiner Scholz-Untersuchungsausschuss durchaus noch echten Zündstoff beinhalten könnte. Wirklich sinnvoll wäre ein weiterer Untersuchungsausschuss aber vor allem, wenn er die losen Fäden des ersten Cum-Ex-UAs auf Bundesebene aufnehmen würde: Cum-Cum und verwandte Modelle, die schleppende strafrechtliche Aufklärung. Das dann gerne auch im Zusammenhang mit politischen Verfehlungen einzelner Minister, und eben auch dem ehemaligen Unions-Finanzminister Wolfgang Schäuble, der in Bezug auf Cum-Cum eine unrühmliche Rolle gespielt hat.

Weitere Nachrichten:

  • Ein Gericht in Dubai hat den Cum-Ex-Hintermann Sanjay Shah zu einer Zahlung in Höhe von 1,25 Milliarden US-Dollar an den dänischen Fiskus verurteilt.
  • Das zweite Urteil gegen den für Deutschland wichtigen Cum-Ex-Hintermann Hanno Berger vor dem Landgericht Wiesbaden soll am 30. Mai verkündet werden. Im Anschluss kann eine Gesamtstrafe gebildet werden, welche das (noch nicht rechtskräftige) Urteil zu acht Jahren Haft aus seinem Prozess vor dem LG Bonn berücksichtigt. Das Plädoyer der Verteidigung lautet auf Freispruch.
  • Das LG Bonn hat ein erstes Urteil gegen einen Aktienhändler des britischen Vermögensverwalters Asset Group gesprochen (Medienberichterstattung): Mit einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren, wovon zwei Monate wegen “rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung” durch die Staatsanwaltschaft Köln als bereits vollstreckt gelten, fiel das Urteil relativ milde aus. Angesichts zahlreicher, mehrere Jahre alter Verfahren gegen über 1500 Beschuldigte ist die “Verfahrensverzögerung” kein gutes Zeichen für zukünftige Urteile. Die bisher verhängten Strafen übertreffen zwar durchaus die Erwartungen von vor einigen Jahren, sind angesichts der hohen entwendeten Volumina und des möglichen Strafmaßes bei schwerer Steuerhinterziehung von zehn Jahren sowieso schon gering. Bald stehen auch drei Partner des Unternehmens, darunter auch der Gründer, vor Gericht.
  • Die Tagebucheinträge von Christian Olearius in Sachen Cum-Ex bei Warburg durften in der Presse veröffentlicht werden. Der Bundesgerichtshof kassiert damit ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg. Laut dem Urteil ist das öffentliche Interesse überragend gegenüber den Persönlichkeitsrechten von Olearius. Die Tagebücher seien zudem gar keine amtlichen Dokumente, für die ein Veröffentlichungsverbot in Frage komme. Zudem ist der Prozess vor dem Landgericht Bonn gegen Olearius terminiert; der erste Verhandlungstag ist der 20. September, der letzte von stolzen 27 Terminen liegt erst im März 2024.

Schattenfinanz und Geldwäsche

Land des Geldes

Die neue Folge von “Die Anstalt” presst die Oligarchen-Jacht “Dilbar” und die deutschen Oligarchen, einen Aufruf zur Revolution gegen Superreiche, den deutschen Spleen fürs Bargeld, das Sanktionsdurchsetzungsgesetz, das löchrige Transparenzregister und die fehlende Digitalisierung im Grundbuch, die Probleme bei der FIU und sogar bei der Glücksspielaufsicht in unterhaltsame 48 Minuten. Und hat am Ende trotzdem noch 10 Minuten Zeit für eine Debatte über Lobbyismus gegen Klimapolitik. Für den großen Zusammenhang zwischen all diesen Themen bleiben lediglich drei Worte: Das “Land des Geldes”. Tatsächlich ist es wohl eine “Welt des Geldes” oder Moneyland, wie Oliver Bullough im gleichnamigen Buch die Parallelwelt der Superreichen bezeichnet. Die Botschaft: Geld kontrolliert die Welt – und hat sich eine Parallelwelt eingerichtet, wo es anonym und ungehindert fließen und sich vermehren kann. Als Erinnerung, dass es auch anders gehen könnte, verweist Moritz Neumeier auf die französische Revolution. Dass Sanktionsdurchsetzungsgesetz und die angekündigte (und in der Planung weit fortgeschrittene) neue Bundesoberbehörde vor diesem Maßstab die Autoren der Sendung am Ende nicht befriedigen ist nachvollziehbar. Im Vergleich zum normalen Reformtempo sind sie trotzdem Quantensprünge nach vorne. Mehr dazu in unserer Diskussion zur Sendung mit der Evangelischen Akademie Frankfurt und dem Regisseur Dietrich Krauß auf Spotify oder Youtube.Nachtrag zur Sendung: Das Frankfurter Landgericht hat einem Zeitungsberichtzufolge gerade die Durchsuchung der “Dilbar” (und der Villen am Tegernsee) für unrechtmäßig erklärt. Die Kanzlei will jetzt gegen das BKA klagen wegen “unrechtmäßiger Presseveröffentlichungen”. Zeit für eine neue Rechtsgrundlage.

Weitere Nachrichten:

  • Bayerische Banken und die Bargeldkoffer für die Mafia: Eine Briefkastenfirma im Münchner Umland stellt hohe Rechnungen für die Lieferung von Altmetall, die es wahrscheinlich nie gegeben hat. Sie erhält dafür Überweisungen von einem italienischen Altmetallhändler. Der Händler lässt sich dann zwischen 2016 und 2019 und in Tranchen von bis zu 900.000 Euro insgesamt fast 70 Millionen Euro bar bei unterschiedlichen Filialen seiner zwei Münchner Banken auszahlen. Die lassen das der Recherche zufolge “eine ganze Weile laufen, ehe sie eine Geldwäscheverdachtsanzeige abgaben”. Hinter der österreichischen Grenze verliert sich die Spur des Geldes. Geldwäsche für Anfänger. Geldwäschebekämpfung nach 40 Jahren noch am Anfang.
  • Follow-the-money für die Sanktionsdurchsetzung: Ein deutsches und ein niederländisches Unternehmen liefern Mikrochips und Drohnen. Um die Sanktionen gegen Russland umzusetzen, erlassen sie Verkaufsrichtlinien, checken Sanktionslisten, lassen sich vom Käufer Endverbleibserklärungen ausstellen. Der Zoll nickt den Export ab. Der Haken: die Käufer sitzen in Kasachstan, wurden kurz nach Kriegsbeginn gegründet, gehören dem Sohn des deutschen Verkäufers oder einem russischen Händler – und verkaufen die Ware direkt weiter nach Russland. Journalisten und ein Norweger zeigen, wie einfach der Zoll das hätte merken können, wenn er systematisch öffentlich verfügbare Handelsdaten auswerten würde. (Spiegel, €oder OCCRP in Englisch)
  • Das Drama um die Berliner Geldwäsche Task Force geht in die nächste Runde: Die Berliner Notaraufsicht will gerne Verdachtsmeldungen abgeben, wenn die Notare das unterlassen haben. Die Notarkammer hat prompt eine Gesetzesänderung erwirkt, die das verbietet. Jetzt will die Linke Fraktion im Abgeordnetenhaus das über eine Bundesratsinitiative ändern. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1173094.geldwaesche-bundesratsinitiative-linke-in-berlin-will-geldwaesche-bekaempfen.html
  • Späte Genugtuung für die Journalisten des MDR: Schon vor mehr als zwanzig Jahren wurde in Thüringen wegen Mafia-Verdacht ermittelt. Bei der Razzia in einem italienischen Restaurant waren auch Ministerpräsident Vogel und sein Innenminister anwesend – allerdings als Restaurantgäste. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Die MDR-Journalisten schrieben ein Buch. Sie wurden deswegen verklagt. Seit 2021 untersucht ein Untersuchungsausschuss im Thüringer Landtag die Einstellung des Verfahrens. Jetzt berichtet der MDR über einen Durchbruch mit 150 Festnahmen in mehreren Ländern, einer in Erfurt. Die Zutaten machen Mut für weitere Ermittlungserfolge: Informationen aus abgehörten Krypto-Handys, die neue Zentral- und Ansprechstelle für die Verfolgung Organisierter Straftaten (ZeOS) aus NRW, die neue europäische Staatsanwaltschaft (Eurojust).

 


Weitere Neuigkeiten aus dem Netzwerk und ein Literaturtipp

  • Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik hat das Memorandum 2023 veröffentlicht. Unter dem Titel “Globalisierung am Ende – Zeit für Alternativen” adressiert es Fragen der Geld-, Finanz-, Steuer-, Arbeitsmarkt und Wirtschaftspolitik und fordert u.a. eine Vermögensteuer und einen höheren Spitzensteuersatz, einen Mindestlohn von 13 Euro, eine wirksame Abschöpfung von Übergewinne, soziale und ökologische Mindeststandards in Handelsabkommen und vor allem ein grundsätzliches Umdenken und mehr multilaterale, regelbasierte Strukturen. Mehr dazu hier
  • Das neueste Buch von Thomas Piketty “Eine kurze Geschichte der Gleichheit”, in dem er seine umfassende Forschung zugänglich zusammenfasst, ist bei der bpb für 4,50€ erhältlich.

Veranstaltungen mit dem NWSG:

  • 30. Mai 2023, 17:30–19.00 Uhr “Neue Vorschläge für das Weltsteuersystem von UN und NGOs” ifst-Webinar, ohne Anmeldung: us02web.zoom.us/j/82679863667
  • 8. Juni 2023 um 19:00 Uhr: Ungerechtigkeit bei Erbschafts- und Schenkungsteuer, Vortrag und Diskussion mit Julia Jirmann (NWSG), Ort: Rathaus Hamburg, Raum 151 und online. https://www.linksfraktion-hamb…
  • 8. Juni 2023 um 18:00 Uhr: Pub-Quiz “Wer zahlt die Zeche”, FES-Hannover. Anmeldung unter https://www.fes.de/veranstaltu…
  • 12.06.2023, 10:00–16.00 Uhr “Unternehmensbesteuerung im internationalen Wettbewerb” ifst-Jahrestagung in Berlin //Anmeldung bis zum 5.6. an office@ifst.de
  • 16. Juni 2023, 17:00 Uhr: Finanzpolitische FEStival mit Julia Jirmann (NWSG), Kevin Kühnert, Kristof Becker, Ria Schröder u.v.m. am  in der TAZ Kantine Berlin (Jetzt anmelden)
  • 19. und 20. Juni 2023: Tag der Progressiven Wirtschaftspolitik 2023 – u.a. Mit dem Thema “Diskurswende in der Finanzpolitik? Gerechte Steuerpolitik im Aufwärtstrend”, FES, Berlin und online. https://www.fes.de/tag-der-pro…

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