Gerechtigkeitscheck Januar – Die Falschen entlastet? 30 Jahre lang!

Am 10. Januar war Bundesfinanzminister Christian Lindner bei Maischberger zu Gast. Dort wurde er mit den Ergebnissen einer Analyse des IW Köln konfrontiert, die der Ampel vorwirft, die Falschen zu entlasten. Und Maischberger legt noch einen drauf: “Menschen, die so viel verdienen wie ich, zahlen heute weniger Steuern als sie es damals [vor 30 Jahren, unter Kohl] getan haben” und bietet sogar an ihre Steuererklärungen als Beweis vorzulegen (ab Minute 15). Damit erfüllt sie uns einen Wunsch fürs neue Jahr: Wir müssen über Geld reden und darüber, dass in den letzten 30 Jahren die Falschen entlastet wurden. Warum die Analyse des IW Köln nicht überzeugt, warum Lindner beim Kinderfreibetrag nicht schon wieder die Falschen entlasten müsste und wen oder was der erste Bundestagsbürgerrat entlasten würde und wie man mit einer Übergewinnsteuer die Richtigen belasten könnte, analysieren wir im ersten Gerechtigkeits-Check für 2024. Wie gewohnt auch wieder als Podcast überall wo es Podcasts gibt.

+++Die Falschen entlastet+++Bundestagsbürgerrat fordert Steuerreformen+++Wie Deutschland mit einer Übergewinnsteuer jährlich 40 Milliarden Euro einnehmen könnte+++Inequality.Inc+++Deutschland im Bureau für die UN-Steuerkonvention+++Deutsche Entwicklungshilfe noch nicht auf den Abbau von Ungleichheit fokussiert+++Kampf um den Paradigmenwechsel bei der Geldwäschebekämpfung+++Bargeldobergrenze ist da+++3 Jahre Haft für ehemaligen Steuerchef von Freshfields+++

Deutsches Steuersystem

Die falschen entlastet Teil 1: Was das IW Köln verschweigt – und was Habeck

Zum Jahreswechsel sorgte eine Analyse des IW Köln für Aufsehen. Der Analyse zufolge haben Menschen mit niedrigerem Einkommen wegen steuerlicher Maßnahmen der Regierung im aktuellen Jahr nach Steuern etwas weniger und Bezieher hoher Einkommen etwas mehr Geld übrig als im Vorjahr. Während Singles mit 100.000 Bruttoeinkommen Netto 79 Euro mehr bleiben, sind es bei Singles mit 30.000 Euro 76 Euro weniger. Noch härter trifft es Alleinerziehende mit niedrigem Einkommen. Bei 36.000 Euro Jahresbrutto bleiben 144 Euro weniger als im Jahr 2023.

Grund dafür: Die bereits 2022 beschlossene Anpassung des Einkommensteuertarifs an die Inflation (Inflationsausgleichsgesetz) entlastet zwar alle Steuerzahler relativ gesehen gleich, wirkt sich aber für Menschen mit hohem Einkommen absolut stärker aus. Auf der anderen Seite belasten die Erhöhung der Sozialbeiträge, der Preisanstieg für Gas und Strom und das Auslaufen des ermäßigten Steuersätze bei der Gastronomie Menschen mit niedrigen Einkommen relativ zu ihrem Einkommen stärker.

Die Analyse verschweigt aber – wie Lindner bei Maischberger (ab Minute 10) zurecht betont, dass das vor allem ein Ergebnis des gewählten Betrachtungszeitraums ist. Dadurch werden aus krisenbedingten, vorübergehenden Entlastungen auf einmal Mehrbelastungen. Zudem fehlt die Entlastung durch die ebenfalls 2022 beschlossene Abschaffung der EEG-Umlage. Die sorgt – wie Habeck zurecht betont – für eine fast vollständige Kompensation der CO2-Abgabe. Aber: Sie ist aktuell noch vollständig aus den bis zur Abschaffung aufgelaufenen Rücklagen finanziert. Und sowohl in der Rechnung von Habeck als auch beim IW Köln fehlt die LKW-Maut, die letztlich auch zu höheren Kosten bei den Verbrauchern führen dürfte und damit vor allem für Menschen mit niedrigem Einkommen für “Weniger Auto vom Netto.”

Die falschen entlastet Teil 2: Was Lindner beim Kinderfreibetrag verschweigt

Finanzminister Lindner plant noch in diesem Jahr den Kinderfreibetrag zu erhöhen, ohne dabei das Kindergeld erneut anzupassen. Das steht der Vereinbarung im Koalitionsvertrag entgegen und ist auch rein rechtlich nicht notwendig.

Zum Hintergrund: Wie viel Netto vom Brutto übrig bleibt, hängt insbesondere davon ab, welche Beträge das zu versteuernde Einkommen mindern. Bei Eltern spielen die Kinderfreibeträge eine große Rolle. Im Jahr 2024 können Elternpaare (bisher) pro Kind 9.312 Euro (Vorjahr: 8.952 Euro) steuerlich geltend machen – nach Lindners Vorschlag sollen es 9.540 Euro werden. Davon profitieren aufgrund des progressiven Steuertarifs diejenigen mit hohem Einkommen stärker. Eine Reichensteuer-Familie mit einem Durchschnittssteuersatz von 45 Prozent zzgl. Soli würde über die Freibeträge dann Steuererleichterung von 4.529 Euro im Jahr erhalten. Eltern mit geringerem Einkommen erhalten alternativ Kindergeld. Das liegt für 2024, wie im Vorjahr, bei 3.000 Euro.

Die Vereinbarung: Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, die Schere zwischen Entlastung durch den Freibetrag und Kindergeld zu schließen. Seit 2022 wurde das Kindergeld zumindest für das erste und zweite Kind um 372 Euro pro Jahr (14 Prozent) erhöht. Die maximale Steuerersparnis aus den Freibeträgen für Kinder ist im gleichen Zeitraum um 362 Euro (9 Prozent) gestiegen, mit der geplanten Anpassung dann um 471 Euro (11,6 Prozent). Damit würde die Schere in absoluten Zahlen sogar größer.

Die Begründung: Lindners Argument, der Freibetrag müsse an das gestiegene Existenzminimum angepasst werden, ist rechtlich schlüssig. Dabei verschweigt er aber, dass das nur für den Teil des Freibetrags gilt, der auf das sächliche Existenzminimum Bezug nimmt. Der zweite Teil des Freibetrags, der u.a. für Betreuungskosten gewährt wird, ist davon nicht betroffen und könnte zum Ausgleich abgesenkt werden, so dass die Freibeträge in Summe unverändert bleiben könnten und die Entlastungswirkung angeglichen würde – ohne verfassungsrechtliche Bedenken.

Weitere Nachrichten:

  • Der vom Bundestag durchgeführte Bürgerrat zum Thema “Ernährung im Wandel” macht gleich zwei (von neun) Empfehlungen mit Bezug zu Steuern: Die Empfehlung, Grundnahrungsmittel, die vom ermäßigten Steuersatz profitieren, neu zu definieren und z.B. pflanzlichen Milch- und Fleischersatz einzubeziehen, landete auf Platz fünf mit 72,6 Prozent Zustimmung. Obst und Gemüse aus der EU in Bio-Qualität, Hülsenfrüchte und Wasser sollen der Empfehlung zufolge sogar ganz von der Umsatzsteuer befreit werden, Zucker dagegen immer mit dem vollen Steuersatz von 19 Prozent besteuert werden und bei Fleisch nur noch für tiergerechte Haltung der ermäßigte Satz gelten. Empfehlung sieben schlägt außerdem eine zusätzliche Tierwohlabgabe für Fleisch, Eier und Milchprodukte vor und kam immerhin noch auf 70,8 Ja-Stimmen.
  • Bundesfinanzhof prüft Verlustverrechnung von Spekulation: Seit 2021 dürfen Verluste aus Termingeschäften (u.a. Optionsgeschäfte, Futures CFD) im Wesentlichen nur noch mit Gewinnen aus ebensolchen Geschäften verrechnet werden. Und das bis maximal 20.000 Euro pro Jahr. Das ist sinnvoll um Spekulation und Steuervermeidung über künstlich erzeugte Verluste zu begrenzen. Seit der Gesetzesänderung ist der Handel mit den entsprechenden Finanzprodukten deutlich zurückgegangen. Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz bezweifelt aber die Verfassungsmäßigkeit dieser Beschränkung und hat in einem konkreten Fall die Aussetzung des Vollzugs gewährt (Az.: 1-V-1674/23 . Nun ist der Fall beim BFH anhängig (Az.: VIII B 113/23).

Unternehmensteuer

Die Richtigen belasten: Übergewinnsteuer könnte 40 Milliarden Euro bringen

In der Coronakrise ist es nicht gelungen Krisengewinner zu besteuern. In der Energiepreiskrise hat die EU-Kommission Deutschland immerhin per Verordnung gezwungen, einen Teil der Gewinne von Mineralölkonzernen und Stromproduzenten abzuschöpfen. Für die nächste Krise ist das aber noch keine belastbare Grundlage. In unserer neuen Studie haben wir uns deswegen die Übergewinne in verschiedenen Branchen genauer angesehen und das Einnahmepotenzial aus einer allgemeingültigen Übergewinnsteuer geschätzt.

Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:

  • Die Übergewinne der Mineralölkonzerne durch die Energiepreiskrise stellten alle anderen Branchen und Krisen in den Schatten. Auf Deutschland entfielen etwa 70 Milliarden Euro.
  • Die europäische Übergewinnsteuer hat davon nur etwa zwei Prozent abgeschöpft. Einige Produzentenländer, allen voran Saudi-Arabien aber auch Großbritannien, sicherten sich über progressive Produktionsabgaben einen deutlich größeren Anteil. Etwa die Hälfte der Übergewinne verblieb aber bei den Unternehmen und wurde größtenteils an die Aktionäre ausgeschüttet.
  • Für die Neuverteilung von Besteuerungsrechten in der sogenannten Säule 1 hat die OECD detaillierte Vorschläge gemacht, wie man Übergewinne identifizieren und verteilen könnte. Folgt man dieser Methodik und ergänzt sie um einen – von der OECD nicht vorgesehenen – höheren Steuersatz, könnte Deutschland jährlich bis zu 40 Milliarden Euro (Steuersatz von 100 Prozent auf alle Übergewinne) einnehmen. Betroffen wären nur etwa 200 der größten und profitabelsten Konzerne weltweit.

Hier geht’s zur Studie.

Weitere Nachrichten:

  • Neue Schätzung zur OECD-Mindeststeuer: Eine neue Studieder OECD schätzt, dass die Mindeststeuer der OECD Gewinne, die mit weniger als 15 Prozent besteuert werden, von 36% auf 7% senken wird. Dadurch entstehen laut OECD Zusatzeinnahmen von 155 bis 192 Milliarden US-Dollar. Im wahrscheinlichsten Szenario entfällt mehr als die Hälfte davon auf die nationale Ergänzungssteuer und landet vor allem in den Steueroasen wie Irland und den Niederlanden. Etwa ein Drittel der Zusatzeinnahmen entsteht demnach durch weniger Gewinnverschiebung in den Heimatländern der großen Konzerne und den Quellenstaaten. Aus der Hinzurechnungsbesteuerung und der Quellensteuer entstehen nur sehr geringe Mehreinnahmen.
  • Laut einer neuen Studie, welche die Country-by-Country-Reports von freiwillig veröffentlichenden multinationalen Unternehmen untersucht, verschieben diese transparenten Unternehmen vergleichsweise wenige Profite und weisen eine höhere effektive Steuerrate aus als der globale Durchschnitt. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Unternehmen sind jedoch groß.

Vermögen, Erbschaften, hohe Einkommen

Inequality Inc.

Anlässlich des Weltwirtschaftsforums in Davos veröffentlichte die Nichtregierungsorganisation Oxfam ihren jährlichen Ungleichheits-Bericht “Inequality Inc.” Demnach haben die fünf reichsten Menschen der Welt – allesamt Männer (Musk, Bezos, Arnault, Ellison und Buffett) – ihr Vermögen seit 2020 auf 869 Milliarden Euro erhöht mehr als verdoppelt. Mit der aktuellen Wachstumsrate wird es den Berechnungen nach schon in zehn Jahren den ersten Dollar-Billionär geben. Gleichzeitig wurden die ärmsten 60 Prozent der Bevölkerung (fast fünf Milliarden Menschen), um rund 20 Milliarden Dollar ärmer.

Wichtigste Maßnahme gegen die zunehmende Vermögensanhäufung in den Händen weniger ist Oxfam zufolge eine Vermögensteuer. Die Organisation schlägt dabei einen progressiven Steuersatz vor: Zwei Prozent auf Vermögen ab fünf Millionen US-Dollar, über 3 Prozent ab 50 Millionen US-Dollar und fünf Prozent oberhalb einer Milliarde US-Dollar. Allein in Deutschland würden sich nach Oxfam-Schätzung so Einnahmen von 85,2 Milliarden Euro pro Jahr ergeben. Dabei wären nur etwas mehr als 200.000 Menschen (0,3 Prozent der Erwachsenen) betroffen.

Weitere Nachrichten:

  • Sinkende Einnahmen bei der Erbschaftsteuer: Trotz sehr hoher Vermögensungleichheit sind die vermögensbezogenen Steuern in Deutschland aktuell rückläufig. Geschmälert werden die entsprechenden Steuereinnahmen u.a. durch die umfangreichen Steuererlasse für superreiche Firmenerben. Das legen wir in einem aktuellen Beitrag im Wirtschaftsdienst dar. Wir analysieren dabei umfassend die Steuerstatistiken. Die gewonnenen Erkenntnisse sind für die Bewertung der letzten Erbschaftsteuerreform von Bedeutung.
  • Neuigkeiten aus dem Wächtler-Verfahren: Die Wegzugsbesteuerung soll seit 1978 dafür sorgen, dass beim Wegzug ins Ausland in Deutschland entstandenes Vermögen hierzulande besteuert wird. Aktuell bestätigte der BFH das vom Europäischen Gerichtshof zugestandene Recht auf dauerhafte Stundung der Steuerschuld beim Wegzug in die Schweiz (I R 35/20). Seit 1.1.2022 ist die dauerhafte Stundung nicht nur für die Schweiz, sondern generell abgeschafft. Auch wenn es nicht Gegenstand des Urteils war, frohlocken die Berater der Superreichen, dass sich die Begründung des Urteils möglicherweise auch auf die Gesetzesänderung übertragen lässt. Weil ein steuerfreier Umzug innerhalb Deutschlands möglich ist, könnte ohne die dauerhafte Stundung demnach eine Ungleichbehandlung entstehen. Damit wäre eine zentrale Errungenschaft im Kampf gegen Steuerflucht gefährdet.

Internationale Steuergerechtigkeit

+++Live-Ticker zur UN-Steuerkonvention+++

Deutschland ist nach inoffiziellen Informationen eines der vier europäischen Länder, das ins “Bureau” des neuen UN Tax Convention Prozesses geht. Die anderen europäischen Länder sind demnach Norwegen, Italien und Spanien. Das Büro koordiniert die Vorbereitungen für einen UN-Steuerkonvention. Ein erstes Treffen ist für Ende Februar geplant.

Die deutsche Entwicklungshilfe im Bereich Steuern noch ohne Fokus auf Ungleichheit

„Regierungen sollten unfaire Steuerprivilegien beseitigen und verstärkt auf progressiv wirkende Steuern wie zum Beispiel Unternehmens- und Vermögenssteuern setzen.“ Das empfiehlt ein Positionspapier des BMZ mit dem Titel “Weniger Ungleichheit. Mehr Chancen für nachhaltige Entwicklung”.

Laut Entwicklungshilfestatistik der OECD stellte Deutschland den Entwicklungsländern in den letzten Jahren etwa 400 Millionen US-Dollar pro Jahr für Maßnahmen mit Bezug zu Steuern zur Verfügung. Damit ist Deutschland der wichtigste bilaterale Geber in diesem Bereich und nur die Weltbank gibt regelmäßig noch mehr Geld. Laut der Antwort auf eine kleine Anfrage der Fraktion Die Linke im Bundestag listet die Bundesregierung die Projekte der GIZ und der KfW im Bereich Steuern auf. Die Aufstellung zeigt, dass das BMZ bisher vor allem allgemeine Maßnahmen der Regierungsführung und bessere Ausgabenpolitik unterstützt. Zusätzlich gibt es einzelne Beratungsprojekte im Bereich der Umwelt- und Unternehmenssteuern sowie mehrere Projekte zu kommunalen Abgaben und Steuern, wie z.B. der Grundsteuer. Die Frage, ob und wenn ja, wie diese Maßnahmen das im Positionspapier beschriebene Problem der Ungleichheit adressieren, beantwortet die Bundesregierung nicht und auch die Zielindikatoren der Projekte stellt sie bisher nicht zur Verfügung.

Weitere Nachrichten:

  • Mal wieder Streit um die OECD: Mehrere UN-Vertreter – vom Speziellen Berichterstatter für das Recht auf Bildung über die Arbeitsgruppe gegen Diskriminierung von Frauen und Mädchen bis zum unabhängigen Experten für die Effekte von Schulden und finanziellen Verpflichtungen auf die Umsetzung von Menschenrechten – haben einen Brief an die OECD verfasst. Bereits den dritten in der Serie. Darin beklagen sie, dass die Zwei-Säulen-Lösung den Ländern des Globalen Südens zu wenig Einnahmen verschafft, ihre Besteuerungsrechte zu stark einschränkt und damit möglicherweise gegen die Menschenrechte verstößt. Nach diesem Standard dürfte es sehr viele aktuelle (Steuer)gesetze geben, die gegen die Menschenrechte verstoßen. Bleibt der UN zu wünschen, dass sie es besser hinbekommt.

Schattenfinanz und Geldwäsche

Kampf um den Paradigmenwechsel im Bundestag

Im Sommer 2022 hat Finanzminister Lindner einen Paradigmenwechsel bei der Geldwäschebekämpfung angekündigt. Er soll die Behörden in die Lage versetzen, auch die großen Fische zu fangen. Im Sommer 2023 war der Umsetzungsvorschlag seines Ministeriums für kurze Zeit im Netz verfügbar. Seitdem wird hinter den Kulissen vor allem über den richtigen Weg verhandelt, mit verdächtigen Vermögensstrukturen umzugehen, bei denen die Behörden bisher schon daran scheitern, einen ausreichenden Anfangsverdacht zu formulieren, um überhaupt mit den Ermittlungen beginnen zu können. Am 29. Januar ging das Gesetzespaket mit der öffentlichen Anhörung im Bundestag auf die Zielgerade. Drei große Hürden liegen aber noch vor ihm:

  1. Der zentrale Baustein des Gesetzes – die neue Rechtsgrundlage und Einheit für Vermögensermittlungen – war im Regierungsentwurf gar nicht mehr enthalten. Hinter den Kulissen wird weiter intensiv darüber verhandelt.
  2. Eine Korrektur des Geldwäscheparagrafen, die Steuerhinterziehung wieder als Vortat einschließt (Stichwort “ersparte Aufwendungen”) fehlt ebenfalls im Entwurf.
  3. Die Rolle des Bundesrats muss noch geklärt werden. Für eine effektive Zusammenarbeit mit den Bundesländern sollten die Steuerbehörden noch umfassender einbezogen werden. Der Bundestag muss die Kritik aus dem Bundesrat ernst nehmen, ohne aber aus Rücksicht auf deren Sorge um Hoheitsrechte Zugeständnisse zu machen, die die geplante neue Behörde unnötig schwächen.

Bei den Punkten 1 und 2 gab es große Einigkeit zwischen den anwesenden Experten und auch zwischen den Fragestellern, vor allem von SPD und Union, dass entsprechende Regelungen dringend nötig sind. Zu Punkt 3 – der Zusammenarbeit der Behörden – plädierten Frank Buckenhofer von der Gewerkschaft der Polizei und die Union dafür, bestehende Behörden und vor allem die gemeinsame Finanzermittlergruppe von Zoll und BKA zu stärken. Die meisten anderen Sachverständigen – einschließlich des Vertreters der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft sahen das anders und unterstützen die im Gesetz vorgesehene neue Behörde. Ein neuer Twist in der alten Debatte: Eine in der Fläche präsente Zollpolizei würde noch viel mehr Kompetenzgerangel verursachen, als eine klar auf internationale und im jetzigen System so gut wie gar nicht bearbeitete, vortatenunabhängige Ermittlungen fokussierte Bundesbehörde.

Weitere Nachrichten:

  • Die EU hat sich auf die wichtigsten Teile des Anti-Geldwäschepakets geeinigt. Aus unserer Sicht besonders erfreulich: Das Transparenzregister soll für Journalisten und Zivilgesellschaft wieder europaweit zugänglich werden. Die entsprechende Richtlinie sollte Deutschland möglichst schnell umsetzen. Die größte Aufregung gab es wohl um die neue Bargeldobergrenze von 10.000 Euro, die über den EU-Umweg jetzt auch in Deutschland gilt. Die größte Aufmerksamkeit bekam aber die Entscheidung über den Sitz der neuen Aufsichtsbehörde (AMLA). Sie soll Anfang Februar per Abstimmung erfolgen. Lindner wirbt für Frankfurt am Main. Eher unbemerkt blieb eine andere Neuerung: Die Kommission will große Vermögen von reichen Menschen (ab 50.000 Euro) und Vermögensverwalter (ab 5 Millionen Euro) besser überwachen und Luxusgüter besser erfassen, wie genau steht noch nicht fest.
  • Licht und Schatten für den Remmo-Clan: Schon im Dezember hatte das Landgericht Berlin entschieden, dass der Remmo-Clan 6 von 77 sichergestellten Objekte im Wert von 2 Millionen Euro zurückbekommen soll. Die Staatsanwaltschaft hätte laut Gericht nicht ausreichend sicher nachgewiesen, dass die Mittel für den Kauf nicht aus Immobilienverkäufen im Libanon hätten stammen können. Berufung ist eingelegt. Bereits 2020 hatte das Landgericht bei einer anderen Immobilien im Wert von knapp 200.000 Euro anders entschieden und bestätigte jetzt, dass die Familie sofort aus der Immobilien ausziehen muss – auch wenn noch eine Berufung möglich ist.
  • Kleiner Erfolg bei OneCoin: Ein Ehepaar und ein Anwalt wurden wegen Beihilfe zum Betrug und Geldwäsche zu insgesamt 13 Jahren Gefängnis verurteilt, von den fehlenden Milliarden wurden immerhin knapp 28 Millionen Euro sichergestellt. Auslöser der Ermittlungen war einem Bericht zufolge eine Geldwäscheverdachtsanzeige der Kreissparkasse Steinfurt.
  • Zensus der Briefkastengesellschaften: Seit November 2023 verkauft Moody’s als Teil der Orbis-Datenbank einen Briefkastenindikator. Von den 485 Millionen Firmen in Orbis erfüllen 19 Millionen mindestens eine der sieben red-flags – 5 Millionen aus UK, 3,4 aus China und 1,8 aus den USA. Zahlen für Deutschland gibt es in der Broschüre nicht.

Steuerverwaltung und Cum-Ex

Ehemaliger Steuerchef von Freshfields verurteilt

Der nächste große Schritt in Sachen Cum-Ex-Aufklärung ist getan: Der ehemalige Steuerchef der internationalen Großkanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, Ulf Johannemann, ist vor dem Landgericht Frankfurt zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Er ist neben dem Steueranwalt Hanno Berger der bekannteste Cum-Ex-Akteur, der nicht in den tatsächlichen Aktienhandel eingebunden war, sondern die Banken zu den Geschäften beraten hatte. So hatte Johannemann wohl “Gefälligkeitsgutachten” für die Maple Bank geschrieben, um deren Cum-Ex-Geschäfte als legal darzustellen. Die Bank ging schließlich in die Insolvenz, nachdem sie die Steuerrückforderungen der Finanzverwaltung nicht stemmen konnte. Ein weiterer Mitarbeiter der Bank wurde in dem Prozess ebenfalls verurteilt, allerdings zu der maximalen Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Maple war einer der ersten vom Fiskus aufgegriffenen Cum-Ex-Fälle; der langjährige Geschäftsführer Schuck wurde bereits 2022 zu über vier Jahren Haft verurteilt.

Doch nicht alle Ermittlungen laufen so glatt. Die Staatsanwaltschaft Köln versucht nun, was den Kollegen aus Wiesbaden 2021 nicht gelang: Den neuseeländischen Banker Paul Mora zu verurteilen. Laut kürzlich erhobener Anklage soll Mora mitverantwortlich für die Hinterziehung von knapp 450 Millionen in den Jahren 2006 bis 2011 sein. Bisher wird Mora von seinem Heimatland Neuseeland nicht ausgeliefert, es liegt jedoch ein internationaler Haftbefehl gegen ihn vor, sodass seine Reisefreiheit eingeschränkt ist. Möglicherweise deutet die Anklageerhebung auf einen erneuten Versuch hin, Mora vor ein deutsches Gericht zu bekommen –ähnlich wie Hanno Berger, der ohne Erfolg Zuflucht in der Schweiz gesucht hatte.

Von den Reichen zu den Rentnern – Beamtin aus dem BMF versetzt

Ende 2023 wurde umfangreich über den mit versteckter Kamera gefilmten Auftritt einer Beamtin aus dem Bundesfinanzministerium auf einer Berater-Konferenz diskutiert (ZDF, 2023). Der Fall wirft ein wichtiges Schlaglicht auf die Nebentätigkeiten der Beamten aus der Steuerabteilung und den Einfluss der Beraterbranche. Mittlerweile zeigen Daten, dass die Abteilung IV (Steuern) im Finanzministerium die Liste der Nebentätigkeit mit großem Abstand anführt. Allein von den angezeigten Nebentätigkeiten im Jahr 2022 entfielen laut Antwort auf eine schriftliche Anfrage 125 von 248 auf die Steuerabteilung und von knapp 400.000 Euro Nebenverdiensten landeten 160.000 Euro dort (Bundestag, 2023). Das Disziplinarverfahren gegen die Beamtin läuft aktuell noch. Anscheinend hat sie die Teilnahme an der Konferenz bei ihrem Arbeitgeber nicht angezeigt. Einem Spiegel-Bericht zufolge wurde sie mittlerweile in die Produktinformationsstelle Altersvorsorge versetzt “um sie aus der Schusslinie zu nehmen”.

Weitere Nachrichten:

  • Der Generalsekretär der OECD, Mathias Cormann, war bis 2022 heimlich Miteigentümer einer Firma, die vom australischen Staat mit über 10 Millionen Dollar an Aufträgen bedacht wurde. Cormann hatte die Anteile an der Firma vom ehemaligen CEO von PwC Australien über eine Trust-Konstruktion erhalten, durch die die Geschäftsbeziehung vor dem Staat und der Öffentlichkeit geheim gehalten wurde. Während seiner Zeit als australischer Finanzminister hatten sich die Aufträge für die Big Four und auch PwC vervielfacht. Ob und wenn ja, in welchem Umfang Cormann letztlich finanziell profitiert hat, bleibt im Artikel offen.
  • Laut einer Auswertung des IW Köln stieg die Zahl der öffentlichen Bediensteten in den letzten zehn Jahren um mehr als 10 Prozent oder fast 600.000 – vor allem bei der Polizei, in Kitas und Hochschulen. Aber auch im Bereich “politische Führung und zentrale Verwaltung” gab es knapp 100.000 zusätzliche Stellen, vor allem in den Kommunen. Warum die Personalnot, unter anderem in der Steuerverwaltung, trotzdem hoch bleibt, erklären die Autoren unter anderem mit einer Zunahme von Teilzeitarbeit und durch Reformen angestiegene Arbeitsbedarfe. Die Arbeitskräfte in Vollzeitäquivalenten in den Finanzämtern der Länder nehmen seit 2021 wieder leicht zu, zusätzlicher Arbeitsaufwand ist jedoch beispielsweise in der Steuerfahndung eindeutig zu identifizieren.
  • In Berlin wurde im Dezember 2023 ein neues Finanzamt gegründet, das für die Umsatzsteuer aller ausländischen Unternehmen zuständig ist, die zwar in Deutschland Handel treiben, hier jedoch keinen Sitz haben. Berlin reagiert mit der Gründung auf die Verzehnfachung der registrierten Unternehmen seit 2019, die auf die Inhaftungnahme von Handelsplattformen für Umsatzsteuerausfälle durch ihre Online-Händler zurückzuführen ist. Das Finanzamt Berlin International ist aktuell für über 115.000 Unternehmen zuständig, die Tendenz weiter stark steigend. Mehr als 95 Prozent davon haben ihren Sitz in China, Hongkong, Macau und Taiwan.
  • Der Gründer der Varengold-Bank ist wegen Cum-Ex-Geschäften angeklagt worden.

Veranstaltungen

Online:

Hörens-, lesens- und sehenswert

  • Gerechter erben – Wie die Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen fairer werden kann? Damit beschäftigt sich das SWR einem Feature.
  • Austeilende Ungerechtigkeit: Wir bewerten fortlaufend das deutsche Steuersystem sowie die steuerpolitischen Entwicklungen aus der Gerechtigkeitsperspektive. Dafür brauchen wir Expert*innen, die uns bei der Navigation durch das komplexen Systems beraten und uns auf Gerechtigkeitslücken hinweisen. Besonders wertvoll sind diese Stimmen, wenn sie aus der Praxis kommen und Wissen aus erster Hand mitbringen. Eine solche Stimme ist die von Franz Kohout. Der ehemalige Finanzbeamte beschreibt in seinem gerade erschienenen Buch anhand zahlreicher Beispiele (aus den Bereichen Immobilien, Kapitalerträge, Werbungskosten und Betriebsausgaben etc.) wie das Steuersystem systematisch hohe Einkommen und große Vermögen bevorzugt. Absolut lesenswert!

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