Berlin, 04.12.2017. In einem gemeinsamen Bericht kritisieren zivilgesellschaftliche Organisationen aus achtzehn europäischen Ländern die Steuerpolitik ihrer Regierungen. Europa spiele eine tragende Rolle beim internationalen Steuersenkungswettlauf, benachteilige Entwicklungsländer im Rahmen von unfairen Doppelbesteuerungsabkommen und sträube sich gegen notwendige Transparenzvorschriften bei der Bekämpfung von Steuervermeidung, -hinterziehung und Geldwäsche.
Ein Schwerpunkt des Reports sind in Europa weit verbreitete schädliche Steuerpraktiken wie Patentboxen und geheime Steuerdeals zwischen Behörden und multinationalen Firmen, die Steuervermeidung von Konzernen auf Kosten anderer Staaten erleichtern. In neun von den achtzehn untersuchten Ländern wurden besonders schädliche Steuerpraktiken diagnostiziert. Nur fünf Länder bekamen die grüne Ampel, darunter Deutschland wegen des Verzichts auf die Patentbox und auf unilaterale Advanced Price Agreements. Letztere sind vor allem in Belgien und Luxemburg weit verbreitet, scheinen aber auch in anderen Ländern zuzunehmen.
Wesentlich schlechter schneidet Deutschland jedoch in den anderen Kategorien des Berichts ab. So hat Deutschland eine überdurchschnittlich hohe Zahl von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit ärmeren Ländern geschlossen, durch die Quellensteuern auf Unternehmensgewinne in diesen Ländern überdurchschnittlich stark reduziert werden. Dabei werden zehn der deutschen DBAs als besonders restriktiv eingeschätzt. Hierzu Markus Henn von WEED e. V.: „Die Bundesregierung behauptet, es gebe für Verhandlungen mit Entwicklungsländern ein Modellabkommen, das sich nicht nur an den problematischen OECD-Standards orientiert, sondern auch denen der Vereinten Nationen. Dieses muss endlich – wie das allgemeine Modellabkommen – veröffentlicht werden.“. Zudem sollte die nächste Regierung endlich Wirkungsanalysen der bestehenden Abkommen durchführen, um die negativen Folgen für die Steuereinnahmen ärmerer Länder abzuschätzen.“
Ebenso kritisiert wird die deutsche Zurückhaltung bei der Frage, ob Register von Firmeneigentümern im Rahmen der EU-Anti-Geldwäsche-Richtlinie und die länderbezogene Berichterstattung multinationaler Konzerne öffentlich zugänglich gemacht werden sollten. Während das EU-Parlament, Dänemark, Finnland, Slowenien und Schweden öffentliche Register befürworten oder bereits umsetzen, konnte sich die letzte Bundesregierung bei beiden Fragen nicht einig werden und erschwert damit mögliche Fortschritte auf EU-Ebene. „Mehr Transparenz würde nicht nur die demokratische Kontrolle stärken, sondern es auch Steuerbehörden in ärmeren Ländern ermöglichen , effektiver gegen Steuervermeidung multinationaler Konzern, Steuerhinterziehung, Korruption und Geldwäsche vorzugehen. Schließlich wird ein beträchtlicher Teil der aus ärmeren Ländern abfließenden Vermögen in Europa gehalten.“ Sarah Godar vom Netzwerk Steuergerechtigkeit
„Der vorliegende Bericht wirft ernste Fragen über die Zukunft der Unternehmensbesteuerung auf. Trotz aller Steuerskandale ist es bisher nicht gelungen in Europa effektiv gegen Steuervermeidung multinationaler Konzerne vorzugehen. Das Verhalten vieler Regierungen lässt Zweifel daran aufkommen, ob eine Lösung des Problems in der EU tatsächlich gewollt ist. Die neue deutsche Regierung sollte hier Vorreiterin für ein gemeinsames europäisches Vorgehen sein, denn bei einer Fortsetzung des Race to the Bottom verlieren letztendlich alle.“ Karl-Martin Hentschel von Attac
Kontakt:
Karl-Martin Hentschel, Attac Deutschland, karl-martin.hentschel@attac.de, 0151-5908 4268
Sarah Godar, Koordinatorin Netzwerk Steuergerechtigkeit, sarah.godar@netzwerk-steuergerechtigkeit.de, 030-275 82 614
Markus Henn, Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung – WEED e. V., markus.henn@weed-online.de, 0176-37630916
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