Internationale Steuerpolitik made in New York – was ändert sich durch die UN-Resolution?

Eine kürzlich verabschiedete Resolution der UN-Generalversammlung will die Rolle der Vereinten Nationen in der internationalen Steuerpolitik stärken und die internationale Steuerkooperation dadurch „inklusiver und effektiver“ gestalten. Insbesondere einkommensschwache Staaten aus dem Globalen Süden erhoffen sich von der geplanten UN-Rahmenkonvention eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber den OECD-Staaten. Welche Konsequenzen wird die UN-Rahmenkonvention für die internationale Steuerkooperation haben? Ein Gastbeitrag von Katharina Kuhn.

Für die internationale Steuerpolitik war es ein historischer Moment: Mitte November stimmte die Mehrheit der Mitglieder der UN-Generalversammlung für eine Resolution, die die Rolle der Vereinten Nationen in der internationalen Steuerpolitik stärken soll. Eingebracht wurde die Resolution von Nigeria gemeinsam mit der Gruppe der Afrikanischen Staaten, die den Abstimmungserfolg in der Folge als „Fanal der Hoffnung“ bezeichnete. Insgesamt stimmten 125 Länder für die Resolution; 48 Länder mit nur 15 Prozent der Bevölkerung stimmten dagegen, darunter Deutschland und die Mehrheit der übrigen EU- und OECD-Staaten.

Die Resolution wird nicht nur im Globalen Süden als deutliches Misstrauensvotum gegenüber der OECD gelesen, die Staaten aus dem Globalen Süden zwar formal an Verhandlungsprozessen beteiligt, im Ergebnis aber in erster Linie die Interessen der OECD- und G20-Staaten vertritt. Wenig überraschend fällt daher die Reaktion der OECD verhalten aus. Während die Staaten im Globalen Süden große Hoffnungen in die Verlagerung der internationalen Steuerkooperation hin zu den UN legen, ist insbesondere unter EU-Mitgliedsstaaten von der Sorge vor „Duplikationen“ die Rede, die letztlich aus Sicht der EU-Staaten die Ergebnisse der bisherigen Verhandlungen zur Unternehmensteuerreform auf OECD-Ebene unterlaufen und deren Umsetzung gefährden könnte.

Am Tisch statt auf der Speisekarte“! Was folgt aus der Resolution?

Um die Folgen der Resolution für die internationale Steuerpolitik einzuordnen, lohnt sich zunächst ein Blick auf deren Inhalt. Konkret spricht die Resolution sich für die Schaffung einer multilateralen, rechtlich bindenden UN-Rahmenkonvention aus. Ein ad hoc Komitee soll dazu einen Bericht mit Satzungsvorschlägen erarbeiten, der der nächsten UN-Generalversammlung im Herbst 2024 zur Abstimmung vorgelegt werden soll. Die Idee für eine solche Rahmenkonvention entstammt einem im Juli 2023 veröffentlichte Report des UN-Generalsekretärs, der verschiedene institutionelle Formen einer UN-basierten internationalen Steuerkooperation auslotet. Ähnlich wie die UN-Klimarahmenkonvention UNFCCC soll die Steuer-Rahmenkonvention zunächst den institutionellen Rahmen für dauerhaft angelegte internationale Steuerverhandlungen unter dem Dach der Vereinten Nationen setzen, wohingegen die inhaltliche Ausrichtung der zukünftigen Verhandlungen noch größtenteils offenbleibt.

Parallel dazu und unabhängig von der kürzlich verabschiedeten Resolution erarbeitet das bereits bestehende Expert*innenkomitee zu Steuern der Vereinten Nationen derzeit ein sogenanntes Multilateral Fast-Track Instrument, das Vorschläge des VN-Expert*innenkomitees zur Besteuerung der Digitalwirtschaft in bestehende bilaterale Steuerverträge einpflegen soll. Das Expert*innenkomitee besteht aus 25 Expert*innen, die zwar in ausgewogener Besetzung von den Mitgliedsstaaten der UN in das Komitee entsendet werden, dort jedoch als unabhängige Expert*innen agieren und explizit nicht die Interessen ihres Herkunftsstaates vertreten.

Für die Staaten des Globalen Südens bedeutet die Schaffung einer UN-Rahmenkonvention daher zunächst eine prozedurale Stärkung. Im Gegensatz zum BEPS-Prozess der OECD können sie im Rahmen der Vereinten Nationen Einfluss auf die Agenda nehmen und so ihre eigenen Interessen und Problemdefinitionen frühzeitig in die Verhandlungen einbringen. Sowohl die Länder des globalen Südens als auch eine Reihe von zivilgesellschaftlichen Organisationen fordern eine solche gleichberechtigte Teilhabe seit mehr als 20 Jahren.

Außerdem verspricht ein Forum im Stil der UN-Generalversammlung mehr Transparenz und schon allein zahlenmäßig höhere Chancen für die Staaten des Globalen Südens, Koalitionen zu bilden und Mehrheiten in Abstimmungen zu erzielen. Auch politisch sendet die Verlagerung der internationalen Steuerdebatte hin zur UN ein wichtiges Zeichen: Während die Verhandlungen im Kontext der OECD in erster Linie von technischen Expert*innen und meistens hinter verschlossenen Türen geführt werden, ging das Ringen um die kürzlich verabschiedete Resolution auch mit einer Politisierung internationaler Steuerpolitik im Globalen Süden einher. Diese politische Rückendeckung ist notwendig, um auch langfristig die notwendigen Ressourcen für internationale Steuerverhandlungen zu mobilisieren.

Was bedeutet die Resolution für die OECD?

Für die OECD kommen die Nachrichten aus New York zu einem kritischen Zeitpunkt. Zwar hat die OECD erst im Oktober ein multilaterales Abkommen zur Umsetzung der ersten Säule des Minimalsteuerabkommens vorgelegt, aus mehreren Staaten regt sich jedoch Kritik. Insbesondere der Widerstand des republikanisch-dominierten US-Senats gefährdet nach wie vor die Umsetzung des Abkommens. Auch das Abstimmungsverhalten einiger G20-Staaten wirft Fragen auf. Indien, China und Brasilien stimmten gemeinsam mit den Staaten des Globalen Südens für eine Stärkung der UN, obwohl sie als Teil der G20 eine privilegierte Position im Verhandlungsprozess einnehmen. Ob das gleichzeitig auch ein Misstrauensvotum gegen die aktuellen Reformvorschläge war, muss sich noch zeigen. Unabhängig von den Erfolgen, die eine UN-Rahmenkonvention in den kommenden Jahren für sich verbuchen kann, deutet sich darin eine Schwächung der Rolle der OECD an, deren Legitimität sich neben ihrer Expertise bisher in erster Linie aus der Fähigkeit speiste, effektive Ergebnisse zu produzieren.

Gleichzeitig schreitet die Umsetzung der zweiten Säule des Minimalsteuerabkommens weiter voran, und auch darüber hinaus wird die OECD vor allem durch ihre Arbeit zu Steuertransparenz auch in Zukunft eine wichtige Rolle in der Formulierung internationaler Steuernormen spielen. Statt einer grundsätzlichen Verlagerung internationaler Steuerkooperation hin zu den UN ist daher vermutlich eher eine Ko-Existenz beider Institutionen zu erwarten. Dass eine solche Ko-Existenz zweier unterschiedlicher normgebender Institutionen nicht per se ein Problem darstellt, zeigt sich bereits seit geraumer Zeit an der wachsenden Verbreitung des UN-Musterabkommens. Letztlich kann Duplikation daher auch eine Chance bedeuten, etwa, indem von den Vereinten Nationen entwickelte Normen besser an die Bedürfnisse von einkommensärmeren Ländern angepasst werden.

Ein Gewinn für den Globalen Süden – aber kein Selbstläufer

Insgesamt bedeutet eine Verschiebung der internationalen Steuer-Debatte weg von der OECD und hin zu den UN zwar zunächst einen Gewinn für die Staaten des Globalen Südens, sie darf aber nicht über die politischen Realitäten hinwegtäuschen. Die bisherigen Reformen unter dem Dach der OECD blieben weit hinter den Erwartungen von Entwicklungsländern zurück und festigen den Status Quo vielmehr, als ihn zu brechen. Das zeigt sich zum Beispiel an den vergeblichen Bemühungen von Entwicklungsländern, den Arm’s Length Standard auch außerhalb der ersten Säule des Minimalsteuerabkommens als gängige Methode der Berechnung von Transferpreisen zu ersetzen. Auch unter dem Dach einer UN-Rahmenkonvention wird sich der politische Spielraum für Reformen letztlich am Willen zur Umsetzung der Mitgliedsstaaten bemessen.

Weiterhin werden auch im UN-Kontext unterschiedliche finanzielle und technische Kapazitäten die Chancen einer gleichberechtigten Teilnahme von Entwicklungsländern an multilateralen Verhandlungen beeinflussen. Insbesondere Initiativen zur Unterstützung einkommensärmerer Staaten sind daher entscheidend, um die Staaten des Globalen Südens nicht nur prozedural, sondern auch inhaltlich in Verhandlungen zu stärken.

Insgesamt setzt die UN-Resolution in erster Linie ein deutliches politisches Signal: Eine internationale Steuerdebatte ist in Zukunft nicht mehr ohne den Globalen Süden möglich, weder in Paris noch in New York. Und sie ist gesellschaftlich wichtiger denn je: Mit Blick auf bestehende Vermögensungleichheiten und die Herausforderungen des Klimawandels warten auch über die Bekämpfung der Steuerflucht von Unternehmen hinaus wichtige globale Aufgaben auf die internationale Steuerpolitik.

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Katharina Kuhn ist Doktorandin an der London School of Economics and Political Science. In ihrer Doktorarbeit untersucht sie die Beteiligung südasiatischer Staaten an den Steuerverhandlungen der OECD. Weitere Informationen finden Sie auf ihrer Webseite.

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