Öffentliche länderbezogene Berichterstattung – Wann, wenn nicht jetzt?

Gastbeitrag von Yannik Bendel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter von Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen).

Das Fenster der Möglichkeit für ein fortschrittliches und gerechtes Europa steht offen. Die “Next-Generation-EU” kann es aber nur geben, wenn man alte, überkommene Glaubensgrundsätze über Bord wirft und den Weg für Fortschritt freimacht. Unter der deutschen Ratspräsidentschaft wird sich zeigen, ob eine neue Zeit für Europa angebrochen ist. Lange war einer dieser Glaubensgrundsätze der deutschen Bundesregierung, dass mehr öffentliche Transparenz darüber, wo internationale Konzerne wirtschaftlich aktiv sind, ihre Gewinne machen und Steuer zahlen, schädlich für deutsche Unternehmen wären.

Öffentlich länderbezogene Berichterstattung wäre ein großer Schritt für mehr Transparenz

Im Rest von Europa ist man hingegen schon eine ganze Zeit lang weiter. Trotzdem ist bisher nicht viel passiert. Mehr als vier Jahre sind seit dem Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission für mehr Steuertransparenz für internationale Unternehmen vergangen. Seither hat sich das Europäische Parlament mit großer Mehrheit und der Unterstützung aller pro-europäischer Parteien immer wieder dafür ausgesprochen. Doch passiert ist bisher nicht viel, denn einzelne Mitgliedstaaten haben den Vorstoß immer wieder im Rat der Europäischen Union blockiert. Die Abstimmung eines unter finnischer Präsidentschaft ausgearbeiteten Kompromissvorschlags wurde von einer Vielzahl von Mitgliedstaaten unterstützt, scheiterte bei der Sitzung des Rates für Wettbewerbsfähigkeit am 28./29. November 2019 aber knapp.

Doch nun gibt es Grund zur Hoffnung: Die technischen Vorarbeiten sind abgeschlossen und die Mehrheitsverhältnisse haben sich noch einmal zugunsten dieser Initiative verschoben.

Es gibt weiter eine wachsende Mehrheit von Bürgern und Bürgerinnen, der Zivilgesellschaft, der Mitte des europäischen Parlaments und unter vielen der Mitgliedstaaten, die eine erneute Abstimmung unter der deutschen Ratspräsidentschaft unterstützen. Mittlerweile scheint die Bundesregierung mit ihren Befürchtungen und der Blockade aus der Zeit gefallen. Die Frage ist: Wann, wenn nicht jetzt? Was soll den Fortschritt in Europa noch aufhalten?

Die deutsche Ratspräsidentschaft als Chance für öffentliche länderbezogene Berichterstattung?

Vor diesem Hintergrund erschien heute ein offener Brief der Sprecherin für Finanzpolitik von Bündnis 90/Die Grünen und dem Europaabgeordneten und Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament, Sven Giegold, der die Bundesregierung und die zuständigen Minister eindringlich auffordert, die deutsche Blockadehaltung endlich aufzugeben. Es liege jetzt an der deutschen Bundesregierung, die Offenlegung von Ertragssteuerinformationen (das sogenannte “country-by-country reporting on taxes”, CBCR/länderbezogene Berichterstattung) auf die Agenda des anstehenden Wettbewerbsrats im September zu setzen und zur Abstimmung zu bringen. Deutschland dürfe nicht länger den Fortschritt in Europa blockieren. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft böte die einmalige Chance, greifbare Fortschritte im Kampf gegen aggressive Steuervermeidung und für ein gerechtes Europa zu erzielen. Diese Chance nicht zu nutzen, wäre beschämend.

Und es stimmt, es ist auch ein Gebot der Fairness gegenüber den Europäischen Partnern und den demokratischen Entscheidungsprozessen, die Mehrheitsverhältnisse zu akzeptieren. Die deutsche Bundesregierung täte gut daran, den Vorsitz der Ratspräsidentschaft nicht zu missbrauchen und eine Abstimmung aus Eigennutz zu blockieren. Denn der Schaden für das Vertrauen in die Bundesregierung in ihrer Rolle als “neutraler Vermittler” wäre immens.

Ein Durchbruch und mehr Steuergerechtigkeit in Europa scheinen greifbar. Es bleibt abzuwarten, welchen geschickten Schachzug sich die Bundesregierung dieses Mal ausdenken wird. Langsam aber sicher gehen auch den stärksten Widersachern in der Bundesregierung die Argumente aus, denn in der Bundesregierung selbst gibt es mittlerweile wichtige Teile, die ein fortschrittliches und gerechtes Europa wollen. Jetzt muss die Bundesregierung auch liefern – wann, wenn nicht jetzt?!

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