OECD & EU veröffentlichen neue Details zur globalen Mindeststeuer

Im Oktober 2021 haben sich über 130 Jurisdiktionen im Rahmen des OECD Inclusive Frameworks auf eine Reform der globalen Unternehmensbesteuerung geeinigt. Mit einigen Wochen Verspätung hat die OECD am 20.12.21 weitere Details zur Umsetzung der zweiten Reformkomponente, einer globalen Mindeststeuer von 15 Prozent veröffentlicht. Konkret handelt es sich um Mustervorschriften, die den unterzeichnenden Staaten eine Grundlage für die Formulierung passender Gesetze geben sollen. Nur zwei Tage später am 22.12.21 hat die EU Kommission einen Richtlinienvorschlag veröffentlicht, der die OECD-Mustervorschriften in den EU-Kontext übersetzt1. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung und die Übernahme große Teile der OECD-Vorschriften in den EU-Richtlinienentwurf deuten darauf hin, dass die EU eng in die Vorbereitungen der OECD mit eingebunden war. Gleichzeitig stocken die Steuerreformpläne von US-Präsident Biden im dortigen Senat, was für die globale Umsetzung der Reform zu einem prinzipiellen Problem werden könnte.

Die aktuellen Veröffentlichungen von OECD und EU umfassen wichtige Komponenten der globalen Mindeststeuer: die Income Inclusion Rule und die Undertaxed Payment Rule, welche so funktionieren, dass niedrig besteuerte Gewinne im Normalfall im Land des Mutterkonzerns nachversteuert werden und im Zweifel ein backstop Mechanismus greift. Details zu einer weiteren Regel zum Schutz von Quellstaaten (Subject-to-Tax-Rule) fehlen in der aktuellen Veröffentlichung und sollen erst später folgen.

Die neuen Veröffentlichungen wurden mit Spannung erwartet. An den bereits bekannten Schwachstellen der Reform wie dem niedrigen Mindeststeuersatz von 15 Prozent oder den Substanzausnahmen („Carve-outs“), wurde erwartungsgemäß auch in den aktuellen Regelungen keine Verbesserungen vorgenommen. Dennoch spielen die nun veröffentlichten Umsetzungsdetails eine äußerst wichtige Rolle, denn der Teufel steckt wie so oft im Detail. Bereits im Vorfeld wurde befürchtet, dass die neuen Umsetzungsregeln die Wirksamkeit der Reform noch einmal deutlich reduzieren würden.

 

Welche Neuerungen gibt es?

UTPR-Formel und qualifizierte nationale Mindeststeuer
Bereits vor den Veröffentlichungen gab es Diskussionen darüber, welches Land die Zusatzsteuern, also die Top-up-Steuern aus den Niedrigsteuerländern, erhält. Wie bereits bekannt war, soll dies im Regelfall das Land des Mutterkonzerns sein. Was aber passiert, wenn die Muttergesellschaft im Mindeststeuerstaat selbst weniger als 15 Prozent Steuern zahlt – wie das z.B. wegen großzügiger Steuernachlässe bei Netflix in den USA der Fall ist – oder wenn das Land des Mutterkonzerns die OECD-Regeln nicht umgesetzt hat?

Für den Fall, dass die Steuerquote der Muttergesellschaft im Mindeststeuerstaat unter der Mindeststeuer liegt, kann die Income Inclusion Rule nicht greifen da es keine übergeordnete Gesellschaft gibt. Laut OECD-Mustervorschriften soll dann zunächst die Summe aller nicht durch die IIR abgedeckten Top-up-Steuern für das Unternehmen berechnet werden und anschließend anhand einer Formel (50% Mitarbeiterzahl, 50% materielle Vermögenswerte) auf alle UTPR berechtigten Staaten aufgeteilt werden.

Im zweiten Fall, wenn der Staat der Muttergesellschaft eigentlich dafür zuständig wäre eine Mindeststeuer zu erheben, diese aber nicht umsetzt z.B. weil er die OECD-Vereinbarung nicht ratifiziert hat, sieht es anders aus. Dann greift zunächst die IIR auf der nächst niedrigen Unternehmenshierarchie und in den Fällen wo sich keine Unternehmenseinheit über der Niedrigsteuergesellschaft in einem Mindeststeuerstaat findet, greift die UTPR als backstop (sogenannte Rangordnung).

Darüber hinaus nennen die OECD-Mustervorschriften und der EU-Richtlinienentwurf die Optionsmöglichkeit einer qualifizierten nationale Mindeststeuer, die dem Niedrigsteuerland selbst erlaubt die Top-up-Steuer einzubehalten. Am Beispiel des Textilunternehmens Zara würde das folgendes bedeuten: Der Sitz des Unternehmens befindet sich in Spanien. Laut einer Studie vermied der Zara-Mutterkonzern Inditex in den Jahren 2011 bis 2014 eine Summe von 585 Mio Euro Steuern über Gestaltungsmodelle, die den Gewinn in europäischen Filialen künstlich klein gerechnet und in Steueroasen wie die Niederlande weitergeleitet haben. Nach dem ursprünglichen Mechanismus der Income Inclusion Rule würde in diesem Beispiel Spanien als Land des Mutterkonzerns die niedrig versteuerten Gewinne aus den europäischen Geschäften nachversteuern dürfen. Durch die qualifizierte nationale Mindeststeuer hingegen hätte das Niedrigsteuerland selbst, also z.B. die Niederlande, die Möglichkeit die Top-up-Steuer einzubehalten.

Inländische Gewinne und Unternehmensgruppen
Dass multinationale Unternehmen ab einem konsolidierten Jahresumsatz von 750 Mio Euro von der globalen Mindeststeuer betroffen sind, stand schon im Vorfeld fest. Diskussionen gab es darüber, inwiefern IIR und UTPR eine Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Unternehmenseinheiten darstellen würden. Offenbar um solche Kontroversen zu vermeiden bestimmt der EU-Richtlinienentwurf, dass nicht nur niedrig besteuerte ausländische Unternehmenseinheiten, sondern auch niedrig besteuerte inländische Unternehmenseinheiten in den Anwendungsbereich der Mindeststeuer fallen. Selbst für komplett inländische Unternehmensgruppen ab einem Jahresumsatz von 750 Mio Euro gilt laut  EU-Richtlinienentwurf die Mindeststeuer. Genauso wie MNU in den ersten 5 Jahren ihrer internationalen Tätigkeit, sollen inländische Unternehmensgruppen laut EU-Richtlinie für die ersten 5 Jahre per se von der Mindeststeuer ausgenommen werden.

Berechnung der effektiven Steuerrate
Um sicherzustellen, dass bestehende und mögliche neue Umgehungsmöglichkeiten zur Steuervermeidung verhindert werden, ist eine ausreichende Vereinheitlichung zur Berechnung von Gewinnen und Verlusten notwendig. Laut OECD-Mustervorschriften und EU-Richtlinienentwurf basieren die Berechnungen von Einkommen und Verlusten auf den Finanzberichten der jeweiligen Unternehmenseinheiten. Primär gelten die Rechnungslegungsstandards des Mutterkonzerns, falls nicht praktikabel, der internationale Rechnungslegungsstandards IFRS bzw. die allgemein anerkannten Rechnungslegungsgrundsätze ausgewählter Länder2. Unabhängig von den verwendeten Rechnungslegungsstandards- und Grundsätzen verpflichten die OECD und EU-Texte dazu, Anpassungen zur Berechnung von Einkommen und Verlusten bestimmter Parameter vorzunehmen um eine gewisse Einheitlichkeit sicher zu stellen3. Parallel dazu plant die EU Kommission bis 2023 einen neuen Rahmen für die Unternehmensbesteuerung in der EU (BEFIT), der die Bestimmung einer gemeinsamen Bemessungsgrundlage und eine konsolidie Gewinnerhebung- und Aufteilung beinhaltet. Wie gut oder schlecht diese Bemühungen dazu beitragen alte und neue Gestaltungsmodelle zu verhindern, wird sich in der Praxis zeigen müssen.

Gleichzeitig finden sich in den OECD-Mustervorschriften und dem EU-Richtlinienentwurf Passagen, hinter denen zwar die Intention zu vermuten ist Schlupflöcher klein zu halten, die aber dennoch auf Einfallstore für Steuervermeidungsgestaltungen hinweisen: z.B. soll es weiterhin Möglichkeiten geben aktienbasierte Vergütungen („stock-based compensation“) oder bestimmte erstattungsfähige Steuergutschriften („refundable tax credits“) vom angerechneten Gewinn  abzuziehen. Diese Regelungen könnten in der Folge die effektive Steuerrate einer Unternehmenseinheit in einem Land künstlich erhöhen und über niedrig gezahlte Steuern hinwegtäuschen.

Fehlende Anpassungsoptionen bei Umgehungsmöglichkeiten
Es gibt in dem EU-Richtlinienentwurf keinen Verweis auf Optionen zur späteren Behebung von Umgehungsmöglichkeiten, für die das Einstimmigkeitsprinzip nicht benötigt wird. Solch eine Klausel wäre aber dringend notwendig um die Reform zu einem späteren Zeitpunkt anzupassen, falls Schwachstellen sich erst im Nachhinein offenbaren und um mögliche neu entstehende Steuervermeidungsmodelle zu verhindern. Ist dies nur unter Befolgung des Einstimmigkeitsprinzips möglich, können einzelne Staaten nachträgliche Verbesserungen theoretisch ewig blockieren.

 

Ausblick
Beide Dokumente enthalten weitere Details zur nach wie vor ambitionierten Umsetzung, die aber noch mehrere Hürden überwinden muss, nicht zuletzt die Blockade der US-Gesetzgebung. Insbesondere die für Entwicklungsländer interessante Umsetzung von Pillar 1, die ursprünglich komplementär zur Einführung von Pillar 2 gedacht war, ist alles andere als Gewiss, was eine Rückbesinnung auf Digitalabgaben oder andere Formen der Besteuerung wirtschaftlicher Aktivität notwendig machen könnte. Nigeria macht das trotz seiner Mitgliedschaft im OECD Inclusive Framework vor und plant eine Digitalabgabe einzuführen bei der, ähnlich wie im Vorschlag des UN-Steuerkommittees (Artikel 12b), der steuerpflichtige Gewinn aus den lokalen Umsätzen und der globalen Rendite abgeleitet werden soll.

 

Nächste Schritte
EU

  • Einstimmige Zustimmung im Rat der EU sowie Stellungnahmen von EU-Parlament und Europäischem Wirtschafts- und Sozialausschuss stehen aus.
  • Die Richtlinie soll bereits ab dem 01.01.2023 in nationales Recht der EU-Mitgliedsstaaten umgewandelt und gültig sein. Bestimmte Teile der Richtlinie dürfen erst ab dem 01.01.2024 gültig sein.
  • Für die Regelung der Subject-to-Tax-Rule, wird die Veröffentlichung weiterer Details seitens der OECD abgewartet.
  • Bezüglich Pillar 1 äußert die EU Kommission in einer weiteren Veröffentlichung, die über die Pläne der EU-Kommission zur Stärkung der finanziellen Eigenmittel informiert, den Vorschlag, einen Teil der Mehreinnahmen aus Pillar 1 dem EU-Haushalt zuzuführen.
  • Die EU-Kommission plant noch im Jahr 2022 einen Gesetzesvorschlag zu Pillar 1 zu veröffentlichen. sobald die technischen Aspekte des multilateralen Abkommens geklärt sind.

OECD

  • Die OECD möchte noch Anfang 2022 ein „Commentary“ mit weiteren Erläuterungen der hier behandelten Mustervorschriften von Pillar 2 herausgeben.
  • Im Februar 2022 sollen öffentliche Konsultationen zum Umsetzungsrahmen stattfinden.
  • Zur Subject-to-Tax-Rule plant die OECD im März 2022 einen Entwurf der Mustervorschriften zu veröffentlichen.
  • Für Pillar 1 plant die OECD in den kommenden Monaten Arbeitsdokumente des aktuellen Stands zu veröffentlichen, um im Anschluss entsprechende Mustervorschriften herauszugeben und die Arbeit an Pillar 1 bis Ende 2022 abzuschließen.
  • Mittelfristig wird im Rahmen des OECD Inclusive Frameworks ein Peer-Review-Prozess zur Umsetzung der OECD-Reform eingesetzt.

 

Ressourcen

 

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1 Darüber hinaus hat die EU-Kommission auch am 22.12.21 einen weiteren Richtlinienverschlag zur Beendung des Missbrauchs von Briefkastenfirmen veröffentlicht.

2 Australiens, Brasiliens, Kanadas, der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, der Mitglieder des Europäischen Wirtschaftsraums, Hongkong (China), Japan, Mexiko, Neuseeland, der Volksrepublik China, der Republik Indien, der Republik Korea, Russland, Singapur, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten von Amerika.

3 a) Dem Netto-Steueraufwand; b) ausgenommenen Dividenden; c) ausgenommenem Aktiengewinn oder -verlust; d) mit inbegriffene Neubewertungsmethode für Gewinn oder Verlust; e) Gewinn oder Verlust aus der Veräußerung von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten, die gemäß Artikel 6.3 (OECD)/3.3(EU) ausgeschlossen sind; f) asymmetrische Fremdwährungsgewinne oder -verluste; g) “Policy Disallowed Expenses”; h) “Prior Period Errors and Changes in Accounting Principles”; I) Rückstellungen für Pensionsaufwendungen.

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