Steuergerechtigkeit bei Markus Lanz: Ein kleiner Fakten-Check
Die Gerechtigkeit des deutschen Steuersystems war Gegenstand bei Markus Lanz am 14.03.2023. Ein breites Thema mit vielen Facetten. Grund genug ein paar der angesprochenen Punkte zu vertiefen und einem Mini-Fakten-Check zu unterziehen. Detaillierte Informationen zu den hier verwendeten Zahlen, zum Steuersystem, zu den Steuerprivilegien und zur Gerechtigkeitslücke von 75 bis 100 Milliarden Euro finden Sie im Jahrbuch Steuergerechtigkeit 2023.
- Deutschland ist Höchststeuerland: Das gilt nicht für alle und insbesondere nicht für Menschen mit sehr hohen Vermögen und Vermögenseinkommen. Laut OECD zahlt ein Durchschnitts-Ehepaar mit zwei Kindern 43 Prozent Steuern und Sozialabgaben (inkl. Arbeitgeberanteil). Unsere Berechnungen zeigen, dass auf die gesamten Einkünfte des typischen verheirateten Multimillionärs in Deutschland hingegen nur 24 Prozent Steuern und Sozialabgaben anfallen – einschließlich der Steuern auf Unternehmensebene. Das liegt vor allem daran, dass nur ein kleiner Anteil der Einkünfte des Mustermillionärs (höher besteuerte) Arbeitseinkünfte sind. Zudem werden die Immobilienerträge, die der Mustermillionär typischerweise erzielt, sehr gering besteuert. Außerdem werden seine Unternehmensgewinne nach Abzug der Unternehmenssteuern nahezu steuerfrei in der Holding-Gesellschaft angespart. Durch die Beitragsbemessungsgrenze bei den Sozialversicherungen zahlt er nur auf einen kleinen Teil seiner Einkünfte Abgaben.
- Die Vermögensverteilung in Deutschland nähert sich dem Feudalismus und ähnelt eher Mexiko und Südafrika als unseren europäischen Nachbarn: Zum Ende des 19. Jahrhunderts besaßen die reichsten 1 Prozent einer Schätzung zufolge etwa 45 Prozent des Vermögens. In den meisten deutschen Bundesstaaten gab es mittlerweile eine Erbschaftsteuer, 1906 folgte das erste einheitliche Reichserbschaftsteuergesetz. Aktuell wird in Deutschland wieder mehr als die Hälfte des Vermögens geerbt und nicht erarbeitet, Tendenz steigend. Eine Hälfte der Bevölkerung in Deutschland hat so gut wie kein Vermögen, die reichsten 1 Prozent in haben dagegen laut World Inequality Database einen Vermögensanteil von 28,6 Prozent. Andere Studien kommen auf 35,3 Prozent (DIW) oder mehr als 50 Prozent (Schulz und Milakovic, 2021). In Mexiko lag der Wert bei 47 Prozent bei Südafrika 55 Prozent, dagegen landen Belgien bei 14 Prozent, Dänemark bei 21 Prozent und Westeuropa im Schnitt bei 25 Prozent. Großer Unterschied zum Feudalismus und zu Mexiko und Südafrika: das umfangreiche System der sozialen Sicherung. Das sorgt in Deutschland
- Rekordeinnahmen trotz Krise und trotzdem keine Investitionen: Krise? Nicht für alle! Viele Unternehmen konnten in den vergangenen 10 Jahren stark wachsen. Die Corona-Hilfen, Kurzarbeitergeld und Energie-Hilfen haben viele Zusatzkosten der Krise abgefedert und besonders die großen Konzerne und Familienunternehmen verbuchten auch 2021 und 2022 Rekordgewinne. Trotzdem stagnieren die Investitionen (siehe z.B. hier). Um Unternehmertum, Innovation und Investitionen zu fördern, müssen wir uns also etwas besseres überlegen als die Steuern für profitable Investitionen (die Unternehmensgewinne erzielen) und Menschen mit ohnehin schon viel Kapital zu senken.
- Rekordsteuereinnahmen und Verschwendung: Wenn die Preise steigen und die Wirtschaft wächst, steigen auch die Steuereinnahmen. Weil gleichzeitig auch die Kosten und Aufgaben steigen, liegt die Staatsquote, also der Anteil der Staats- und Sozialabgaben seit 1975 relativ konstant bei 45 Prozent, krisenbedingt ist sie 2020 und 2021 auf über 50 Prozent gestiegen. Wenn demnächst die Löhne im öffentlichen Dienst durch den Inflationsausgleich und die Zinsausgaben steigen, wird die weitere Einnahmen beanspruchen. Wenn zudem die Schuldenbremse eingehalten werden soll, sind Steuersenkungen für Menschen mit niedrigen Einkommen (und die Verhinderung von steigenden Sozialabgaben für eben diese Menschen) nur durch einen Ausgleich an anderer Stelle möglich. Und weil schon jetzt Öffentlichkeit, Journalist:innen, Opposition und Rechnungshöfe die Staatsausgaben deutlich engmaschiger überwachen als private (Unternehmens-)Ausgaben, können niedrigere Steuern und zusätzliche Bedarfe und notwendige Investitionen nicht einfach durch weniger Verschwendung finanziert werden. Was nicht heißen soll, dass es nicht immer wieder Beispiele von Verschwendung, Fehlentscheidungen (Tankrabatt und wenig zielgenaue Corona-Hilfen?!) und kontraproduktive Subventionen gibt. Die lassen sich nur nie ganz vermeiden und sehr schwer zielgenau und sozialverträglich verringern. Ein guter und zielgenauer Ansatzpunkt könnten etwa die verfassungsrechtlich problematischen Ausnahmen für große Erbschaften und Schenkungen sein. Diese sind laut Subventionsbericht der Bundesregierung mit jährlich 5-10 Milliarden Euro die größte deutsche Steuersubvention und landet bei den vermögendsten Menschen.
- Nur 1,1 Prozent Steuern auf Vermögen und Erbschaften: Unser Hauptproblem ist nicht die Höhe der Staatseinnahmen, sondern deren Verteilung. Der größte Teil der Steuereinnahmen entfällt auf Konsum (42 Prozent) und auf Arbeit (26 Prozent). Während in den letzten Jahrzehnten die Mehrwertsteuer und die Sozialabgaben für alle erhöht wurden, wurden Steuern auf Vermögen und Vermögenseinkommen gesenkt. Als einzige verbliebene vermögensbezogene Steuer trug die Erbschaftsteuer mit 9,4 Milliarden Euro 2022 nur 1,1 Prozent zum Steueraufkommen bei. Viel zu wenig bei einem Erbschaftsvolumen von geschätzt 300-400 Milliarden Euro und mit einem effektiven Steuersatz von weniger als 1 Prozent auf Schenkungen jenseits von 20 Millionen Euro viel zu niedrig. Ein weiteres Beispiel: eine Vermögensteuer von 2 Prozent hatte allein auf die geerbten BMW-Anteile von Frau Klatten und Herrn Quandt Einnahmen von mehr als 500 Millionen Euro generiert und wäre aus ihrem Gewinnanteil von etwa 5,8 Milliarden Euro allein im Jahr 2022 für sie trotzdem völlig problemlos zu finanzieren.
- Erbschaftsteuer können sich Unternehmenserben nicht leisten: Seit vielen Jahren beschäftigen sich Gerichte mit dem Erbschaftsteuerrecht. Immer wieder wurden dabei die Ausnahmen für Unternehmenserben als zu weitreichend und damit verfassungswidrig erklärt. Eine Reform der Erbschaftsteuer um besonders hohe Vermögen fair zu besteuern ist längst überfällig. Allerdings gelingt es der Unternehmenslobby immer wieder die Debatte in der Öffentlichkeit von der Frage einer gerechten Besteuerung wegzulenken hin zur Frage, ob die Streichung der Steuervergünstigung Arbeitsplätze gefährde und man Omas Häuschen verlieren würde, wenn Superreiche angemessen besteuert werden. Hier werden die wichtigsten Fragen zur Erbschaftsteuer beantwortet und Mythen entkräftet.
- Von den Privilegien bei der Erbschaftsteuer profitieren sehr wenige (ca. 3000 Personen) in sehr großem Umfang (>70 Milliarden): Die Erbschaftsteuer soll „leistungslose“ Zuflüsse progressiv belasten und sich damit positiv auf die Chancengleichheit in der Leistungsgesellschaft auswirken sowie die Vermögenskonzentration begrenzen. Umfangreiche Steuerausnahmen für Unternehmensvermögen wirken diesem Ziel entgegen. Zudem verzichtet der Staat auf hohe Steuereinnahmen. Die Sonderauswertung der Erbschaft- und Schenkungsteuertsatistik zeigt: In den Jahren 2009 bis 2020 wurden 429 Milliarden Euro Vermögen zugunsten von Einzelpersonen und Stiftungen aufgrund der Unternehmensprivilegien steuerfrei gestellt. Die Sonderauswertung der Steuerstatistik zeigt zudem, dass ein erheblicher Anteil von 64 Prozent (260 Milliarden Euro) des steuerfrei übertragenen Unternehmensvermögens auf wenige Großerwerbe mit einem Wert jenseits von 20 Millionen Euro entfällt (3.236 Fälle). Legt man den bei diesen hohen Übertragungen geltenden Steuersatz von mindestens 27 Prozent zugrunde, wurde allein in diesen wenigen Fällen auf Steuereinnahmen von über 70 Milliarden Euro verzichtet (ohne Steuererlass durch die Verschonungsbedarfsprüfung). Hier gibt es die Details der Studie.
- Das Finanzamt im Besitz der anonymen Steueroasen-Gesellschaft: Das Finanzamt ist hier zu sehen: https://www.zdf.de/dokumentation/zdfzoom/zdfzoom-geldwaesche-paradies-deutschland-100.html (Minute 6)
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