Steuerhinterziehung mit „Goldfinger“-Modellen – Wende im Augsburger Strafprozess?

Seit vergangener Woche gibt es ein weiteres finanzgerichtliches Urteil zum umstrittenen „Goldfinger“-Modell. Der noch unveröffentlichte Tenor im Verfahren Az. 5 K 3305/17 vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg bestätigt – im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – die Zulässigkeit des erst seit 2013 gesetzlich regulierten und bis dahin exzessiv genutzten Steuersparmodells. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung nahm dies zum Anlass, in einem am 02. Juli 2020 veröffentlichten Beitrag prompt den  am Augsburger Landgericht anhängigen Strafprozess gegen zwei Münchener Anwälte, denen Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit „Goldfinger“-Modellen vorgeworfen wird, für aussichtlos zu erklären. Suggestiv titelt die Zeitung: Das Finanzgericht Baden-Württemberg hat entschieden, dass das umstrittene Gestaltungsmodell keine Steuerhinterziehung war. Ist damit auch die Wende im Augsburger Mammutprozess perfekt?

Goldfinger-Methode Steuerhinterziehung

Wohl kaum. Schon die Aussage, das Finanzgericht Baden-Württemberg habe entschieden, dass das umstrittene Gestaltungsmodell keine Steuerhinterziehung war, ist falsch. Gegenstand des Verfahrens war nämlich nicht die Frage der Steuerhinterziehung – eine Straftat, für welche die ordentliche Gerichtsbarkeit zuständig ist – sondern, ob das vor 2013 durchgeführte „Goldfinger“-Modell vom Finanzamt anzuerkennen war. Ein feiner Unterschied, der dazu führt, dass sich mit Blick auf das Strafverfahren in Augsburg keine Schlüsse ziehen lassen. Ganz im Gegenteil: Die Zulässigkeit des „Goldfinger“-Modells vor 2013 hat der BFH bereits 2017 in zwei prominenten Entscheidungen bestätigt. Das kürzlich gefällte Urteil des FG Baden-Württemberg ist deshalb keineswegs überraschend. Hier liegt gerade der Knackpunkt im 2019 eröffneten Strafprozess von Augsburg. Die dort entscheidende Frage lautet nämlich: Haben sich die angeklagten Rechtsanwälte trotz steuerrechtlicher Zulässigkeit des Gestaltungsmodells einer Steuerhinterziehung strafbar gemacht, indem sie unwahre Tatsachen beim Finanzamt angaben?

An der – durchaus verwirrend anmutenden – Tatsache, dass das „Goldfinger“-Modell steuerrechtlich und strafrechtlich womöglich unterschiedlich beurteilt werden kann, wird Eines exemplarisch deutlich: Die Grenze zwischen legaler Steuergestaltung und strafbarer Steuerhinterziehung ist fließend und kann von den kleinsten Details abhängen.

Wie funktioniert das „Goldfinger“-Modell und warum war es zulässig?

Zunächst sind zwei Varianten des Gestaltungsmodells zu unterscheiden, die inländische und die ausländische. Beiden ist gemein, dass eine Steuerreduzierung (Auslandsmodell) oder ein Steuerstundungseffekt (Inlandsmodell) im Wege des Handels mit Gold erzielt wird. Daher – wenig kreativ – die geläufige Bezeichnung als „Goldfinger“-Modell. Wesentlich für beide Gestaltungen ist das Vorliegen folgender Voraussetzungen:

  • Bestehen einer transparent besteuerten Gesellschaft, die
    • gewerbliche Einkünfte generieren kann,
    • Umlaufvermögen haben kann und
    • ihre Gewinne nach § 4 Abs. 3 EStG mittels Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermitteln darf.
  • Durch diese Gesellschaft tatsächlich durchgeführter Handel mit Gold.

Beim inländischen Modell wird somit eine Personengesellschaft, namentlich eine GbR, gegründet. Gesellschafter sind Kapitalgesellschaften, z. B. eine GmbH, und mindestens eine (faktisch haftungsbeschränkte) Personengesellschaft, wie die GmbH & Co. KG. Die GbR kauft ihrem Gesellschaftszweck entsprechend Gold an, wobei die Übergabe des Goldes aus praktischen Gründen durch Vereinbarung eines Besitzkonstituts ersetzt wird, das heißt, das angekaufte Gold bleibt an einem bestimmten Ort verwahrt, etwa bei einer Bank. Im Folgejahr verkauft die GbR das Gold gewinnbringend.

Steuerlich bewirkt dieses Vorgehen Folgendes: Die transparente Besteuerung von Personengesellschaften bedeutet, dass nicht die GbR selbst, sondern ihre Gesellschafter steuerpflichtig sind. Der Gewinn der Personengesellschaft wird ihnen aber erst zugerechnet, nachdem er auf Ebene der Personengesellschaft berechnet wurde. Als Personengesellschaft ist die GbR nach § 4 Abs. 3 EStG berechtigt, ihren Gewinn mittels Einnahmen-Überschuss-Rechnung zu ermitteln. Dabei gilt das sog. Zu- und Abflussprinzip. Es ist also schlicht  die Differenz der im betreffenden Steuerjahr angefallenen tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben zu berechnen. Die Ausgaben für den Goldankauf sind abzuziehen. Anders als im Rahmen der Gewinnermittlung durch Bilanzierung bleibt der dafür erhaltene Goldwert unberücksichtigt. Den Ausgaben gegenüberstehende Einnahmen fließen der GbR somit erst mit Veräußerung des angekauften Goldes – also im nächsten Steuerjahr – zu. Daraus kann die steuerliche Bemessungsgrundlage für das betreffende Steuerjahr künstlich minimiert werden. Es entsteht ein Steuerstundungseffekt.

Der Bundesfinanzhof hat diese Gestaltung bei Zugrundelegung der vor 2013 geltenden Rechtslage für zulässig erklärt. Dabei entschied er im Wesentlichen:

  • Bei den Einnahmen aus dem Handel mit Gold handelt es sich um gewerbliche Einkünfte und nicht um reine Vermögensverwaltung.
  • Als (somit) gewerblich geprägte Personengesellschaft ist die GbR zur Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung berechtigt.
  • Eine gewerblich geprägte Personengesellschaft kann Umlaufvermögen haben.
  • Bei dem angekauften Gold handelt es sich um Umlaufvermögen und nicht um Anlagevermögen. Deshalb greift nicht die Ausnahme des § 4 Abs. 3 S. 4 EStG, wonach die Anschaffungskosten für dem Anlagevermögen zuzurechnende Wirtschaftsgüter erst bei Zufluss des Veräußerungserlöses zu berücksichtigen sind.
  • Es handelt sich nicht um eine Umgehung i. S. d. § 42 AO. Denn „grundsätzlich darf der Steuerpflichtige seine Verhältnisse so gestalten, dass keine oder möglichst geringe Steuern anfallen“.

Aufgrund derselben Erwägungen hat der BFH auch das ausländische Modell – nach früherer Rechtslage – grundsätzlich anerkannt. Dabei wird in einem ausländischen Staat, mit welchem ein Doppelbesteuerungsabkommen besteht, eine dort transparent besteuerte Gesellschaft gegründet. Im vom BFH entschiedenen Fall handelte es sich um eine britische GP, die mit der deutschen GbR vergleichbar ist. Diese handelt im Ausland mit Gold. Da sie ihrer Ausstattung nach den Anforderungen an eine ausländische Betriebsstätte genügt, hat der ausländische Staat, z. B. Großbritannien, nach dem Doppelbesteuerungsabkommen das Recht zur Besteuerung der gewerblichen Einkünfte. Wie im Inlandfall entstehen der Gesellschaft durch den Ankauf von Gold bei Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung Verluste. Deshalb können diese auf Ebene der inländischen Gesellschafterinnen zwar nicht unmittelbar gewinnmindernd geltend gemacht werden; aufgrund des in § 32b EStG verankerten Progressionsvorbehalts werden die im Ausland generierten negativen Einkünfte aber im Rahmen der Ermittlung des anzuwendenden Steuertarifs berücksichtigt. Das heißt, die Verluste können zwar auf Ebene der inländischen Gesellschafter nicht unmittelbar gewinnmindernd zum Abzug gebracht werden. Der auf sämtliche Einkünfte der Gesellschafter anzuwendende Steuertarif bemisst sich aber an der „fiktiven“ Bemessungsgrundlage, die gegeben wäre, wenn die Verluste unmittelbar gewinnmindernd hätten geltend gemacht werden können.   Auf diese Weise kann der auf sämtliche inländische Einkünfte (!) anzuwendende Steuertarif bis auf 0 % gesenkt werden. Der etwa im Folgejahr stattfindende Ausgleich durch Berücksichtigung des Veräußerungserlöses im Rahmen des (positiven) Progressionsvorbehalts wirkt sich nicht aus, da die Summe der steuerbaren Einkünfte der einzelnen Gesellschafter dann ohnehin dem Spitzensteuersatz unterliegt.

Auch diese Gestaltungsvariante erklärte der BFH für zulässig. Zur Begründung berief er sich auf dieselben Grundsätze, die er auch hinsichtlich der inländischen Gestaltung aufstellte. Allein die Frage, ob die ausländische Gesellschaft tatsächlich zur Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung befugt war, ließ er im Ergebnis offen. Denn die vom Finanzamt vorgetragene Rüge, nach britischem Recht sei dies nicht der Fall gewesen, war im Revisionsverfahren präkludiert. Im Übrigen war im vom BFH entschiedenen Fall maßgeblich, ob den Anforderungen an das Vorliegen einer Betriebsstätte auf tatsächlicher Ebene Genüge getan war.

An eben diese Frage knüpft auch das am Landgericht Augsburg anhängige Strafverfahren an. Denn der dort zu bewertende Vorwurf lautet: In dem angeklagten, die Münchener Rechtsanwälte betreffenden Fall, hat es keine ausländischen Betriebsstätten gegeben. Ferner sogar: Es handelte sich um eine ausländische „Scheingesellschaft“, die in Großbritannien nie tätig geworden ist. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet nach Medienberichten, der Goldhandel sei tatsächlich vollständig von München aus abgewickelt worden.

Genügt dies für eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung?

Der Strafprozess am Landgericht Augsburg ist von Anfang an in Steuerberaterkreisen belächelt worden. Wenn der BFH festgestellt habe, dass eine unzulässige Steuerumgehung nach § 42 AO nicht vorliege, bliebe erst Recht kein Raum für eine strafbare Steuerhinterziehung. Das ist so nicht richtig. Voraussetzung einer Steuerhinterziehung ist u. a. die vorsätzliche Tätigung von Falschangaben gegenüber dem Finanzamt. Sollte der Beweis gelingen, dass im Falle der angeklagten Münchener Rechtanwälte Betriebsstätten im Ausland nie errichtet wurden, deren Existenz gegenüber dem Finanzamt gleichwohl erklärt wurde, so kann dies als Falschangabe gewertet werden. Für eine Strafbarkeit bleibt Raum. Der Prozess mag Kritiker*innen aussichtlos und symbolisch erscheinen. Dies scheint allerdings vordergründig daran zu liegen, dass die steuerrechtliche Bewertung seitens des BFH mit einer möglicherweise anders ausfallenden strafrechtlichen Bewertung zu Unrecht gleichgesetzt wird. Der vorsitzende Richter Ballis regte Ende Mai die Einstellung des Verfahrens an, da er dieses als „Ressourcenverschwendung“ ansah. Die Staatsanwaltschaft willigte nicht ein, sondern stellte ganz im Gegenteil einen Befangenheitsantrag gegen den Richter Ballis. Nachdem dieser nun abgelehnt wurde und das Verfahren fortgesetzt wird bleibt der Ausgang ungewiss. Es ist davon auszugehen, dass die Staatsanwaltschaft gute Gründe für ihre hartnäckige Vorgehensweise hat. Das kürzlich ergangene Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg hat jedenfalls keinerlei Indizwirkung für einen möglichen Prozessausgang. Letztlich bleibt es ein positives Signal, dass auch auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden strukturelle Steuerkriminalität ernst genommen wird und in der gesetzlich gebotenen Stringenz zwischen zulässiger Steuergestaltung und strafbarer Steuerhinterziehung unterschieden wird.

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Über die Autorin:

Esther-Rosa Schüttpelz hat Rechtswissenschaften mit Schwerpunkt Steuerrecht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster studiert. Während des Studiums arbeitete sie als studentische Hilfskraft am Institut für Steuerrecht bei Prof. Joachim Englisch, nahm an einer Summer School der JurGrad Münster zum Thema International Taxation teil und absolvierte Praktika in der Corporate Tax Abteilung von KPMG, in einer deutsch-spanischen Steuerrechtskanzlei in Barcelona und im Bundesministerium für Finanzen. Seit August 2018 ist sie Referendarin am Landgericht Münster. Während ihrer Anwaltsstation arbeitete sie für eine mittelständische Kanzlei an Fragen der Besteuerung der öffentlichen Hand. Ihre Wahlstation absolviert sie beim Netzwerk Steuergerechtigkeit.

4 Kommentare

  • Wie soll eine Steuer hinterzogen worden sein, wenn das für die steuerliche Beurteilung zuständige Finanzgericht entschieden hat, dass in dem konkreten Fall gar kein Steueranspruch des Staates bestand? Eine Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 AO setzt neben dem Machen unrichtiger oder unvollständiger Angaben gegenüber der Finanzbehörde als weiteres Tatbestandsmerkmal voraus, dass Steuern verkürzt worden sind. Wo es keinen Steueranspruch gibt, können keine Steuern verkürzt worden sein.

    Antworten
  • Guten Tag Harald,

    danke für Deinen Kommentar.
    Aus unserer Sicht beurteilt sich das folgendermaßen: Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ist nicht öffentlich, sodass nicht mit Gewissheit gesagt werden kann, worauf genau sie sich stützt (s.o. “laut Medienberichten”). Hier scheint ausschlaggebend zu sein, dass – bei unrichtiger Angabe ggü. dem Finanzamt hinsichtlich des Vorliegens einer Betriebsstätte – im Ergebnis eben doch ein Steueranspruch bestand. Denn wenn in Wahrheit keine Betriebsstätte im Ausland vorliegt, greift das DBA nicht und das Besteuerungsrecht hat die Bundesrepublik (nicht GB). Es sind dann gerade nicht die tatsächlichen Voraussetzungen des (zulässigen) “Goldfinger”-Modells gegeben.

    Viele Grüße,
    Esther-Rosa Schüttpelz

    Antworten
    • Sie führen einen spannenden rechtlichen Hinweis aus, sehr geehrte Frau Schüttpelz. Dieser Hinweis wird jedoch im Ergebnis wohl nicht greifen, da sie einen Tatsachen-Puzzlestein nicht berücksichtigt haben. Die fleißigen Ermittler haben im konkreten Fall in London bei der Betriebsstätte intensiv ermittelt. Der Umstand, dass die Ermittler bei der Betriebsstätte ermitteln konnten, spricht eindeutig für das Vorliegen einer entsprechenden Betriebsstätte in London. Unter Berücksichtigung dieses Puzzlesteins halte ich trotz Ihrer Ausführungen einen Freispruch für wahrscheinlich. Natürlich kennen wir die Anklageschrift und die Motivation der Staatsanwaltschaft, die von Gesetzes wegen mit Akrebie auch entlastende Umstände ermitteln müßte, nicht. Möglich ist, dass Staatsanwaltschaft die Flucht nach vorne angetreten ist um den Gesichtsverlust so lange wie möglich zu vermeiden.

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  • Das Finanzgericht hat inzwischen sein ausführlich begründetes Urteil veröffentlicht:

    http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=FG+Baden-W%FCrttemberg&Art=en&Datum=2020&nr=32547&pos=0&anz=19

    Demnach lagen dem Finanzgericht Baden-Württemberg auch die Ermittlungs- und Beweismittelakten vor, auf die sich die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Augsburg stützt. Dennoch konnte das Finanzgericht keinen Steueranspruch des Staats erkennen.

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