Eine Übergewinnsteuer für die Krisenprofiteure
Trotz Tankrabatt kostet Benzin knapp 2 Euro. Und mit dem Benzinpreis steigen die Gewinne der Mineralölkonzerne. Nicht zuletzt deswegen wird aktuell nicht nur in Deutschland intensiv über eine Übergewinnsteuer diskutiert. Sie soll die Kriegsgewinner an den Kriegskosten beteiligen. Dieser Blog sammelt Hintergrundinformationen und aktuelle Entwicklungen.
Unsere Zusammenfassung:
Eine Übergewinnsteuer ist verfassungsrechtlich möglich und angesichts der hohen Krisenkosten gerechtfertigt. Wer Geld über den Tankrabatt “willkürlich” verteilt, kann es auch über eine dazu passende “willkürliche” Steuer wieder einsammeln. Aktuell profitieren vor allem die großen Mineralölkonzerne von den gestiegenen Preisen. Sie versteuern bisher nur einen sehr kleinen Teil ihrer Gewinne aus dem deutschen Geschäft in Deutschland. Man müsste also entweder Importzölle erheben oder wie bei der Digitalsteuer die deutschen Umsätze ins Verhältnis zur Konzernrendite setzen um sie zu treffen.
Übergewinne entstehen aber auch an anderen Stellen – zum Beispiel bei Düngemittelproduzenten, und aus anderen Gründen – zum Beispiel bei Logistikdienstleistern wegen der durch Corona gestörten Lieferketten oder bei Digitalkonzernen wegen ihrer Marktmacht. Mittelfristig könnte eine allgemeingültigere Lösung bei der Krisenbewältigung helfen und als Ergänzung zum Kartellrecht für besser funktionierende Märkte sorgen. Durch eine solche Steuer zahlen besonders leistungsfähige Konzerne mehr als andere – ganz im Sinne des Leistungsfähigkeitsprinzips als zentralem Pfeiler des deutschen Steuersystems. Wahrscheinlich unwillentlich hat die OECD dafür eine gute Vorlage geliefert: sie klassifiziert für die erste Säule ihrer aktuellen Steuerreform Umsatzrenditen jenseits von 10 Prozent als “Residualgewinne” und unterwirft diese Gewinne bei den größten Konzernen speziellen Besteuerungsregeln. Eine zusätzliche Steuer gehört bisher (noch) nicht dazu und die Mineralölkonzerne bleiben außen vor. Aber das ließe sich ändern.
Hier geht’s zum aktuellen Monitor-Beitrag zum Thema.
Die politische Auseinandersetzung in Deutschland:
- In einer Analyse vom 31. März kommt der wissenschaftliche Dienst des Bundestages zum Ergebnis, dass eine Übergewinnsteuer verfassungsrechtlich möglich ist und dass der Gesetzgeber weite Ermessensspielräume bei deren Ausgestaltung hat.
- Am 17. Mai forderte die Linkspartei im Bundestag eine 25-prozentige Übergewinnsteuer für Energiekonzerne nach italienischem Vorbild.
- Am 10. Juni diskutiert der Bundesrat über einen ähnlich lautenden Entschließungsantrag aus Bremen.
- FDP-Finanzminister Christian Lindner lehnt in einem Statement vom 7.6.2022 Steuererhöhungen allgemein und die Übergewinnsteuer ab. Ihm zufolge liegen keine Zahlen zu Übergewinnen vor. Er warnt vor steigenden Preisen für Verbraucher und Schäden für die Wirtschaft z.B. durch Lieferstopps.
- Grünenvorsitzende Ricarda Lang fordert eine Steuer für Kriegsprofiteure
- SPD-Chef Lars Klingbeil will Krisengewinner stärker zur Finanzierung des Gemeinwohls heranziehen
Eine Replik auf die Gegenargumente:
- Übergewinne sind bisher nicht bekannt und lassen sich nicht verlässlich feststellen
Die Geschäftsberichte der großen Mineralölkonzerne fürs erste Quartal 2022 offenbaren deutlich höhere Gewinne als in den Vorjahren. Wenn die Preissteigerungen nicht wieder verschwinden, zahlen Verbraucher weltweit bis Jahresende ganz grob geschätzt 1.000 Milliarden Euro mehr. Wie die Beispiele aus verschiedenen Ländern zeigen, auf die wir weiter unten in diesem Blog eingehen, ist es durchaus möglich Übergewinne zu definieren.
- Eine entsprechende Steuer würde die marktwirtschaftliche Ordnung gefährden
Der Markt regelt nicht alles. Bei den Mineralölkonzernen geht es um Zusatzgewinne, die durch den Krieg in der Ukraine und ihre wettbewerbsverzerrende Monopolstellung entstehen und nicht auf ökonomischer Leistungsfähigkeit basieren. Staatliches Handeln könnte dazu beitragen, Fehlentwicklungen auf dem Mineralölmarkt zu korrigieren.
- Einzelne Branchen können nicht diskriminiert werden
Eine Fokussierung auf einzelne Branchen wäre dann möglich, wenn sie gut begründet ist. Die besonders angespannte Lage in der Energiebranche bei gleichzeitig hohen Zusatzgewinnen und umfangreichen staatlichen Hilfszahlungen könnte eine Rechtfertigung geben. Aber auch die Ausweitung einer Übergewinnsteuer auf andere Branchen ist mittelfristig durchaus denkbar – am besten international koordiniert und auf große Unternehmen beschränkt.
- Eine Übergewinnsteuer könnte zu Preissteigerungen oder Angebotsverknappung führen
Eine einmalige, zusätzliche und auf vergangene Gewinne bezogene Steuer hat – anders als z.B. Importzölle – keine direkten Auswirkungen auf Angebot und Preise. Aber selbst Zölle oder dauerhaft höhere Steuern würden auch in monopolistischen Märkten nur teilweise zu Anpassungen bei Angebot und Preisen führen, weil das zu einem Umsatz- und damit einem Gewinnverlust des Monopolisten führen würde.
- Steuern sind nicht das richtige Instrument gegen monopolistische Märkte
In der Theorie führt Wettbewerb langfristig zur Beseitigung von Übergewinnen. Wettbewerb sicherzustellen ist Aufgabe der Kartellbehörden. Aber die Konzentrationstendenzen in vielen Märkten und die gescheiterten Versuche kartellrechtlich gegen zu hohe Spritpreise vorzugehen zeigen, dass das nicht immer funktioniert. Möglicherweise lässt sich das durch Reformen teilweise korrigieren. Aber die Vorschläge aus dem BMWK und der Protest dagegen zeigen, Steuern bleiben eine second best und da wo die deutschen Behörden per se wenig Einfluss haben manchmal auch die best option.
Der Blick in die Welt:
- Die EU-Kommission hat bereits am 8. März eine Leitlinie veröffentlicht, die eine bis Ende Juni 2022 befristete Besteuerung von Übergewinnen aus der Stromerzeugung erlaubt, macht aber keine konkreten Vorschläge zur Ausgestaltung. Passend dazu errechnete die IEA, dass mit einer solchen Steuer weltweit 200 Milliarden US-Dollar eingenommen werden könnten.
- Italien hat im Mai eine Zusatzsteuer für Energiekonzerne beschlossen. Dabei wird die Wertschöpfung (als Saldo aus Ausgangs- und Eingangsumsätzen) im Zeitraum vom 1. Oktober 2021 bis zum 30. April 2022 mit dem Vorjahreszeitraum verglichen. Ergibt sich dabei eine Steigerung um mehr als 10 Prozent oder mehr als 5 Millionen Euro wird diese Differenz mit 25 Prozent besteuert. Die Mehreinnahmen werden auf ca. 11 Milliarden Euro geschätzt. Die Steuer soll einmalig fällig werden und zu 40 Prozent Ende Juni und zu 60 Prozent im November 2022 gezahlt werden.
- Großbritannien hat am 26. Mai 2022 eine Zusatzsteuer von 25 Prozent für in Großbritannien tätige Öl- und Gaskonzerne angekündigt. Sie umfasst alle Gewinne, die aus der Öl- und Gasgewinnung in Großbritannien erzielt wurden. Sie gilt vom 26. Mai 2022 bis zur Normalisierung der Gas- und Ölpreise erzielt werden. Im Unterschied zum EU Vorschlag und zu Italien betrifft die Steuer also nicht den Verkauf von Energie, sondern die Gewinnung. Weil es für die betroffenen Unternehmen schon eine Sondersteuer gibt, erhöht sich der Steuersatz von 40 auf 65 Prozent. Die Regierung Großbritanniens rechnet mit Zusatzeinnahmen von umgerechnet knapp 6 Milliarden Euro pro Jahr.
- Ungarn erhebt bereits seit Juli 2021 eine Übergewinnsteuer auf die Hersteller von Baumaterialien. Am 25. Mai 2022 kündigte Viktor Orban auf Facebook an, dass große Konzerne aus einer Vielzahl weiterer Branchen für 2022 und 2023 einen Großteil ihrer zusätzlichen Gewinne in zwei neugeschaffene Krisenfonds einzahlen sollen. Einen Tag später stellte der Wirtschaftsminister eine ganze Reihe von branchenspezifischen Steuern vor, die größte davon eine Erhöhung der Bankabgabe. Insgesamt sollen für dieses und das nächste Jahr jährliche Zusatzeinnahmen von ca. 2 Milliarden Euro entstehen.
- In den USA schlägt ein Gesetzentwurf der Demokraten vom März vor in den USA hergestelltes oder importiertes Öl mit einer zusätzlichen Verbrauchssteuer von 50 Prozent auf den Preisunterschied zwischen dem aktuellen Quartalspreis und dem durchschnittlichen Preis der Jahre 2015 bis 2019 zu besteuern.
Zum Weiterlesen:
- Unsere aktuelle Studie “Krisengewinner und die Finanzierung der Krisenbewältigung” im Auftrag von Martin Schirdewan (MdEP) schätzt die zusätzlichen weltweiten Gewinne der Mineralölkonzerne durch die derzeitigen Preise auf 1.000 Milliarden Euro pro Jahr. Sie zeigt außerdem Gazprom und Rosneft zahlen in Deutschland kaum Steuern, weil sie ihre Gewinne ins Ausland verschieben. Und sie schaut auf fünf weitere Branchen, die trotz Krise große Gewinne machen und mit der passenden Steuer mehr zur Krisenbewältigung beitragen könnten.
- Unser Blog vom Juni 2020 schaut zurück auf die historischen Vorbilder der Übergewinnsteuer, einschließlich der deutschen Debatte aus den 70er Jahren, und analysiert Vorschläge für eine technische Umsetzung als Reaktion auf die Corona-Krise.
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