Wir brauchen einen neuen Begriff von Fairness im internationalen Steuersystem
Gastbeitrag von Christian von Haldenwang
Bonn, 14.05.2018. Aktuelle Vorstellungen von Fairness im internationalen Steuersystem greifen zu kurz. Sie beruhen wesentlich auf der Idee, dass Steuern dort erhoben werden, wo Mehrwert geschaffen wird. Aber eine zentrale Dimension jeder nationalen Debatte über Steuergerechtigkeit oder -fairness wird im globalen Diskurs völlig ausgeblendet: Die Frage, in welchem Verhältnis öffentliche Leistungen zu den Abgaben stehen, die die Steuerzahler regelmäßig entrichten.
Die Forderung, Steuern dort zu erheben, wo Mehrwert geschaffen wird, ist von zentraler Bedeutung für zwei aktuell vieldiskutierte Probleme: Steuervermeidung, vor allem durch große multinationale Unternehmen, sowie Steuerwettbewerb zwischen Staaten.
Steuervermeidung beruht auf dem Prinzip, gewinnträchtige Aktivitäten künstlich dorthin zu verlagern, wo sie niedrig oder gar nicht besteuert werden. Weltweit unterschiedliche Standards oder Rechtsauffassungen ermöglichen es Unternehmen, ihre Steuerlast im grenzüberschreitenden Austausch von Waren und (Finanz-)Dienstleistungen zu minimieren.
Steuerwettbewerb zwischen den Staaten wiederum führt zu einer allgemeinen Absenkung der Steuerlast. Er wurde zuletzt durch die US-Steuerreform vom Dezember 2017 weiter angeheizt. Im Rahmen dieses Wettbewerbs gewähren die Regierungen immer großzügigere Steuererleichterungen, um Kapital anzulocken oder im Land zu halten. Sie untergraben damit ihre eigenen fiskalischen Möglichkeiten, öffentliche Leistungen bereitzustellen – auch solche, die für nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung notwendig wären.
Wenn es nun gelänge, unternehmerische Wertschöpfung wieder enger mit Besteuerung zu verknüpfen – die OECD bezeichnet dies als „Nexus-Prinzip“, könnten Steuervermeidung und Steuerwettbewerb wirksamer als bisher eingehegt werden. Gegenüber der derzeitigen Situation wäre dies ein großer Fortschritt.
Das Nexus-Prinzip allein kann aber die Fairness des internationalen Steuersystems nicht sichern, denn es greift in wesentlichen Aspekten zu kurz. Zum einen verlagert sich Wertschöpfung vom eigentlichen Produktionsprozess in vor- bzw. nachgelagerte Aktivitäten. Sie findet heute immer mehr in Forschung und Entwicklung, Design, Marketing und nachgelagerten Dienstleistungen statt, und immer weniger in der Produktion selbst. Die wertschöpfungsintensiveren Tätigkeiten sind dabei typischerweise in den Ländern des globalen Nordens bzw. in sogenannten „Steueroasen“ angesiedelt. Die Finanzierungsprobleme vieler ärmerer Staaten wären somit nicht gelöst.
Noch wichtiger: Das Verhältnis von Wertschöpfung zu den dafür notwendigen öffentlichen Leistungen ist nicht immer gleich. Globale Wertschöpfungsketten sind heute so gestaltet, dass wertschöpfungsintensivere Tätigkeiten nicht immer auch höherwertige öffentliche Leistungen (z.B. Infrastruktur, Bildungs- oder Sozialleistungen) erfordern.
Das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz
Hier kommt das von Mancur Olson bereits 1969 entwickelte Prinzip der fiskalischen Äquivalenz ins Spiel. Es besagt, dass der Kreis jener, die von einem öffentlichen Gut profitieren, mit dem Kreis jener übereinstimmen soll, die für dieses Gut bezahlen. Dort, wo dieses Prinzip verletzt wird – wo also Personen oder Unternehmen profitieren, ohne zu zahlen, bzw. zahlen, ohne zu profitieren – kommt es zu einer ineffizienten Bereitstellung von Leistungen. Dies kann auf die Quersubventionierung bestimmter wirtschaftlicher Aktivitäten zu Lasten anderer Sektoren hinauslaufen, oder auf eine Unterversorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Leistungen.
Eine internationale Debatte, die die Wertschöpfung zum zentralen Maßstab von Besteuerung erhebt, drückt sich letzten Endes um diese Diskussion. Sie zwingt besonders ärmere Staaten zu Anpassungen ihres Leistungsportfolios, die dem gesellschaftlichen Willen eventuell nicht entsprechen. Was also wäre zu tun, um das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz international zu stärken?
Erstens müssen die Regierungen in einheitlicher Form Transparenz über die steuerlichen Anreize herstellen, die sie im internationalen Wettbewerb gewähren. Nur wenn diese Informationen vorliegen, kann darüber debattiert werden, welche steuerliche Förderung tatsächlich erwünscht oder sogar notwendig ist. Für die meisten Fördermechanismen gilt heute, dass wir nicht wissen, was sie kosten und welchen wirtschaftlichen Nutzen sie bringen.
Zweitens müssen multilaterale Ansätze zum Austausch steuerrelevanter Informationen gestärkt werden. Insbesondere muss offenliegen, wer die tatsächlichen wirtschaftlichen Eigentümer von Vermögenswerten sind, denn nur dies ermöglicht es, Nutzer und Zahler öffentlicher Leistungen zu identifizieren.
Drittens wäre es für die Staatengemeinschaft wichtig, zu einer einheitlichen Bemessungsgrundlage für Unternehmenssteuern zu gelangen. Diese könnte sicherstellen, dass die Besteuerung von Unternehmen zwischen den Staaten so abgestimmt wird, dass neben Umsätzen bzw. Gewinnen auch andere Kriterien, z.B. Beschäftigtenzahlen, herangezogen werden. Damit ließen sich die jeweiligen Leistungen der Staaten besser als bisher berücksichtigen.
Erschienen in: Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 14.05.2018)
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