Gerechtigkeitscheck April – 60 Millionen Euro Steuergeschenk für Microsoft & Co oder Milliardärsteuer?

Die öffentliche Infrastruktur verfällt schon länger, jetzt wird angeblich auch noch die deutsche Wirtschaft abgehängt. Die FDP will – wenig überraschend – Steuern für Unternehmen senken, in der Hoffnung, dass sie dann mehr investieren. Das IW Köln hat das für den BDI (2021) und die Stiftung Familienunternehmen (2024) schon durchgerechnet. Die Lobbyisten begleiten die Forderung mit intensiver Pressearbeit. So weit, so vorhersehbar. Aber ergibt das auch Sinn?

Selbst die Zahlen des IW Köln sagen: Steuersenkungen sind sehr teure und wenig zielgenaue Politik mit der Gießkanne. Und auch der Blick in die Vergangenheit zeigt: Die Steuersenkung auf einbehaltene Gewinne von knapp 60 Prozent im Jahr 1996 auf weniger als 30 Prozent hat zu nie dagewesener Anhäufung von Vermögen geführt, die Investitionslücke ist trotzdem größer geworden. Microsoft & Co. haben ihre Steuern auf in Deutschland erwirtschaftete Gewinne durch Tricks noch einmal halbiert und haben einen Teil der niedrigbesteuerten Gewinne in Investitionen (und Zukäufen) investiert. Dadurch sind sie zu scheinbar uneinholbaren Megakonzernen gewachsen. Unsere Berechnung zeigt, der FDP-Vorschlag würde Microsoft & Co. noch einmal 60 Millionen Euro Steuern sparen. Haben wir Wachstum und Investitionen wirklich so dringend nötig, dass wir den Milliardären und Großkonzernen noch mehr Geld hinterherwerfen müssen, oder gibt es Alternativen?

Für Maximilian Krah von der AfD scheint die Antwort im 6-Stunden-Interview-Marathon mit Tilo Jung recht klar: Vermögen- oder Erbschaftsteuer für Milliardäre? Geht nicht! “Der Politiker muss auch einsehen, wenn er nichts ändern kann”. Unsere neue Studie für Oxfam zeigt, dass das nicht stimmt. In der Schweiz sorgt eine Vermögensteuer zumindest dafür, dass Milliardäre einen deutlich höheren Anteil ihrer Einkommen an Steuern zahlen als die Mittelschichts-Familie. Und in einem gemeinsamen Meinungsbeitrag haben sich die Finanzminister aus Brasilien, Südafrika und Spanien – zusammen mit der deutschen Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) – gerade für eine international abgestimmte Steuer auf Milliardenvermögen ausgesprochen. Steuergeschenk für Microsoft vs. Vermögensteuer für Milliardäre – ist das schon ein Vorgeschmack auf den Wahlkampf? Wir freuen uns auf die Debatte.

Wie stets arbeiten wir diese großen Themen auch in unserem Podcast (YouTube) auf, diesmal mit einer Koautorin der Studie zur Vermögensbesteuerung in Schweiz, Österreich und Deutschland, Barbara Schuster vom österreichischen Momentum Institut. Hört gerne rein.

+++Schweiz zeigt: Vermögensteuer funktioniert+++Wettlauf um die erste globale Vermögensbesteuerung+++FDP plant 60 Millionen Euro als Steuergeschenk für Microsoft & Co+++Das Vermögensverschleierungsbekämpfungsgesetz ist da+++Haie bei der FIU jagen schon jetzt die großen Fische+++BZSt bereit: Klimageld doch schon 2025?+++Erfahrung macht wenig Lust auf steuerfreie Überstunden+++Ikone der Cum-Ex-Aufklärung verlässt den Staatsdienst+++

Vermögen, Erbschaften, hohe Einkommen

Neue Studie: Vermögensteuer funktioniert

Während die Diskussion um höhere Steuern für Superreiche international an Fahrt gewinnt, zeigt unsere neue Studie für Oxfam, dass gerade in Deutschland und Österreich dringender Reformbedarf besteht. Zwar sollen progressive Einkommensteuersysteme hier dafür sorgen, dass Steuern entsprechend der individuellen Leistungsfähigkeit erhoben werden. Allerdings haben in den vergangenen Jahrzehnten Globalisierungsprozesse und eine ganze Reihe von Reformen dafür gesorgt, dass die Systeme gerade bei den höchsten Einkommen in unterschiedlich starkem Ausmaß versagen. Milliardär*innen zahlen in Deutschland und Österreich trotz Milliardeneinkommen kaum mehr als die Hälfte der geltenden Höchststeuersätze. Ausgerechnet die Schweiz – als Steuersumpf bekannt – zeigt, dass eine Vermögensteuer machbar ist und an den richtigen Stellen nachsteuern kann: Sie wirkt auf die niedrig besteuerten Vermögenseinkommen wie eine indirekte Ertragsteuer.

Zahlreiche Medien haben die Ergebnisse in Deutschland aufgegriffen und auch in Österreich sowie der Schweiz wurden die Steuersätze der Roche- und Red Bull-Erben diskutiert.

Weitere Nachrichten:

  • Das Bundesverfassungsgericht will noch in diesem Jahr über eine Normenkontrollklage der Landesregierung Bayern zur Erbschaft- und Schenkungsteuer entscheiden. Das kündigte das Gericht in der Entscheidungsvorschau für das Jahr 2024an. Die CSU will mit der Klage u.a. die Erhöhung der persönlichen Freibeträge erreichen (BvF 1/23). Ebenso steht das Verfahren zu einer Verfassungsbeschwerde gegen die weitreichenden Ausnahmen für Unternehmenserb*innen erneut auf der Ankündigungsliste (1 BvR 804/22). Ursprünglich war diese Entscheidung bereits im vergangenen geplant. Gut möglich, dass beide Verfahren zusammen entschieden werden.
  • Die Stiftung „Ein Erbe für jeden“ verloste in Frankfurt zum sechsten Mal 20.000 Euro an einen jungen Menschen. Das symbolische Grunderbe gewann ein 30-jähriger, der sich nun verpflichtet, das Geld mindestens 3 Jahre nicht auszugeben. Die Arbeit der Stiftung wird von der Wissenschaft begleitet um die Auswirkung auf das Leben der Gewinner*innen zu evaluieren. Wir waren dabei, um mit über 200 Teilnehmer*innen und Gästen über die Verteilung von Erbschaften und der Besteuerung von Vermögen zu sprechen.
  • Das Forbes Magazin kürt jedes Jahr die reichsten Menschen der Welt. In diesem Jahr zeigt sich: Alle Milliardär*innen unter 30 haben ihren Reichtum geerbt.
  • Dazu passend zeigt eine neue Studie: Die reichsten Millennials in den USA besitzen heute mehr als je zuvor, während die ärmsten weiter zurückfallen. Die Wissenschaftler*innen der University of Cambridge (UK), der Humboldt-Universität Berlin und der Sciences Po in Paris untersuchten die Berufs- und Familienverläufe von mehr als 6.000 Babyboomern und 6.000 Millennials in den Vereinigten Staaten. Die Forscher*innen schlagen u.a. Vermögensteuern vor, um dem Trend zu begegnen.
  • Laut Stiftungsverband war im Jahr 2023 fast jede zweite neu gegründete Stiftung eine privatnützige Familienstiftung. In der Vergangenheit waren dagegen mehr als 90 Prozent gemeinnützig. Familienstiftungen sichern das Vermögen der Stifter*innen langfristig und können dabei helfen, Erbschaft- und Schenkungsteuern zu vermeiden. Welche Gründe für den plötzliche Beliebtheit ausschlaggebend waren, sagt der Verband nicht.

Internationale Steuergerechtigkeit

Wettlauf um die erste globale Vermögensteuer?

“[E]ine globale Mindestbesteuerung von Milliardären […] stellt eine notwendige dritte Säule dar, um die Verhandlungen über die Besteuerung der Digitalwirtschaft und die globale Mindeststeuer von 15 Prozent für multinationale Unternehmen zu ergänzen. Damit eine solche Steuer wirkt, braucht es internationale Zusammenarbeit und globale Abkommen.”

Zumindest die Finanzminister aus Brasilien, Spanien und Südafrika – und die deutsche Entwicklungsministerin – sind sich dabei in ihrem u.a. im Spiegel veröffentlichten Meinungsbeitrag einig.

Wie es mit dieser Zusammenarbeit weitergeht, wird gerade in den USA verhandelt. Beim Frühlingstreffen von Weltbank und IWF in Washington verkündeten die Finanzminister aus Brasilien und Frankreich ihren weiteren Plan: Eine politische Kommunikation der G20 im Juli und November 2024, technische Unterstützung durch die OECD und Datenaustausch und die Umsetzung in drei Jahren – und von Le Maire nebenbei bemerkt, Säule 1 soll noch im Juni kommen. Auf dem Financing for Development Forum in New York wurde direkt danach um die Rolle der UN bei einer gerechteren Besteuerung gestritten – am Ende stand die Unterstützung für den Prozess zu einer UN-Steuerkonvention (eine gute Zusammenfassung zur Verhandlung vom Global Policy Forum). Der geht seit dem 26. April im Ad-Hoc-Komitee in die erste inhaltliche Debatte (Live-Berichterstattung macht TJN).

 

Weitere Nachrichten:

  • Irland und Estland blockieren EU-Einigung auf eine einheitliche Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage (BEFIT). Die estnische Premierministerin begründet das mit folgenden Worten: „Als kleines Land haben wir natürlich nicht viele Wettbewerbsvorteile – und ein sehr wettbewerbsfähiges Steuersystem ist das, was wir haben, also bitte nehmen Sie uns das nicht weg“
  • Der Internationale Ethics Standards Board for Accountants (IESBA) hat neue Ethik-Richtlinien für Steuerfachleute veröffentlicht. Diese fordern Steuerberatende dazu auf, zu überprüfen, ob Steuergestaltungen, auch wenn sie legal sind, ethisch vertretbar sind. Sie sollen ab 1. Juli 2025 gelten und sind eine sehr späte Reaktion auf Panama und Paradise Papers. Hier zu den detaillierten Änderungen und hier zu einem Artikel mit weiteren Informationen.

Unternehmensteuer

60 Millionen Euro Steuergeschenk für Microsoft & Co oder gezielte Investitionsförderung?

“Deutschland fällt im globalen Wettbewerb zurück.” So startet der 12-Punkte-Plan der FDP und so ähnlich warnt die “deutsche Wirtschaft” gerade ziemlich unisono in der Presse, auf Fachtagungen und in den Hinterzimmern. Punkt 6 des Plans fordert die komplette Abschaffung des Soli und perspektivisch eine Senkung der Steuern auf Unternehmensgewinne auf 25 Prozent. Der BDI hatte dazu schon 2021 eine Studie beim IW Köln in Auftrag gegeben. Die Stiftung Familienunternehmen hat sie Anfang 2024 aktualisieren lassen – und kommt zu einem angesichts der Auftraggeber erstaunlichen Ergebnis: Trotz großzügig gerechneter Multiplikatoreffekte führt die schrittweise Steuersenkung in 5 Jahren nur zu 5,6 Milliarden Euro zusätzlichen Investitionen und bringt 12.900 zusätzliche Arbeitsplätze, kostet aber – selbst nach Abzug der Wachstumseffekte – noch 17 Milliarden Euro jährlich. Ineffektive Politik mit der Gießkanne also. Davon profitieren z.B. auch die vier großen US-amerikanischen Digitalkonzerne. Sie würden etwa 10 Millionen Euro weniger Soli und 50 Millionen Euro weniger Steuern zahlen.

Haben wir Wachstum und Innovation wirklich so dringend nötig, dass wir die größten und profitabelsten Unternehmen und den Vermögensaufbau der Milliardäre noch mehr subventionieren müssen? Oder sind die großen Konzerne in der Vergangenheit nicht schon zu schnell gewachsen und haben mit ihrer Innovationsgeschwindigkeit die restlichen Unternehmen und die Gesellschaft abgehängt? Und rennen sie vielleicht sogar mit voller Geschwindigkeit in die falsche Richtung? Die Antwort liegt eigentlich auf der Hand: Steuergeschenke mit der Gießkanne sind keine gute Idee. Die Alternative wäre intelligente Investitionspolitik. Beim im März nach langen Diskussionen und in abgespeckter Variante verabschiedeten Wachstumschancengesetz ist die gezielte Investitionsförderung dem Vernehmen nach allerdings gerade daran gescheitert, dass sich weder die Finanzbehörden der Länder noch das BMWK in der Lage sahen, förderwürdige Investitionen als solche zu klassifizieren. Aber deswegen einfach weiter die Anhäufung von Vermögen zu subventionieren, ist eine politische Bankrotterklärung. Wer “reiche Leute zu mehr Investitionen ermuntern” will (O-Ton Olaf Scholz auf der Messe in Hannover), sollte sich dafür etwas mehr einfallen lassen.

Weitere Nachrichten:

  • Mini-Büro doch genug für Steuervermeidung? In einem Urteilhat das FG Münster zugunsten einer belgischen Finanzierungsgesellschaft entschieden, dass ein kleiner Geschäftsbetrieb (15-20 m² Raum, Telefon- und Faxanschlüsse, E-Mail-Adressen, Büroausstattung und vier Board Member, die ja ebenfalls auch in anderen Konzerngesellschaften angestellt sein können) ausreichen, um eine “tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit” zu begründen. Zwar bezieht sich das Urteil auf die alte Fassung des AStG (§8), es dürfte aber auch für die neue Fassung relevant sein. Das FG Münster hat keine Revision zugelassen, es ist aber eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesfinanzhof (IX B 35/24) anhängig. (Ausführlicherer Artikel)
  • Die Vereinigten Arabischen Emirate haben ein Konsultationsverfahren zur Umsetzung der globalen Mindeststeuer gestartet. Damit kommt eine weitere, auch für deutsche Konzerne relevante Steueroase, der Einführung einen Schritt näher. Zumindest die direkten potenziellen Einnahmen aus der Steuer für Deutschland würden dadurch sinken.
  • Irland bereitet sich auf das Ende der Steueroase vor: Unternehmensteuereinnahmen von 24 Milliarden Euro (21 Prozent des Gesamtbudgets) führten 2023 zu einem Haushaltsüberschuss von 8,3 Milliarden Euro und waren selbst aus irischer Sicht “windfall in nature”. 2025 sollen deswegen gleich zwei Staatsfonds für schlechtere Zeiten aufgelegt werden, der “Future Ireland Fund” und der “The Infrastructure, Climate and Nature Fund”.

Schattenfinanz und Geldwäsche

Endlich die großen Fische?!

Die kleinen Neuigkeiten waren schon getippt:

Eine kleine Anfrage aus dem Berliner Abgeordnetenhaus aus dem Februar zeigt: Beim 2017 reformierten Einziehungsrecht (non-conviction based forfeiture) geht es immer noch eher um die kleinen Fische und das Geld scheint oft schon weg zu sein, wenn die Ermittler kommen. 2023 wurden demnach in Berlin knapp 4.500 Einziehungsentscheidungen im Wert von 130 Millionen Euro getroffen (also nur 30.000 Euro pro Entscheidung), letztlich aber lediglich 5 Millionen Euro kassenwirksam eingezogen.

Ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags vom März zur Vermögensabschöpfung enthält außer den Berliner Zahlen und ein paar weiterführenden Links (die sich mit den juristischen Problemen der 2017er Reform befassen) wenig.

Und dann kam die große Neuigkeit: Das BMF hat die Verbändeanhörung zu einem neuen Entwurf für das Vermögensverschleierungsbekämpfungsgesetz gestartet. Womöglich schon im Mai oder Juni wissen wir also möglicherweise, ob es die spezialisierten Vermögensermittler durch das Kabinett schaffen und vielleicht 2025 ihre Arbeit starten können.

Weitere Nachrichten:

  • Bei der FIU jagt eine neue Einheit (“Sharks”) mit 20 Mitarbeitenden schon jetzt die großen Fische. Das erklärte der neue Chef einem Bericht zufolge auf einer Fachtagung.
  • Bei der Polizei jagt man dem Geld noch hinterher, anstatt dem Geld zu folgen: 500 Beamte, große Durchsuchungen, 380.000 Euro Bargeld sichergestellt, 21 Marihuana-Dealer verhaftet, Ausgangspunkt der Ermittlungen: ein Bargeldfund im Auto in Frankreich. Besser kann man den derzeitigen Fokus der Geldwäschebekämpfung kaum illustrieren (BKA).
  • Erste Bußgeldbescheide für nicht im Transparenzregister eingetragene Gesellschaften: Das Bundesverwaltungsamt kümmert sich – nach der Galgenfrist Ende August 2023 – anscheinend endlich um die fehlenden Einträge. Im hierbesprochenen Fall sollten dafür 78 Euro Bußgeld fällig werden.
  • In Panama hat der Prozess gegen die Urheber der Panama Papers begonnen. Angeklagt wegen Geldwäsche ist auch der deutschstämmige Anwalt Jürgen Mossack der Kanzlei Mossack Fonseca.

Verbrauchsteuern, Umwelt, Immobilien und mehr

Doch noch Klimageld für 2025?

Ab 2025 soll erstmals ein Klimageld von 100 Euro an alle Bürger*innen ausgezahlt werden, erklärte Staatssekretärin Katja Hessel (FDP) laut Presseberichten. Das Problem der fehlenden Auszahlungsmöglichkeiten sei behoben. Das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt), als zuständige Behörde, sei nun in der Lage, Steueridentifikationsnummer und Bankverbindung zu verknüpfen. Die Kindergeldkassen haben schon Daten geliefert. Jetzt sollen noch die Banken folgen. Die übrigen Zahlendreher und Datenfehler (geschätzt 800.000) sollen dann Zollbeamte händisch korrigieren. Weil Bürger*innen explizit der Übermittlung ihrer Bankdaten an das BZSt zustimmen müssen, sei zudem eine Informationskampagne geplant.

Weitere Nachrichten:

  • Finanzminister Lindner will mehr Lust auf Überstunden machen. Dafür soll ab der 41. Wochenarbeitsstunde keine Steuer mehr fällig werden. Voraussetzung ist also 1) die Überstunde wird überhaupt vergütet (bei Menschen mit niedrigem Einkommen seltener) 2) der Beschäftigte arbeitet nicht Teilzeit (vor allem Frauen). Um das Paket abzurunden, gibt es zu den Problemen aus Beschäftigungs- und Gleichstellungssicht noch Abrenzungsprobleme und Bürokratieaufwuchs oben drauf (Wissenschaftlicher Beirat des Finanzministerium) und wenig echte Arbeitzzeiterhöhung aber hohe Mitnahmeeffekte durch hochqualifizierten Arbeitnehmer bei einer ähnlichen Regelung in Frankreich. Die Lust der FDP, ihren Vorschlag aus dem Jahr 1963 wieder auszugraben, hindert das alles scheinbar nicht.
  • Gaspedal und Bremse gleichzeitig: Die klimaschädlichen Subventionen im Verkehr übersteigen die entsprechenden CO₂-Preise. Das zeigt eine Untersuchung des Forschungsverbundes Ariadne. Dabei wurde für die untersuchten staatlichen Vergünstigungen (Dieselprivileg, Pendlerpauschale, Dienstwagenprivileg und Kerosinsteuerbefreiung für Inlandsflüge) erstmals ein negativer CO₂-Preis berechnet. Der negative Preis, der beziffert wie viel Euro pro Tonne CO₂-Emissionen der Staat den Verbracher*innen schenkt, liegt deutlich höher als der tatsächliche CO₂-Preis im Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG). Das zeige, wie stark das derzeitige Steuer- und Abgabesystem noch auf die Nutzung fossiler Energieträger ausgerichtet, so die Autoren.
  • Korrektur zum Gerechtigkeitsindikator 5 (zu den Verbrauchsteuern): Für Fleischersatzprodukte gilt, wie für fast alle Nahrungsmittel (u.a. auch Trüffel oder Wachteleier), der ermäßigte Steuersatz (das haben wir in unserer Grafik entsprechend korrigiert). Für Getränke – und damit auch für Soja- oder Hafermilch und Mineralwasser – gilt der volle Satz. Für Milch gilt wiederum ausnahmsweise der ermäßigte Satz und auch Gummibärchen sind steuervergünstigt. Auf die Frage der Union, warum das – und viele andere aus der Zeit gefallene Regeln – so ist, wie es ist, hatte die Bundesregierung eine einfache Antwort: Weil das seit 1968 so ist und weil es für eine Reform einen breiten Konsens bräuchte. Ein neues IWF-Arbeitspapier wählt einen anderen Ansatz: es kritisiert die ermäßigten Steuersätze als wenig effektiv und schlägt stattdessen vor alle Einkäufe mit Steuernummer automatisch zu erfassen (Portugal macht das teilweise und auf freiwilliger Basis) und die Steuer einkommensabhängig zurückzuerstatten. Der Datenschutz lässt grüßen.

Steuerverwaltung und Cum-Ex

Ikone der Cum-Ex-Aufklärung verlässt den Staatsdienst

Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker, Ikone der Cum-Ex-Aufklärung, hat überraschend ihren Wechsel in die Zivilgesellschaft verkündet. Schon zum 31. Mai hat sie um Entlassung aus dem Staatsdienst gebeten, um zum Juni eine Stelle als Geschäftsführerin für den Bereich Finanzkriminalität bei der Bürgerbewegung Finanzwende anzutreten. Dort will sie sich laut Finanzwende-FAQ folgenden Zielen widmen:

  • die Justiz deutschlandweit besser für den Kampf gegen Finanzkriminalität aufstellen,
  • die Finanzlobby im Justizbereich zurückdrängen und
  • dafür sorgen, dass Steuerbetrug in Millionenhöhe nicht sanfter behandelt wird als Sozialbetrug.

Die Befürchtungen sind allerdings groß, dass die Aufklärung durch die Staatsanwaltschaft Köln, bisher oft als Lichtblick im Steuerskandal betrachtet, unter ihrem Abgang leiden könnte. Denn auch wenn ihre Hauptabteilung personell gut aufgestellt und motiviert sein sollte: Gerade die jungen Staatsanwält*innen müssen erst beweisen, dass sie auch dem enormen politischen Druck in vielen Cum-Ex-Fällen mit hochrangigen Beteiligten aus Wirtschaft und Politik standhalten können. Schließlich ist der Grund für Brorhilkers Abgang laut ihren Aussagen der fehlende Fokus und die fehlende Unterstützung der Politik in Sachen Bekämpfung von Finanzkriminalität. Es muss sich erst zeigen, ob der Wechsel mit langfristigen Verbesserungen durch zivilgesellschaftliche Arbeit die ohne Zweifel kurzfristigen Schäden für die Arbeit der Staatsanwaltschaft wettmachen kann.

Groß war auch das Medienecho, zum Beispiel mit Frau Brorhilker im Exklusivinterview beim WDR, im Sonderpodcast vom Handelsblatt und auch in unserem Podcast Steuergerechtigkeit.

Weitere Nachrichten:

  • Die Aussagen des wichtigsten Kronzeugen der Staatsanwaltschaft wurden von den Anwälten von Olearius mit großem Pathos in Zweifel gezogen (, Reader-View aktivieren; kürzer auf Twitter).
  • Dänemark klagt Cum-Ex-Betrüger im Ausland an, Marcus Jung von der FAZ wünscht sich das auch von deutschen Behörden.
  • In Griechenland kann man per App auf Steuerhinterziehung etwa durch gefälschte Quittungen hinweisen, mit Belohnungen von bis zu 2.000 Euro. Das Programm führt zu vielen Meldungen. Ein spannender Ansatz, gut im Artikel aufgearbeitet. Auch im Internet ist die griechische Steuerfahndung mit modernen Methoden unterwegs und wurde über Instagram-Posts auf Steuerhinterziehung einer Influencerin aufmerksam.
  • Der Bayerische Oberste Rechnungshof warnt: Die Besteuerung von Influencern funktioniert nicht gut und der Handel mit Kryptowährungen bleibt unbesteuert. Gruppenersuchen wären – neben zahlreichen kleineren, prozeduralen Vorschlägen – eine mögliche Lösung für beide modernen Problemfelder, stellen sich aber in der Praxis weiterhin als kompliziert dar: Eine Anfrage in Bezug auf Influencer wurde etwa 2017 gestellt – bis 2024 (!) waren aber keine Daten in der Finanzverwaltung angekommen.
  • Die Finanzwende untersucht, in welchen Bundesländern Steuerfahnder fehlen. Allerdings werden nur Haushalts-Ist und Arbeits-Ist verglichen, nicht die viel höheren Personalbedarfe.
  • Riesige Steuerrückstände sind auch in Berlin ein Problem: Dort belaufen sie sich auf über 900 Millionen Euro, fast die Hälfte entfällt auf Unternehmenssteuern.

Veranstaltungen

Mit Vertreter*innen vom NWSG:

Online:

Für Berliner*innen:

Hörens-, lesens- und sehenswert

Nicht uneingeschränkt hörenswert. Aber damit Ihnen das Warten auf die steuerpolitische Positionierung der AfD erspart bleibt:

Am Ende dauerte das Interview mit Maximilian Krah (AfD) bei jung & naiv mehr als 6 Stunden. Für Wirtschaftspolitik und Steuern war trotzdem viel zu wenig Zeit und die Antworten lassen sich ganz knapp zusammenfassen

  • Die angebliche Wunderwaffe gegen Ungleichheit (“ich will die Armen reich und nicht die Reichen arm machen”) und niedrige Geburtenrate – der zinsgünstige Baukredit kombiniert mit weniger Bauvorschriften – wurde nicht hinterfragt.
  • Über den Kombilohn und den “solidarischen Patriotismus” wurde etwas länger gesprochen.
  • Ab Stunde 2:12 ging es dann mal kurz um die Erbschaft- und Vermögensteuer. Antwort: Ist nicht umsetzbar und gefährdet den Vermögensaufbau der kleinen Leute (weil Aufwand wegen Omas Gemälde und Münchner Eigentumswohnung über dem Freibetrag). Und um das Vermögen der Superreichen: “Der Politiker muss auch einsehen, wenn er nichts ändern kann.” Und zum Abschluss Fake-News: “Kein reicher Deutscher hat heute mehr als 50% seiner Assets mehr im Inland”.
  • Bei der ZEW-Studie über die Verteilungseffekte des AfD-Wahlprogramms (ab Stunde 2:20) kommt Krah dann absolut ins Schwimmen. Leider ist das dann auch wieder viel zu schnell wieder vorbei: “Sie können nicht rechnen”, “man macht komische Gegenrechnungen”, “in der Regel schreiben die alle voneinander ab”, “das ist, glaube ich, Fratzscher, der irrt immer”, “wir können gerne eine Studie erstellen”. Reicht am Ende als Ausrede.

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